29. Juni 2024 I Marienkirche Wittenberg

Predigt zur Vorstellung des Global Songbook

29. Juni 2024 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

„For those who dare to sing a new song“ -  

Für alle, die es wagen, ein neues Lied zu singen.

Ja, für sie alle ist dieses neue Liederbuch.

Dieses globale Liederbuch der lutherischen Weltgemeinschaft,

das wir heute vorstellen und in Gebrauch nehmen.

Ein neues Lied wagen,

und mehr als das:

sich nach einem neuen Lied geradezu sehnen.

Weil die alten Lieder

zwar schön und herzerwärmend sind

und so viel Weisheit und Kraft in sich tragen,

aber eben doch Lieder sind

aus einer anderen Zeit

und für andere Menschen,

für andere Kontexte.

 

Vielleicht hat es sich so angefühlt,

als acht Lieder von Martin Luther und anderen

vor 500 Jahren in einem ersten Liederbuch der Reformation

erschienen sind.

Das war ein Liederbuch für eine neue Zeit.

Reformatorische Grundgedanken -

einfach zu singen,

teilweise auf bekannte Melodien,

wie sie damals

auch hier in den Gassen Wittenbergs

gesungen wurden.

In der Alltagssprache der Menschen

fassten sie in Worte,

was die Menschen bewegte,

welche Fragen sie hatten

und inmitten alldessen

ihre Beziehung zu Gott und den Menschen.

 

Was für eine Aufbruchstimmung muss das gewesen sein,

wie beseelt und wie reich angefüllt mit Hoffnung

- abound in hope -

mögen die Menschen gewesen sein,

von dem neuen Lied,

das sie mit der Reformation angestimmt haben:

Nicht du musst dich und dein Leben rechtfertigen,

wie sollte das auch gehen.

Es zieht dich doch nur immer tiefer hinein,

und wird doch nicht zu bewerkstelligen sein.

Ganz unglücklich und unfrei macht es dich.

Statt dessen ein neues Lied:

Nein, nicht Du musst dich und dein Leben rechtfertigen,

Sondern Gott rechtfertigt dich.

Hat es schon längst getan.

Aus unbeirrbarer Liebe zu dir und allen seinen Geschöpfen.

Einfach so:

Aus Gnade allein.

An seinem Sohn, an Christus, kannst du das erkennen.

Er ist das Zeichen.

Das einzige.

Allein Christus.

Weil er Gottes Liebe verkörpert,

mit seinem Leben dafür einsteht,

sich selbst dafür hingegeben hat,

und nicht einmal der Tod dem ein Ende bereiten konnte,

so wie es geschrieben steht.

Allein in der Schrift.

Darauf kannst du trauen,

dich fest darauf verlassen.

Allein durch den Glauben,

mehr ist nicht nötig.

 

Wenn du diese Botschaft in deine Seele lässt,

wenn sie für dein Leben wirklich bedeutend wird,

wie sollte da nicht das Herz fröhlich hüpfen und springen,

vor Aufregung und Glück?

„Nun freut euch, lieben Christen g’mein,
und lasst uns fröhlich springen,
dass wir getrost und all in ein
mit Lust und Liebe singen,
was Gott an uns gewendet hat
und seine süße Wundertat;
gar teu’r hat er’s erworben.“

Worte aus einem der neuen Lieder

für eine neue Zeit damals,

Worte von Martin Luther im Acht-Lieder-Buch von 1524.

 

Und heute, 500 Jahre später?

Wo die Reformation nicht mehr ein wittenbergisches Kindlein,

sondern längst eine erwachsene Weltbürgerin geworden ist?

Zu Hause nicht nur in Europa,

sondern auf allen Kontinenten,

in so vielen Sprachen,

lebendig gelebt in den 150 Mitgliedskirchen des Lutherischen Weltbundes.

Welche neuen Lieder sollen heute gewagt werden?

Nach welchen Liedern sehen wir uns?

Was sind die Sorgen, die Ängste und Zweifel,

was sind die Visionen und Hoffnungen

in unserer lutherischen Weltgemeinschaft heute?

Nicht nur für uns,

sondern für alle Menschen,

an die wir gewiesen,

mit denen wir unterwegs sind durch das Leben,

Und ebenso für alle Geschöpfe Gottes,

mit denen wir zusammen dieses wunderbare,

verletztliche Leben auf Gottes Erde teilen dürfen?

 

Das Global Songbook trägt sie zusammen,

die neuen Lieder,

die gewagt, gesungen, gesummt werden.

Die angestimmt werden inmitten

globaler Krisen und gemeinsamer Hoffnung

auf Gerechtigkeit, Frieden und Barmherzigkeit.

Lieder, die Worte leihen,

wo es schwer fällt,

eigene Worte zu finden.

Lieder der zärtlichen Nähe

und des trotzigen Mutes,

wiegende und tanzende Melodien.

Ach - und alle, alle schließen sie das Herz auf.

Das geängstigte, zweifelnde

wie das übermütige.

 

Danke von Herzen

für diesen Schatz aus unserer Gemeinschaft!

Danke von Herzen an alle,

die diesen Schatz gehoben haben,

insbesondere an Sie, lieber Uwe Steinmetz,

und an alle, deren Namen jetzt nicht genannt werden,

und die mit ihnen zusammen an diesem so großartigen Projekt gearbeitet haben.

Von Herzen Dank an alle,

die ihre Lieder mit uns teilen.

Lieder, die unmittelbar vermitteln,

wie Menschen dem, was sie bewegt,

spirituell Ausdruck verleihen und

so dazu einladen, darin miteinzustimmen.

 

Jetzt gilt es,

diesen Schatz des Global Songbook zu heben.

Und das bedeutet,

ihn nicht sorgsam zu verschließen,

Sondern Gebrauch von ihm zu machen,

ihn zu teilen, weiterzugeben, weiterzusingen.

Lieder anzustimmen inmitten

der Sorgen, Ängste und Gefahren unserer Zeit.

Lieder für die Hoffnung unseres Glaubens,

die allein in Christus wurzelt.

Lieder, die das Herz öffnen

und aufrecht und frei leben lassen.

Lieder der Pilgerschaft und des unterwegs-sein,

Lieder der Freiheit und der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Frieden,

Lieder der Zugehörigkeit, des Ankommens und einer Gemeinschaft,

in der wir alle zu Hause sind.

 

Das Global Songbook soll und wird Brücken bauen -

unter uns in der lutherischen Weltgemeinschaft

und hin zu anderen Menschen.

Es wird und soll Brücken schlagen zu Gott,

es wird uns helfen,

unserem Glauben singend in vielfältiger Weise

Ausdruck zu geben.

Wie wunderbar!

500 Jahre nach der Reformation,

für die diese Stadt Wittenberg so ein wichtiges Zentrum war,

gehen heute von Wittenberg aus

Lieder aus der ganzen Welt in die ganzen Welt,

schaffen Verbindung und Gemeinschaft in einer Welt,

die immer mehr auseinderzudriften scheint.

Lasst uns deshalb nicht in das Lied der Trennung einstimmen,

sondern lasst uns wagen,

neue Lieder der Verbundenheit,

der Liebe und der Barmherzigkeit zu singen,

Lieder der Hoffnung auf Gottes neue Welt

des Friedens und der Gerechtigkeit -

die sich begegnen, küssen und uns umarmen

in den weit ausgebreiteten Armen

des gekreuzigten und auferstandenen Christus.

 

Vielleicht geht es dann so,

wie es die Dichterin Mary Oliver beschrieben hat -

Ich lese ihr Gedicht in englischer und deutscher Sprache:

 

I Worried 

I worried a lot.
Will the garden grow,
will the rivers flow in the right direction,
will the earth turn
as it was taught,
and if not how shall
I correct it?

Was I right, was I wrong,
will I be forgiven, can I do better?
Will I ever be able to sing,
even the sparrows can do it and I am, well,
hopeless.

Is my eyesight fading or am I just imagining it,
am I going to get rheumatism,
lockjaw, dementia?
Finally, I saw that worrying had come to nothing.
And gave it up.
And took my old body
and went out into the morning,
and sang.*

 

Ich sorgte mich
Ich sorgte mich um vieles.

Wächst der Garten,

fließen die Flüsse in die richtige Richtung,

dreht die Erde sich, wie man sie lehrte,

und wenn nicht,

wie soll ich es korrigieren?

Hatte ich recht, lag ich falsch,

wird man mir vergeben,
kann ich etwas besser machen?
Werde ich je fähig sein zu singen?

Selbst die Spatzen
sind dazu in der Lage, und ich, nun ja,
hoffnungslos.

Schwindet mein Augenlicht oder bilde ich mir das nur ein,
bekomme ich Wundstarrkrampf,

Rheuma oder Demenz?

Am Ende erkannte ich, dass sich sorgen nichts bringt.
Und ich gab es auf.

Und nahm meinen alten Körper,

ging hinaus in den Morgen

und sang.

Ja, liebe Geschwister,

in aller Sorge und aller Bedrängnis,

singt, singt und vergesst nicht:

Himmel, Erde, Luft und Meer

zeugen von des Schöpfers Ehr;

meine Seele, singe du,

bring auch jetzt dein Lob herzu.

Amen.

 

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