30. September 2016 | St. Lorenz-Kirche zu Travemünde

„Sehnsucht nach Frieden“

30. September 2016 von Kirsten Fehrs

Gottesdienst zur 14. Tagung der Landessynode

Liebe Schwestern und Brüder,

vor kurzem fiel mir ein kleiner Gedichtband in die Hände, in dem ich lange nicht mehr gelesen hatte. Gesammelte Gedichte von Erich Fried, dem großen Lyriker, der im Namen des Friedens auch ein großer Stören-Fried war. Darin finden sich so schöne Worte wie dieses:

Weltfremd
(folgt Gedicht – kann aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht werden)

Übrigens eine Replik auf den von mir sehr verehrten Helmut Gollwitzer.

Ich habe weitergeblättert, mich festgelesen, mich erinnert. An die Friedensgruppenzeit Anfang der 80-er. Im Stadtteil Wellingsbüttel in Hamburg. Da entstand eine Dynamik für sich - auf einmal waren da die unterschiedlichsten Menschen auf einem pilgrimage of peace unterwegs, die wohl ansonsten kaum etwas miteinander anfangen konnten. Die marxistisch-leninistischen, freiheitlich-demokratischen bis hin zu konservativ Kirchenfrommen – alle waren sie in einem Raum, wie das Evangelium sagt. Viele von uns hier ja auch. Gemeinsam unterwegs in Mutlangen, Bonn, Hamburg. Von Lähmung keine Spur. Vielmehr Aufbruch! Das Ziel war klar. Dringlich. Aufs Dach gestiegen wurde der Politik eines Nato-Doppelbeschlusses, heruntergelassen die Fassade der Aufrüstungslogik. Auf dem Kirchentag in Hannover 1983 gehen lilabetucht Tausende auf die Straße: „Umkehr zum Leben“ hieß die Losung.

Im Osten derweil ein anderes Motto: Schwerter zu Pflugscharen. Ich erinnere die Gespräche mit euch, liebe Geschwister aus Schwerin und Greifswald, als sich der Mauerfall zum 25. Mal jährte. Wie unsere alten biblischen Verheißungen in den 80-ern  tatsächlich in den Menschen etwas ausgelöst haben, sich nicht mehr abzufinden mit der Lähmung. Widerstand zu leisten – offensiv und subversiv, gefährdet, mit Kerzen und Gebeten. Und Christian Führer in Leipzig hört man noch - mit den Seligpreisungen in Ohr und Herz.

Die Welt hat sich weitergedreht seither, immer schneller, verworrener. Und ich gebe zu, ich vermisse bisweilen diese Zeit fürs vitale Diskutieren, auch zwecks Vergewisserung, und ich vermisse Dichter wie Erich Fried. Zerlesene Bücher, mit Hoffnungsseiten und Richtungsworten.

Denn „meine engen Grenzen“, „meine ganze Ohnmacht“ sind mir, und ich glaube uns allen in der Debatte heute Morgen wieder sehr bewusst geworden. Angesichts dieser Gewalt, die diese Welt zerreißt. Wie sieht unser Friedenszeugnis aus angesichts von Kriegen, die kaum noch als klassische Konflikte zwischen Staaten daherkommen, sondern als eine Mischform aus Bürgerkriegen und bewaffnetem Aufstand, aus Terrorismus und Drohnenattacken? In denen kein Schutz der Schwächsten mehr gilt, sondern gerade jene am meisten bluten müssen, die sich am wenigsten schützen können vor den Bomben, die in Wohngebiete und auf Krankenhäuser geworfen werden? An wen richten sich überhaupt unsere Appelle? Und: Wie können wir selbst auf Gewalt nicht nur verzichten, sondern ihr wirksam Einhalt gebieten?

Ein Wald von Fragezeichen - aber soll man vor lauter Fragen gar keine Antwort wagen? Ein zweites Gedicht von Erich Fried:

Der Nichtssagende
(folgt Gedicht – kann aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht werden)

Im besten Sinne vielsagend war es heute Morgen im Gespräch in den Vorträgen und mit Euch, liebe Geschwister. Weil wir alle nicht die einfachen Antworten wollen. Und weil wir um die differenzierten gerungen haben. Wir wollten, so habe ich es wahrgenommen, wenigstens über den unendlich großen Abstand zwischen Verstand und tiefem Gefühl, Kopf und Herz sprechen! Denn wir alle hören doch die Stimmen der Verfolgten und der Opfer, zum Beispiel der Christen und Jesiden, vor allem der Frauen. Vielleicht hat jemand von Ihnen vor zwei Wochen den ergreifenden Auftritt der Jesidin Nadia Murad vor dem UN-Sicherheitsrat wahrgenommen. Monatelang war sie als Sexsklavin in der Gewalt von IS-Kämpfern. „Tausende Frauen und Mädchen sind noch gefangen“, sagte sie. „Machen Sie endlich ein Ende mit dem Islamischen Staat! Stellen Sie die Verantwortlichen vor ein Gericht!“  

Wird es gehen, das Recht ohne Gewalt durchzusetzen? Ob man nun Schutzzonen, Hilfslieferungen, ein UN-Mandat fordert – wie soll das gehen ohne zumindest die Androhung von Waffengewalt? Immer wieder das bedrückende Dilemma: Dass wir schuldig werden, gleich, was wir tun. Oder lassen. Martin Luther sekundiert: „In Bezug auf dich und das deine hältst du dich nach dem Evangelium und leidest Unrecht als ein rechter Christ, in Bezug auf den andern und das Seine hältst du dich nach der Liebe und duldest kein Unrecht gegen deinen Nächsten.“

Das ist ein kluger Satz, den dürfte man gern öfter hören in reformationsjubelnder Zeit. Und doch ist er mir so für sich genommen fast zu ausgewogen. „Sich an das Evangelium halten“, das hat den Vorrang! Der Friedefürst selbst will uns Rückenwind sein bei der Suche nach Recht und Gerechtigkeit. Vielleicht muss ich in Ausnahmesituationen den Nächsten auch mit Gewalt schützen, aber ich will dabei nicht stehen bleiben, mich nicht zufriedengeben, sondern weiter denken. „Aber man kann doch nicht nichts tun!“ – so wird es den pazifistisch Gesinnten stets entgegengehalten. Zurückgefragt: Ist das denn nichts? Immer wieder zu erinnern, zu ermahnen, ins Herz zu senken, zu beten, zu denken, zu überlegen: Wie ist Gewaltfreiheit möglich? Wie Waffenexporte verhindern? Wie Konflikte ohne Waffen zu lösen?

Wir hören dazu den Predigttext für den 19. Sonntag nach Trinitatis aus dem Epheserbrief:

Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel, der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet. Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit. Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. Zürnt ihr, so sündigt nicht; lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen und gebt nicht Raum dem Teufel. Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit. Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

So viele Imperative. Aber sie sind so schön schlank. Klar. Erleichternd – der Briefeschreiber gibt Antwort, den zerstrittenen Christen in Ephesus. Und uns. Die wir heute so intensiv gehört, ja erlebt haben, dass gerechter Friede eine Lebenshaltung ist. Keine Parole. Sondern Glaubenszeugnis. Es gibt ein Gegenprogramm zum Krieg. Eine Antwort. So konkret, wie es hier im Predigttext steht.

Gerechter Friede. Seit dem Sommer bin ich, ich gestehe es, vom EKD-Rat berufen worden, dem Friedensbeauftragten der EKD, Renke Brahms, in einer komplizierten Aufgabe nachzufolgen: „Vorsitzende des Beirates der evangelischen Seelsorge in der Bundeswehr.“ Ganz bewusst ist das ja so eingesetzt: Die Friedensethik soll den Vorsitz haben, nicht die Kriegsermöglichung auf ethischem Umweg.

Das ist wie eine andere Welt. Da bin ich tatsächlich welt-fremd. Diese Welt ist bestimmt von einer Hierarchie, die wir nun wirklich nicht kennen, mit lauter Ansagen, Durchsagen, Beförderungsappellen – mit ganz eigenem Vokabular. Ich habe dabei auch gelernt, wie sich die Auslandseinsätze aus der Sichtweise der Soldat/innen als sehr umstritten darstellen. Angesicht der vielen Traumatisierten, die aus den Einsätzen zurückkehren und bei denen Körper und Seele bleibend verletzt sind. Der Bundestag beschließt – und sie müssen dahin. Wissend, dass es nicht nur darum geht, humanitäre Hilfe zu leisten und Flüchtlinge aus den Schlepperbooten zu holen. –

Die Frage des gerechten Kriegs – ich habe sie nirgends gehört. Ernüchtert geht es im Gegenteil um eine gemeinsame Idee, wie denn gerechter Friede werden kann. Dass dabei in der Bundeswehr andere Gewichtungen herrschen, d‘ accord, aber die reine Kriegsmaschinerie – wirklich nicht. Eher auch dort Ratlosigkeit: Sind wir Entwicklungshelfer, nur bewaffnet? Oder Teil einer Weltpolizei? Oder Instrument einer Außenpolitik, die wir nicht verstehen? Schon wieder: Viele Fragezeichen.

Wir sind es auch ihnen schuldig, liebe Geschwister, klar zu sagen: Das Evangelium tritt für den Frieden ein. Ja, es will den Frieden sogar auch auf Kosten des Rechts, jedenfalls meines eigenen Rechts. Ganz konkret, ja schmerzlich genau beschreibt dies der Autor des Epheserbriefes, wenn er ohne Umschweife benennt, was für den Unfrieden verantwortlich ist: Legt die Lüge ab und redet die Wahrheit.Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch samt aller Bosheit.

Das ist doch nicht nur eine Haltung fürs Private, die Familie. Das ist ein politisches Programm, ja eine Grundlage für zivile Konfliktlösung. Die Wahrheit reden, das ist überhaupt die Grundvoraussetzung, um Vertrauen zu bilden. Nicht nachtragend zu sein, nicht am nächsten Tag wieder dem anderen das vorhalten, was am Vorabend doch schon geklärt war. Und vor allem Geschrei und Lästerung bleiben zu lassen. Welch gute Botschaft in einer Zeit des schrankenlosen Postings und bösartiger Übergriffe auf Bürgermeister, die sich für Flüchtlinge einsetzen…. Besorgniserregend, diese enthemmten Aggressionen.

Gegenhalten, heißt es. Konsequent positiv. So wie es im Epheserbrief am Ende steht: Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern, wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Freundlichkeit, Herzlichkeit, Vergebung – ein wunderbarer Dreiklang. Unendlich viel zarter als jede politische Trias, seien es „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ oder „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Weil Freundlichkeit, Herzlichkeit und Vergebung etwas ist, was zunächst in jedem Menschen selbst entsteht - und was dann nach außen strahlt wie ein heller Schein. Genährt wird dieses Licht von einem inneren Feuer, das Jesus Christus in uns entzündet hat: Von der Liebe. Nur sie besitzt genug Kraft, um wirklichen Frieden zu erreichen. Und nur sie ist sanft genug, den anderen nicht zu überrumpeln. Sie ist ebenso Wagnis wie Veränderung – sie ist Stille, Unterbrechung, Aufbruch und unerhört positiv. Sie ist halt, was sie ist….

Was es ist
(folgt Gedicht – kann aus urheberrechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht werden) 

Mit und in dieser Liebe haben wir eine unerhörte Kraft als Kirche. Als eine Gemeinschaft, die – wie Fernando Enns sagte - die große Freiheit hat, der Liebe stattzugeben, mit der Jesus uns in die Welt gesandt. Damit wir die werden, die wir sein sollen:

Gerichtet mit unseren Füßen auf den  Weg des Friedens.
Immer wieder neu.
Durch Jesus Christus, unseren Herrn und Bruder.
Amen.

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