Solches Sorgen erfüllt, macht Freude
07. September 2018
Predigt im Eröffnungsgottesdienst der Generalversammlung
Predigttext
Matthäus 6, 25 – 34
25 Darum sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?
26 Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?
27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?
28 Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
29 Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.
30 Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?
31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden?
32 Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.
33 Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.
34 Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.
I
Liebe Schwestern und Brüder!
Mal ehrlich gesagt: ich kümmere mich gern um solche Sachen wie Kleidung. Ich streife gern durch Herrenbekleidungsgeschäfte. Das ist für mich Entspannung. Ich kaufe auch gern ein und sorge für unser tägliches Wohlergehen: was essen wir, was trinken wir? Ich stehe gern in der Küche.
Solches Sorgen erfüllt, macht Freude.
Aber ja auch nur, weil ich weiß: die Fülle, die mir so gut tut, die ist nicht selbstverständlich, nicht von mir.
Wir in der Ökumene erleben ja auf der anderen Seite genügend Situationen – auf unseren Reisen zu den Partnergemeinden etwa, die davon geprägt sind, dass man sich sorgt, ob es genug gibt. Wie man sammelt, damit genug da ist.
Und manche Sorgen lassen einen ja auch einfach nicht los, haben uns fest in den Krallen. Sind nach unruhigem Schlaf doch wieder da. Überdauern auch manches Gebet.
Und ich denke oft: wie wird das morgen? Wie soll ich das schaffen?
Und dann ist es gut, erinnert zu werden. Zurück geführt auf den Kern: du hast, was dir Sorgen bereitet nicht in der Hand letztlich. Aber da ist einer, in dessen Hand passt mehr hinein als in deine. Da ist einer, der weiß, was passiert. Und der weiß, was gut ist für dich.
Unser Predigttext ist eine Zumutung. So einfach die Sorgen Sorgen sein zu lassen - das ist wirklich viel verlangt. Uns fallen doch sofort so viele Sorgen ein, die wir nicht einfach lassen können: ich denke an den plötzlichen Tod von Tim Voss und ich denke an seine Familie: was wird werden? Ich denke an die Ereignisse in Chemnitz, an den barbarischen Mord und an die Hetzjagd auf alle, die nicht aussehen wie wir. Ich kann das nicht vergessen. Und will es nicht vergessen.
Wir kommen in unserem Leben immer an Punkte: da wissen wir nicht mehr weiter. Doch Jesus mutet uns eine Haltungsänderung zu: Lasst euch nicht erdrücken und herunterreißen von dem, was belastet, was unklar und nicht durchschaubar ist. Das ist noch nicht alles. Gott weiß, was wir brauchen. Darum: den Blick von uns selbst weg und hin auf ihn richten.
Das nämlich ist der radikale Hintergrund, auf dem unser Abschnitt aufscheint: „Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben, oder er wird an dem einen hängen und den anderen verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ – so sagt Jesus seinen Jüngern zuvor. Entscheidet euch. Wem leben wir. Woraufhin leben wir. Von wem her leben wir? Das stellt alles in Relation und richtet alles aus: alles Denken, alles Tun, alles Beten.
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen!“ Alles: was ihr braucht. Was nötig ist. Nicht einfach vergessen, was schwer ist. Aber doch in andere Hände geben, in Gottes Hände. Damit die eigenen frei werden, anzupacken das Werk der missio dei.
Nach Gottes Reich zu trachten ist nichts Abstraktes, nichts Fernes. Ich denke an den Brief aus Südafrika, der uns erreichte nach dem Tod von Tim Voss. Da klang tiefe Traurigkeit, Fassungslosigkeit an. Aber vor allem Trost und die Gewissheit, dass Gott alles Leben birgt über den Tod hinaus. Und dann: festhalten an dem, wofür wir gemeinsam unterwegs sind, gesandt, das Reich zu bauen.
Es hat schon längst begonnen – in jeder Antwort von uns auf das Senfkorn der Liebe, das Gott der Welt eingepflanzt hat. In jedem Eine Welt Laden, in jeder Partnerschaft mit einer Kirchengemeinde auf der Südhalbkugel, in jedem Projekt gegen Dürre und Überschwemmung trachten wir nach dem Reich Gottes und setzen kleine Zeichen davon, weil Jesus selbst das große Zeichen ist: dass Tod und Verzweiflung nicht das letzte Wort haben werden.
„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit“ – das ist das Credo unserer missionarischen und ökumenischen Arbeit!
Kirche ist immer Kirche an einem Ort, und zugleich Teil der einen großen globalen Gemeinschaft von Christen und Christinnen, verbunden mit Geschwistern in aller Welt, mit denen wir den einen Glauben an Jesus Christus teilen. Die Ortsgemeinden und auch unsere Landeskirche sind „Provinzen der Weltchristenheit“, eingebunden in die große Schar von Menschen, die vom Evangelium berührt worden sind und sich stets neu berühren lassen.
Als Teil der weltumspannenden Kirche Jesu Christi sind wir in Gemeinschaft mit den Christen weltweit.
Nehmen Verantwortung nicht paternalistisch „für sie“, aber Verantwortung „gegenüber ihnen“ wahr: in Entwicklungsprojekten oder bei der Katastrophenhilfe etwa. Auch durch unsere starken Netzwerke der Partnerschaften in aller Welt. Sie allein schon konfrontieren uns in den Ortsgemeinden, Diensten und Werken mit der globalisierten Gerechtigkeits-Thematik! Gesandt sind wir in alle Welt und in die ganze Gesellschaft. Deshalb sind wir immer Kirche mit und für die Welt, aber nicht von der Welt, weil wir unseren Glauben und unsere Hoffnung haben nicht von dieser, sondern von der zukünftigen Welt Gottes: seinem Reich, das in das Jetzige schon hineinragt.
II
Diese ökumenische, auf die ganze Menschheit bezogene Dimension war der Kirche nie etwas Fremdes. Sie ist dem Wesen des christlichen Glaubens von seinen Anfängen an eingeschrieben. „Beides,“ – so schreibt der große ökumenische Theologe Ernst Lange – „Beides: Einigung der Kirche und Einigung der Menschheit, steht in einem Zusammenhang. Die Kirche, die in Christus gründet, ist die Vorwegnahme, der Entwurf, das Anzeichen der Zukunft der Menschheit, ihrer Erneuerung und ihres Friedens.“ Und beides ist nur möglich wenn wir trachten nach Gottes Reich und seiner Gerechtigkeit.
Diese Forderung des Evangeliums will, dass wir den Mund auftun für die Schwachen und Elenden; dass wir streiten für Wahrheit und Gerechtigkeit; dass wir teilen; einander und den Fremden begegnen mit Respekt und die Würde jedes Menschen unangetastet lassen. Sie will, dass wir verstehen: warum für viele Europa solch ein Sehnsuchtsort ist - von Afrika aus, vom Mittleren Osten: da sind Frieden und Freiheit; da sind Gerechtigkeit und Recht. Da ist Respekt vor der Würde. Da ist der Traum von der Einheit der Verschiedenen.
III
Das buchstabiert sich in ganz konkreten Aufgaben und Herausforderungen für uns, für das ZMÖ, für die Generalversammlung. Und Sie haben sich dem in den letzten Jahren gestellt.
Heute und morgen – die letzte Tagung dieser Generalversammlung. Die jetzt zu Ende gehende Amtsperiode ist kurz. Etwa drei anstatt wie in der Satzung vorgesehen sechs Jahre dauert sie nur. Ihnen, den Delegierten, gebührt besonderer Dank, dass Sie sich für Ihre intensive, viel Einarbeitung verlangende Aufgabe für einen nur kurzen Zeitraum zur Verfügung gestellt haben. Sie, die Delegierten aus den Kirchenkreisen, dem Missionskonvent, der Landessynode und dem Verein der Freunde der Breklumer Mission in Nordschleswig.
Unsere heute beginnende Generalversammlung ist eine Tagung des Rückblicks und des Ausblicks. Die Rückschau und das Mitgestalten von Zukunft werden sich heute und morgen verschränken. Denn wir erkennen nur wohin wir gehen, wenn uns bewusst ist, woher wir kommen, und die Bedeutung der Vergangenheit kann uns nicht deutlich werden ohne den Blick in die Zukunft, auf das Reich, auf das hin Gott uns führen will.
Wichtige, genauso bedrängende wie zukunftsweisende Themen haben wir in den letzten drei Jahren gemeinsam hier in Breklum diskutiert: im April 2016 die furchtbare Lage der Christen im Mittleren Osten, gerade im Nordirak und in Syrien. Im September 2016 ging es um Heilung für Mensch und Gemeinschaft am Beispiel Indiens. Im September 2017 haben wir auf die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Windhoek zurückgeschaut, uns deren Credo zu eigen gemacht, dass Schöpfung, dass Menschen, dass Erlösung für Geld nicht zu haben sind. Nun, im September 2018, steht im Mittelpunkt die Wahl eines neuen Direktors, und auch die Verabschiedung und der Dank an Sie: die Generalversammlung.
IV
Dass die Kirche der Zukunft eine ökumenische oder überhaupt keine mehr sein wird – diese Mahnung und Vision Ernst Langes verbindet Klaus Schäfer und mich. In seinem Dienst als Direktor des NMZ und des ZMÖ finde ich dieses Wort wunderbar bestätigt und mit Leben gefüllt: Der Leib Christi ist nicht vollständig, wenn die Perspektive über die eigenen Grenzen hinaus fehlt. Klaus Schäfer steht für diese „Mission als Begegnung“. Du bist nie müde geworden, darauf zu bestehen, die Stimme unserer Partner zu hören, von ihnen zu lernen, mit ihnen Kirche zu bauen. Für dich beginnt Mission mit dem Hören auf die Andere, den Fremden, die Fernen. Das bringst du mit Herzblut in die missionarischen und ökumenischen Strukturen unserer Kirche ein. Dafür danke ich dir schon jetzt.
Strukturdiskussionen haben uns beschäftigt und werden die, die nach uns kommen, weiter beschäftigen, besonders im Vorstand: Da geht es um das ZMÖ im Hauptbereich; seine Verschränkung mit anderen Arbeitsbereichen im Feld der Ökumene. Ziel ist dabei, dass die nordkirchlichen ökumenischen Einrichtungen einander nicht überfordern, eine gute Arbeitsteilung und Abstimmung haben, und miteinander wertschätzend zusammenarbeiten.
Die Jugendpartizipation ist in den letzten Jahren ein wichtiges Thema geworden. Der Vorstand hat zwei junge Leute als ordentliche Mitglieder in den Vorstand berufen. Es wäre schön – und daran wird ja inzwischen auch stark gearbeitet - wenn in der Generalversammlung und in anderen Gremien die Repräsentanz von Jugendlichen noch deutlicher erkennbar würde.
Die vergangene Periode brachte auch für den Vorstand eine neue Konstellation: Nach beinahe 20 Jahren Engagement war Propst Jürgen Bollmann als Vorsitzender ausgeschieden. Zu seinem Nachfolger in den Vorsitz des Vorstands wurde Propst Stefan Block gewählt. Du hast dich intensiv in alle Facetten der Aufgaben des ZMÖ eingearbeitet. Ich bin sehr dankbar, dass wir einen so engagierten, verantwortungsbewussten und umsichtigen Vorstandsvorsitzenden haben.
Wir leben in unserer Kirche und auch im ZMÖ im Augenblick in einer Situation des Übergangs: Eine Generation tritt ab, es werden neue, jüngere Personen Aufgaben übernehmen und das ist gut so, trotz mancher Wehmut, die damit verbunden ist. Auch ein neuer Leiter des Dezernats Mission, Ökumene und Diakonie im Landeskirchenamt wird gewählt werden. Wolfgang Vogelmann danke ich für die Wegstrecke, die er mit uns gegangen ist. Für seine Gabe, wichtige Themen hervorzuheben ohne einem gleich die ganze Welt erklären zu wollen, für seine Bereitschaft, in Konflikten Position zu beziehen und für seine klare, theologisch und geistliche Leitung des Dezernats.
Altgediente Referentinnen und Referenten des ZMÖ gehen in den Ruhestand oder übernehmen neue Aufgaben. Hier spüren wir, dass es eine Herausforderung ist, immer wieder Personen zu motivieren, sich im Bereich von Mission und Ökumene zu engagieren – bei uns genauso wie als Mitarbeitende für einen Dienst in unseren Partnerkirchen. Dass auch ich im kommenden März in den Ruhestand treten werde ist kein Geheimnis und ich bin mir sicher, dass dann aus dem Bischofsrat eine neue Person mit gleicher Begeisterung die Verantwortung im Blick auf Mission und Ökumene übernehmen wird.
Es gibt viele spannende Zukunftsfragen und Zukunftsaufgaben für alle, die ehren- und hauptamtlich für Mission und Ökumene brennen: die Partnerschaftsarbeit, diese Arbeit, die unsere Kirche stark mitgeprägt hat, wird sich verändern; viele Engagierte sind in die Jahre gekommen, junge Leute suchen nach neuen Engagementformen. Dieses Paradigma braucht neue Visionen, vielleicht eine stärkere Orientierung an Themen.
Der interreligiöse Dialog ist schwieriger geworden, weil er von vielen politischen Fragen – etwa der Politik in der Türkei oder der Menschenverachtung radikaler Islamisten – überlagert wird. Doch Populismus und Fremdenfeindlichkeit sind keine Antworten darauf. Vielmehr bleibt die Gestaltung eines friedlichen Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen eine wichtige Zukunftsaufgabe.
Unsere Kirche ist in einem Prozess der interkulturellen Öffnung. Die Kirchenleitung hat dazu ein Grundsatzpapier verfasst und gerade gab es einen Zukunftskongress dazu mit über 150 Teilnehmern. Hier geht es zum Beispiel um die Frage: Wie bestimmen wir interkulturelle Öffnung im Verhältnis zu unserem evangelischem Profil? Ist eine erneuerungsfähige, interkulturelle Kirche nicht erst dann einladend und attraktiv, wenn sie beides ins Gespräch bringt: Beheimatung und Bewegung?
Gerade das ZMÖ kann in diesen Prozess viel einbringen an interkultureller Erfahrung und Kompetenz. Durch über dreißig Partnerschaften zu Kirchen weltweit, die es organisiert, und so die Nordkirche in ein Netzwerk von Christinnen und Christen auf der ganzen Welt einbindet. Durch all die Menschen, die sich in Partnerschafts- und Weltladen-Gruppen zu Themen wie Flucht, Migration und weltweite Ungerechtigkeit engagieren, durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, durch Freiwillige, die eine Zeit in Partnerkirchen verbringen, wertvolle interkulturelle Kompetenzen erwerben und sie hier bei uns einbringen.
Loslassen gehört zum Anpacken dazu. Wir geben all unser Mühen und Anfangen in Gottes Hände – er wird sorgen für uns und die, die da kommen. Und er wird uns halten bei seinem Wort, das höher ist als alle Vernunft.
Amen