Eröffnung 14. Aktion „Hoffnung für Osteuropa“

Predigt zu Matthäus 4, 1-11

25. Februar 2007 von Hans-Jürgen Abromeit

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott und unserem Herrn Jesus Christus!

Liebe Gemeinde!

Mit diesem Gottesdienst im Dom zu Greifswald, dem Zentrum Vorpommerns, wird die 14. Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ deutschlandweit eröffnet. Wo liegt eigentlich Osteuropa? Bei der Weltkonferenz des Lutherischen Weltbundes in Winnipeg (Kanada) im Jahre 2003 musste ich mich als Kongressteilnehmer registrieren lassen. Selbstverständlich stellte ich mich am Schalter „Mitteleuropa“ an. Aber die freundliche Dame konnte mich auf ihrer Liste unter den aus Mitteleuropa angemeldeten Teilnehmern nicht finden. Sie gab mir den guten Rat: „Versuchen Sie es doch einmal am Schalter „Osteuropa“!“ Und wirklich, dort war ich, als einziger unter allen deutschen Teilnehmern registriert. Pommern liegt – wenigstens nach der Meinung des Lutherischen Weltbundes - schon in Osteuropa. Darum passt die Eröffnung der diesjährigen Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ gut hier nach Pommern.
In Wirklichkeit löst der Begriff „Osteuropa“ Unsicherheiten bei uns aus. Wir sind westorientiert, wenige unter uns sprechen osteuropäische, meist slawische Sprachen und die Entwicklungen in den osteuropäischen Ländern können wir nicht recht einordnen. Stimmt es, dass es dort vielen am Lebensnotwendigen fehlt? Die Glaube der meisten der dort lebenden Menschen, die Orthodoxie, ist uns fremd. Offensichtlich wird dort seit dem Verschwinden des Eisernen Vorhangs darum gerungen, wer ökonomisch und politisch die Macht hat.
Der Predigt liegt das heutige Evangelium zu Grunde, die Versuchungsgeschichte Jesu, wie wir sie vorhin gehört haben. Gott und sein Wort könnten uns die notwendige Orientierung geben, damit wir glücklich miteinander leben könnten. Aber wir Menschen wollen uns nicht an Gott orientieren, weil wir meinen, bessere Wege zu Glück und Freiheit zu kennen. Die Versuchungen, wodurch Jesus in dieser Geschichte versucht wird, sind auch unsere Versuchungen. Sie überfallen uns genau dann, wenn wir für sie besonders empfänglich sind.

Jesus hatte sich, kurz bevor er in Erscheinung treten wollte, in die Wüste zurück gezogen. Er wollte sich auf sein Wirken vorbereiten und fastete. Natürlich hatte er Hunger. Sollte er aus Steinen Brot machen, um seinen unbändigen Hunger zu stillen? Sollte er nicht seine religiöse Macht nutzen, um daraus seinen Vorteil zu ziehen? Schließlich: Sollte er – statt Gott anzubeten – nicht lieber den verehren, der versprach, ihm unbegrenzte Macht und Herrlichkeit zu geben? Es geht immer – bei Jesus und in allem menschlichen Leben – um Brot, Religion und Macht. Mit anderen Worten: Es geht darum, dass unsere grundlegenden Bedürfnisse gestillt werden. Es geht um die Sehnsucht nach Mehr als Essen und Trinken. Es geht um Macht. Es geht darum, wer das Sagen hat. Damals, heute bei uns und auch in den Ländern Osteuropas.

Ich möchte Ihnen den Anfang einer weiteren Geschichte erzählen:
„Ein scheues, zahnloses Lächeln, schöne, aber fast blinde Augen und eine Mütze mit einem großem Schirm - >>das ist wegen der Sonne<<, so der 23 jährige Sascha Kolominov. Er hat große Angst vor der Sonne: Ihre schädlichen Strahlen kosten ihn den Rest seines Sehvermögens. Und damit den Rest seines Lebens. Wenn Sascha jetzt völlig erblindet, so stirbt er gleich, wenn nicht, dauert es noch ein wenig. Weil er ganz allein ist auf der Welt. Ihn braucht niemand mehr, ob blind oder nicht!

So beginnt der Artikel von Ksenia Maximova, die damit den diesjährigen Journalistenpreis Osteuropa gewonnen hat. Jährlich wird er im Rahmen der Eröffnung der Aktion „Hoffnung für Osteuropa“ verliehen. Die Autorin schildert darin das Schicksal eines russischen Jungen, der an Aids erkrankt ist und seinen Kampf ums Überleben. Er wird wie ein Aussätziger behandelt, sozial und rechtlich ausgegrenzt.

Szenenwechsel. Im rumänischen Schäßburg gibt es einen Verein, der sich seit Jahren darum bemüht, verlassene Kinder in Pflegefamilien unterzubringen. Mit gutem Erfolg. Nur, für geistig oder körperlich behinderte Kinder finden sich schwer Eltern. So entstand die Idee das „Haus des Lichts“ aufzubauen, ein Heim verbunden mit einer Tagesstätte für behinderte Kinder aus Schäßburg und Umgebung. Ein großes, altes Pfarrhaus wird dafür hergerichtet. Die Kinder sollen hier nicht nur versorgt werden. Sie sollen Vertrauen lernen, ihr oft verkümmertes Gefühlsleben entwickeln und Geborgenheit finden. Aber für jede Bauphase müssen mühsam Spenden gesammelt werden. Trotz Unterstützung – unter anderem von einer Initiative hier aus einer pommerschen Kirchengemeinde - lässt sich das Vorhaben nur Schritt für Schritt verwirklichen. Auch unsere heutige Kollekte in diesem Gottesdienst ist für das „Haus des Lichts“ bestimmt.

Wäre es angesichts dieser Beispiele nicht eine verlockende Aussicht, Steine in Brot verwandeln zu können? Oder alle Macht der Welt zu haben, um diese Probleme in den Griff zu bekommen? Wie viel Leid könnte gelindert werden, wie viel Hunger gestillt, wie viel Elend beseitigt?
Die Geschichte, die uns von Jesus in der Wüste erzählt wird, warnt uns vor diesem Denken. Es gibt weder Wunder auf Bestellung noch eine einfache Lösung für die Probleme dieser Welt. Wenn uns jemand den Schlüssel dazu verspricht, dann ist es meist der Teufel, der uns in vielerlei Gestalt begegnen kann.
Dabei ist Nein zu sagen möglich, weil die Kraft dazu aus dem Ja kommt, mit dem Gott hinter uns steht. Jesus widersteht so den Versuchungen, sich zu verkaufen für materielle Sattheit, oder den Beifall der Menschen oder absolute Macht über alle Reiche der Welt zu haben. Er weiß, dass dies alles nur in eine Sackgasse führt oder zu noch schlimmerem Leid.
Die Geschichte liefert uns immer wieder Beispiele dafür, dass mit uneingeschränktem Machtstreben - das fast immer mit Gewalt einher geht - nichts erreicht wird. Ganz gleich, wie Motive auch begründet werden, welche guten Zwecke die Mittel heiligen sollen: wer diesen Versuchungen erliegt, vergisst Gott und die Menschen.

Der Weg zu wirklicher Gerechtigkeit ist dagegen mühevoll und lässt sich nur in kleinen Schritten gehen. Für Jesus steht fest: Dieser Weg lässt sich nur mit Gott beschreiten. Das ist Gottes Weg. Dafür will er uns in Anspruch nehmen. Wer der Versuchung nach Sattheit, danach, im Mittelpunkt zu stehen, der Versuchung nach Macht widersteht, wird frei für Gott und somit für den Dienst am Nächsten. Wer sich von Gott bewegen lässt, kann auch in der Welt etwas zum Guten bewegen.

„Junge Menschen bewegen Europa“, so lautet in diesem Jahr das Motto der diesjährigen Aktion „Hoffnung für Osteuropa“. Diese jungen Menschen gibt es und mit ihnen erstaunlich viel Solidarität und Streben nach Gerechtigkeit in ihrem Handeln. Wer sich die Projekte anschaut, die von „Hoffnung für Osteuropa“ unterstützt werden, der findet diese jungen Leute. Ob sie sich in Rumänien für Straßenkinder engagieren, in Weißrussland für eine Schule, in Kasachstan für eine Suppenküche oder in Bulgarien in der Drogenvorbeugung. Es gibt unzählige Menschen, die dieser Hoffnung ein Gesicht geben, die dafür stehen, dass Veränderungen zum Guten möglich sind. So ergeben sich gerade durch den Einsatz junger Menschen neue Lebens- und Zukunftsperspektiven. Diese Bemühungen wollen wir fördern und unterstützen so gut wir können.

Wir hier, die wir uns gern als Westeuropa bezeichnen, sollten uns dabei aber auch vor Versuchungen hüten. Denn unser Bild von Ost- oder Südosteuropa ist oft von einem Klischee gezeichnet, das nicht selten durch Medienberichte geprägt ist und nicht durch persönliche Erfahrungen. Natürlich müssen Missstände beim Namen genannt werden. Aber wir dürfen diese Länder nicht auf Elend und Mangel reduzieren. Osteuropa ist bunt und schön. Es gibt viele Facetten gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in diesen Ländern zu entdecken und viele herzliche Menschen, die uns durch ihre Gastfreundschaft oft verlegen machen.
Wir sind politisch Nachbarn in Europa, das ist viel mehr erkennbar als noch vor Jahren. Nachdem es keinen eisernen Vorhang mehr gibt, fällt es leichter, unsere gemeinsamen kulturellen Wurzeln zu entdecken.
In Christus sind wir Brüder und Schwestern. Nirgendwo gab es je eine solche Wiederentdeckung des Christentums wie in den ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas. Das ist wichtig für die weitere europäische Entwicklung und ein Achtungszeichen für uns hier, wo das Streben nach Wohlstand und individueller Verwirklichung dieser Entwicklung manchmal im Weg steht. Wir können an diese gemeinsamen christlichen Wurzeln und Traditionen anknüpfen, damit sie das zukünftige Gesicht Europas prägen. Wir sollten diesem Bezug auf den Glauben an Gott und der Verwurzelung Europas in der Geschichte des Christentums auch in der Verfassung der EU Ausdruck geben.

„Hoffnung für Osteuropa“ baut Brücken. Es geht bei dieser Aktion um viel mehr als einen materiellen Transfer von reich nach arm. Menschen kommen zusammen, lernen einander kennen und dabei auch schätzen und mögen. Nicht nur die jungen Leute sind gefragt, aber sie haben eine besondere Verantwortung. Denn sie werden in Zukunft unser gemeinsames Haus Europa bauen. Ein Europa, in dem es überall menschenwürdige Lebensbedingungen gibt und in dem das Wort Gottvertrauen keine leere Worthülse ist, sondern Grund unseres Handelns und Zuversicht für unser Leben.

Die Veröffentlichung des eingangs erwähnten Artikels über Sascha Kolominov, den aidskranken jungen Mann in Russland, hat übrigens soviel Geld zusammengebracht, um ihm eine Augenoperation zu finanzieren und für ein Dach über dem Kopf zu sorgen.
Auch im rumänischen Schäßburg hat das „Haus des Lichts“ inzwischen ein neues Dach bekommen und neue Fenster. Es bleibt noch viel zu tun, aber die Kinder können einem Einzug entgegensehen. Lassen wir uns von diesen hoffnungsvollen Beispielen bewegen, ganz gleich, ob jung sind oder alt.
Erinnern wir uns dabei auch an die Geschichte, die uns von Jesus in der Wüste erzählt wird: Die Versuchung, dem Bösen nachzugeben, nach den einfachen Lösungen zu rufen und nach den starken Führern, ist manchmal groß. Genauso wie die Versuchung, den Mut zu verlieren. Aber Gott steht uns bei und führt uns immer wieder auf seinen Weg – überall in Europa. Das ist es, was uns guter Hoffnung sein lässt.
Amen.

Veranstaltungen
Orte
  • Orte
  • Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Flensburg-St. Johannis
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Gertrud zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Flensburg
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Michael in Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Nikolai-Kirchengemeinde Flensburg
    • Ev.-Luth. St. Petrigemeinde in Flensburg
  • Hamburg
    • Ev.-Luth. Hauptkirche St. Katharinen
    • Hauptkirche St. Jacobi
    • Hauptkirche St. Michaelis
    • Hauptkirche St. Nikolai
    • Hauptkirche St. Petri
  • Greifswald
    • Ev. Bugenhagengemeinde Greifswald Wieck-Eldena
    • Ev. Christus-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Johannes-Kirchengemeinde Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Jacobi Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Marien Greifswald
    • Ev. Kirchengemeinde St. Nikolai Greifswald
  • Kiel
  • Lübeck
    • Dom zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Aegidien zu Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Jakobi Lübeck
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Marien zu Lübeck
    • St. Petri zu Lübeck
  • Rostock
    • Ev.-Luth. Innenstadtgemeinde Rostock
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock Heiligen Geist
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Evershagen
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Rostock-Lütten Klein
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Johannis Rostock
    • Ev.-Luth. Luther-St.-Andreas-Gemeinde Rostock
    • Kirche Warnemünde
  • Schleswig
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schleswig
  • Schwerin
    • Ev.-Luth. Domgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Kirchengemeinde St. Nikolai Schwerin
    • Ev.-Luth. Petrusgemeinde Schwerin
    • Ev.-Luth. Schloßkirchengemeinde Schwerin

Personen und Institutionen finden

EKD Info-Service

0800 5040 602

Montag bis Freitag von 9-18 Uhr kostenlos erreichbar - außer an bundesweiten Feiertagen

Sexualisierte Gewalt

0800 0220099

Unabhängige Ansprechstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt in der Nordkirche.
Montags 9-11 Uhr und mittwochs 15-17 Uhr. Mehr unter kirche-gegen-sexualisierte-gewalt.de

Telefonseelsorge

0800 1110 111

0800 1110 222

Kostenfrei, bundesweit, täglich, rund um die Uhr. Online telefonseelsorge.de

Zum Anfang der Seite