Predigt zur Feier des 75. Bestehens des Verbandes Evangelischer Kindertageseinrichtungen SH (VEK)
04. Juni 2024
„Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.“ (Mt 13,33)
Liebe Festgemeinde!
Ein einziger Satz und so viel ist darin enthalten. „Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter drei Scheffel Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.“ (Mt 13,33)
Wobei – in der Urfassung steht nicht, dass die Frau den Teig mit dem Sauerteig durchknetet. Sie „verbirgt“ den Sauerteig. Das heißt, sie wartet ab. Dass sich der Teig durchsäuert. Ohne ihr Zutun. Ohne ewiges Kneten, ohne erschöpfte Handmuskeln.
Aber sie wird für gute Rahmenbedingungen gesorgt haben. Eine gewisse Wärme (in Palästina quasi ein Selbstläufer) und einen geschützten Platz. Ähnlich wie in dem Gleichnis von der selbstwachsenden Saat. Säen können und sollen wir. Für die Rahmenbedingungen sorgen sollen wir. Aber dann gilt es auch, abzuwarten.
Wenn genau das ein Bild ist für das Himmelreich – für das Reich Gottes. Für einen Zustand also, von dem wir sagen würden: Hier ist alles stimmig. Hier ist Gerechtigkeit nicht nur ein Wort, hier ist sie Realität. Was heißt das dann für uns?
Was heißt das – heute vor allem – für die Arbeit in den Evangelischen Kitas hier in Schleswig-Holstein?
Begeben wir uns auf Spurensuche nach dem Reich Gottes hier und jetzt. Und beginnen wir doch mit der Realität, die häufig gar nicht so blühend und leicht scheint.
Denn die Rahmenbedingungen für die Arbeit der Kindertagesstätten nicht nur hier in Schleswig-Holstein sind schwer. Die Personalnot allerorten extrem und auch die Situation vor Ort wird nicht leichter. Viele Kinder auch hier in unserem so schönen Schleswig-Holstein haben immer schwerere Rahmenbedingungen zu Hause, in denen sie groß werden. Weil schon den Kleinen eins klar ist: Nicht mithalten zu können mit den anderen, aus welchem Grund auch immer, das ist ein Makel, den man nicht am Garderobenhaken zurücklässt, sondern den man mit dabei hat in der Gruppe, beim Draußenspielen, bei jedem Ausflug.
Multiple Problemlagen aus dem häuslichen Umfeld nehmen zu und sie werden mitgebracht in den Kita-Alltag. Und Sie, die für gute Rahmenbedingungen eines Großwerdens in geschütztem Umfeld sorgen wollen, haben es dabei nicht immer leicht.
Wenn morgens die Brotdose zu Hause bleibt, weil im Kühlschrank nichts mehr zu finden ist. Und die Schuhe so drücken, dass sich der große Zeh schon durch den Stoff bohrt. Wenn die Geburtstagseinladung des Freundes abgesagt werden muss, weil im Geschenkekorb bei Rossmann nur noch Spielzeug liegt, das teuer ist. Wenn es gar nicht so schön ist, nach Hause zu kommen, weil es nur wieder Ärger und Streit geben wird.
Dann wird mein Traum wieder lebendig und nagt an meinem Herzen. Mein Traum von einem Land, in dem kein Kind mit Angst oder leerem Magen am Morgen aus dem Haus gehen muss.
In dem es einen Platz gibt für Tränen und für Freude und immer ein offenes Ohr. Für Entfaltungsspielraum und Entwicklungsmöglichkeiten, die nicht vom Geldbeutel oder der psychischen Stabilität der Eltern abhängen.
Ich träume von einem Land, in dem Gerechtigkeit kein leeres Wort, sondern gelebtes Leben ist. Für die Großen und die Kleinen, für die Alten und die Jungen. Der Himmel auf Erden?
So säe es doch aus, wenn die Rahmenbedingungen für eine gute Kindheit stimmen! Dann wäre der Sauerteig gut aufgesetzt und würde für eine gesunde Durchsäuerung sorgen. Ganz von selbst. Ohne unser Zutun.
Was heißt das also für uns, hier in Schleswig-Holstein? Wenn wir erst einmal anerkennen müssen, dass wir vom Zustand des Himmelreichs doch noch etwas entfernt sind, obwohl ja absolut seriöse Umfragen immer wieder feststellen, dass wir hier die glücklichsten Menschen in Deutschland seien.
Für mich geht es hier vor allem um die Perspektive, die wir selbst einnehmen. Um die Perspektive, mit der wir auf Menschen schauen. Auf kleine und große Menschen. Und auf die Päckchen, die sie mitbringen.
Vom Himmelreich sprach Jesus häufig. Mehr noch: Er lebte das, wovon er sprach. Sein Traum von einer gerechteren, einer gottgewirkten Welt, wurde in seinem Handeln Wirklichkeit. Er sah die, die am Rand standen. Den klein gewachsenen Zachäus auf dem Baum. Das Kind inmitten der Erwachsenen, die so sehr nur von ihren eigenen Bedürfnissen getrieben waren, dass sie gar nicht mehr nach unten schauten. Und er ließ die Kinder zu sich. Gegen die empörten Blicke und Sprüche derer, die meinen, dass ihnen die Welt gehöre. Und seine Aussage war glasklar und unmissverständlich: Wer das Reich Gottes, das Himmelreich, nicht so annimmt wie ein Kind, wird nie hineinkommen.
Viele fragen ja in diesen Zeiten: Wozu noch die Kirche? Wozu noch die christliche Botschaft, wenn kaum jemand mehr etwas mit Jesus anfangen kann?
Ich sage: Genau deshalb. Weil diese klare Perspektive, immer und ausschließlich von den Bedürfnissen der Schwächsten – den Kindern, den Marginalisierten, den Kranken – die bestmögliche Version unserer Welt zu denken, eine Perspektive ist, die in ihrer Radikalität nur im Christentum geäußert wird.
Am Umgang mit denen, die nicht oder nicht mehr in die so genannte Mitte der Gesellschaft gehören, aus welchem Grund auch immer, entscheidet sich, ob Gerechtigkeit nur eine Worthülse oder gelebte Realität ist.
Sie, die in der Kita-Arbeit tätig sind, tragen in den Evangelischen Kindertagesstätten ganz häufig genau eine solche Perspektive in unsere Gesellschaft ein. Tag für Tag. Sie stärken die jüngsten Menschen und befähigen sie, ihre Meinung zu äußern. Konflikte auf gute Art auszutragen, Gefühle auszudrücken. Sie versuchen – das weiß ich z.B. aus der evangelischen Kita meines Sohnes – Spielräume für mögliche Beschämung gering zu halten. Zum Beispiel, wenn es eben kein individuell mitgebrachtes Essen in Brotdosen gibt, sondern ein gutes Frühstück für alle und für alle das gleiche, jeden Tag.
Dieser eine Vers, der heute Vormittag hier im Zentrum steht, spannt die Dimension noch einmal weiter auf. Er zeigt, wie sehr so eine Vision vom Himmelreich eben nicht nur von guten Worten lebt, sondern auch handfeste Taten braucht.
Jemand muss einen guten Sauerteig ansetzen. Und ihn so verstecken, dass daraus irgendwann später duftendes Brot wird.
Es braucht nicht viel. Es braucht aber Vertrauen in die eigene Wirksamkeit und es braucht das klare Wissen: Ich kann für die Rahmenbedingungen sorgen. Dass der Teig gelingt. Dass ein Kind eine gute Zeit hat im Kindergarten. Dass Konflikte im Kita-Alltag gelöst werden können. Aber das Entscheidende, das können wir nicht erwirken. Egal, wie viel wir uns abrackern.
Dieses Vertrauen, dass sich das Gute durchsetzen wird, ist extrem wichtig. Gerade heute. Wir merken ja auch gesellschaftlich: wenige Menschen können mit extremistischen Ansichten eine ganze Gesellschaft vergiften. Da haben wir entschieden etwas entgegenzusetzen. Aus christlicher Sicht ist das vor allem die Erkenntnis: Wir müssen alles zusammendenken. Wenn wir die Bedürfnisse der Schwächsten der Schwachen, der Kinder, der Kranken, der Gescheiterten nicht mit einbeziehen, dann sind wir weiter denn je von einer gerechten Welt entfernt.
Diese Erkenntnis ist der Sauerteigansatz, den wir einzutragen haben. Es ist eine Haltung, die mit oder ohne Worte ausstrahlt und spürbar wird: Hier bei uns ist jedes Kind willkommen, egal, ob mit gefüllter Brotdose, ob mit Wut im Bauch oder zu kleinen Hausschuhen. Hier ist jedes Kind willkommen, weil hier nicht aussortiert wird. Weil hier ein Platz ist, an dem alle sein dürfen, wie Gott sie geschaffen hat. Einzigartig und wunderschön.
Amen