Predigt zu Joh 14, 1-6 Neujahr 2011 im Dom zu Schwerin
01. Januar 2011
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Was wäre die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ohne fesselnde Lektüre! Ich habe wieder Glück gehabt. Mein Weihnachtsbuch sind die Erinnerungen von Pavel Kouhut, dem tschechischen Dramatiker und Schriftsteller. Anfänglich jugendlich-begeisterter Kommunist wird er zum entschiedenen Demokraten. Als einer der Protagonisten des Prager Frühlings verliert er nach dem Einmarsch der Staaten des Warschauer Vertrages seine Arbeitsmöglichkeiten und wird ausgebürgert. Mit Vaclav Havel gehört er zu den Erstunterzeichnern der Charta 77. Der Einsatz für die Menschenrechte sollte sich als Beginn der friedlichen Revolution erweisen.
Was mich so gespannt hat lesen lassen, hat auch darin seinen Grund, dass ich hier im Spiegel der tschechischen Geschichte unserer eigenen begegne. Wie nah rückt einem da die Zeit der Unfreiheit wieder auf den Leib. Wie regt sich da von neuem Hoffnung, als auf einmal der neue Generalsekretär aus dem Land der Panzer Glasnost und Perestroika ausruft. Auch das Bild vom gemeinsamen Haus Europa, dass viele Wohnungen habe, ließ damals neu auf eine plurale, menschliche Gesellschaft hoffen. Transparenz, Umgestaltung der Gesellschaft! Kein Wunder, dass der Chefideologe der DDR den ‚großen Bruder’, von dem wir eigentlich doch immer hatten lernen sollen, mit den Worten konterte: „Nur weil der Nachbar renoviert, müssen wir noch lange nicht selbst neu tapezieren.“ Es ist beim ‚Tapezieren’ nicht geblieben, Gott sei Dank!
Das Bild vom Haus mit den vielen Wohnungen ist schon viel älter. Wir haben es vorhin gehört: In den Abschiedsreden Jesu an seine Jünger, wie das Johannesevangelium sie überliefert, wird es als eschatologisches Bild gebraucht – als ein Bild letzter Gültigkeit in unserem Verhältnis zu Gott, als ein Hoffnungsbild für das Leben mit Gott. Bei dem, den uns Jesus ‚Vater’ zu nennen gelehrt hat, ist Bleibe, ist ‚Haus’, ist Ort der Geborgenheit und Zuflucht. Als Kinder beim ‚Greif’-Spielen gab es das auch: Da war man immer gejagt, konnte überall gefangen werden – außer an diesem einen Ort, ‚Haus’ genannt, zu dem man sich flüchten und wo man durchatmen konnte.
„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“, sagt Christus. Wo können wir ‚Haus’ erleben, Heimat in der Zeit und darüber hinaus? Manchmal sind es ganz persönliche Dinge, die einem da in den Sinn kommen können – für mich zum Beispiel ein ostpreußisches Abendlied meiner Mutter. Oder: Ich erinnere mich an den Beginn meiner Bausoldatenzeit, an den ersten Urlaub Anfang 1981. So lange hatte ich darauf gewartet, nach Haus zu kommen. Ich freute mich unbändig, Freunde und Familie wiederzusehen. Und doch blieb Fremdheit, weil nur unzureichend in Worte zu fassen war, was wir erlebten – uniformiert, fortwährendem Gebrüll und geistlosem Drill ausgesetzt, in großer Sorge, ob die NVA – und wir mit ihr – wieder in ein Nachbarland einmarschieren würde, um Sehnsucht nach Freiheit im Keim zu ersticken. Wer sollte das ‚draußen’ nachempfinden? Doch dann im Gottesdienst in der Liturgie des Abendmahls erklang beim „Christe, du Lamm Gottes“ die vertraute Bassmelodie des Orgelpedals – ich war zu Hause angekommen. Ich hörte und spürte die Kraft, die uns trägt durch die Zeiten . . .
Heimat finden in einer geistlichen Melodie, in einer Gemeinschaft, die mehr ist als die Summe von Sympathien, Heimat haben in einer großen Verheißung – das zeichnet unseren Glauben aus. Und das ist wichtig für Menschen, die auf dem Weg sind. Denn genau dies mutet Jesus seinen Freundinnen und Freunden zu: Nachfolge, Weggemeinschaft. Als der Jünger Thomas damals die allen gemeinsame Ratlosigkeit über den weiteren Weg in Worte fasste, war dies die Antwort des Christus: „Ich bin der Weg“.
Christus – der Weg; der Weg in ein neues Jahr, unser Weg in die Ewigkeit. Daran sollen wir uns orientieren. Und sogleich beginne ich mich zu fragen, was denn die Weisungen Jesu für unser Verhalten 2011 bedeuten könnten. Feindesliebe zum Beispiel . . . Aber das geht zu schnell! Als wäre ‚Christus – der Weg’ eine rein ethische Orientierung! Vielmehr: Christus, der Weg – das betrifft zuerst und vor allem das Verhältnis zu Gott. Denn da ist begründet und erst daraus ergibt sich, wie wir leben und was wir tun sollen.
Und also erinnern wir uns, was die Beziehung Jesu zu Gott so unverwechselbar machte:
• Mit ‚Abba’, ‚Väterchen’, sollen wir Gott im Gebet ansprechen, ist Jesus überzeugt. So zärtlich, so vertrauensvoll können und sollen wir uns an ihn wenden. Denn Kinder Gottes sind wir – Wunschkinder, um genau zu sein. Unsere Brauchbarkeit für das Reich Gottes hängt davon ab, dass wir unsere Gotteskindschaft erkennen und leben lernen!
• Vertrauen zum Vater – das heißt für Jesus auch Gelassenheit im Blick auf die täglichen Dinge des Lebens. „Seht die Lilien auf dem Felde . . .“, sagt er und fügt im selben Atemzug hinzu, wie es gehen kann, dass wir zwar Sorgen haben, aber die Sorgen nicht uns: „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen.“ Die Herrschaft Gottes ist alle Hoffnung, allen Einsatz wert.
• Aus eben diesem Vertrauen zum Vater, bei dem unser ganzes Leben gut aufgehoben ist, aus dieser Grundhaltung heraus erwächst auch Jesu Feindesliebe. Nur aus dem Quellgrund einer solchen Gottesbeziehung ist sie recht zu verstehen und kann sie gelebt werden.
"Ihr wisst,
dass gesagt worden ist:
'Liebe deinen Nächsten
und hasse deinen Feind!'
Ich sage euch aber:
Liebt eure Feinde!
Betet für die,
die euch verfolgen!
So werdet ihr zu Kindern eures Vaters im Himmel!
Denn er lässt seine Sonne aufgehen
über bösen und über guten Menschen.
Und er lässt es regnen
über gerechten und über ungerechten Menschen.“
Es ist eine Frage unserer Beziehung zu Gott, wie wir mit Feindschaft und Konflikten umgehen – keine Frage, die sich nach einfacher Logik der Dinge beantworten ließe. Aber wie wir sie beantworten, das allerdings fällt ins Reich konkreter ethischer Entscheidungen – zum Beispiel, wenn es gilt zu finden, was dem Frieden (welchem Frieden!) dient.
Seit Jahren befindet sich die Bundeswehr im Kampfeinsatz. Inzwischen wird das, was in Afghanistan geschieht, auch von den verantwortlichen Politikern Krieg genannt. Auf diesem Hintergrund wird die Armee einer Jahrhundertreform unterzogen. Die Wehrpflicht wird ausgesetzt, die Bundeswehr im Wesentlichen zu einer Berufsarmee. Erstaunlich still ereignet sich das. Während der Umbau eines Bahnhofs zigtausende Menschen mobilisiert, entzündet der Umbau der Bundeswehr die Gemüter nicht. Ich bin überzeugt: Wir brauchen dringend die gesellschaftliche Debatte über die zukünftige Rolle unserer Armee – nicht zuletzt auch um der Soldatinnen und Soldaten willen. Aus dem Beirat für die Seelsorge an Soldatinnen und Soldaten, in dem alle Dienstgrade bis hin zur Generalität vertreten sind, weiß ich, wie wichtig ein klares, in der Gesellschaft verankertes Leitbild wäre.
Um die Problematik nur kurz anzudeuten: Es gibt gute Grunde, die Wehrpflicht auszusetzen. Wehrgerechtigkeit war schon lange nicht mehr gegeben. Doch was entsteht an der Stelle des Alten? Eine moderne Einsatzarmee, die flexibel an weit entfernten Orten der Welt zu agieren vermag? Wir erleben doch gerade, wie wenig es die Probleme löst, die Freiheit am Hindukusch militärisch verteidigen zu wollen! Für mich ist es auch beunruhigend, dass Verteidigungsminister zu Guttenberg ‚offen, ohne Verklemmung’ über die Verknüpfung von Militärpolitik und Wirtschaftsinteressen diskutieren will. Dabei gehe es nicht nur um die Sicherung von Handelswegen, sondern auch um die Sicherung von Rohstoffquellen. Auch wenn hier nicht die Wirtschaftskriege des 19.Jahrhunderts gemeint sein mögen – die Tendenz ist alarmierend.
Die gesellschaftliche Debatte braucht vieles: Sachkenntnis, persönliche Gewissenhaftigkeit, aber auch Anstöße einer christlichen Friedensethik, die zum Beispiel den Vorrang des Zivilen vor dem Militärischen einklagt. Die Förderung von Friedensdiensten spielt bisher weder in Afghanistan noch in den bisherigen Planungen der Bundeswehrreform und der Freiwilligendienste eine angemessene Rolle.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, sagt Christus. Diese Verheißung ist keine unmittelbare Handlungsanleitung für die konkrete Situation, für den akuten Konflikt. Und doch liegt in dieser Botschaft friedensstiftendes Potential:
‚Verlasst euch auf Gott’, sagt sie. ‚Die Geschichte kennt genügend Gescheiterte, die auf Rosse und Reiter gesetzt haben. Lasst euch nicht einflüstern, der Zweck heilige die Mittel. Lasst euch nicht vom Bösen überwinden, sondern überwindet das Böse mit Gutem. Die Liebe hat das Zeug dazu. Schaut auf die Hingabe Jesu: Welch erlösende Kraft liegt im Leiden, das gelitten wird um fremden Leidens willen – und in der Hoffnung, es zu überwinden! Geht Jesu Weg des Verzichts auf Vergeltung und Gewalt.
Dafür ist die Zeit noch nicht reif, wird oft entgegnet. Soll es deswegen unterbleiben? Wie Schleichermacher sagt: Was noch nicht sei kann, muss wenigstens im Werden bleiben.’
„In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“, sagt Christus und eröffnet damit eine Perspektive, die über unsere Tage hinausgreift. Bei ihm ist ‚Haus’, ist Ort der Zuflucht und Geborgenheit, was auch geschehen mag. Hier finden wir Heimat in der Zeit und Wegzehrung für unseren Weg. In Christus – nirgendwo sonst – finden wir das Leben. AMEN.