12. Januar 2021 | Greifswald

Sollen kirchliche Mitarbeitende beim Suizid assistieren?

12. Januar 2021 von Tilman Jeremias

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 zum Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung veröffentlichte die FAZ am 11. Januar 2021 einen ausführlichen Artikel über den assistierten Suizid aus in Theologie und Kirche prominenter Feder: Reiner Anselm, Theologieprofessor in München und Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, verfasste ihn gemeinsam mit der namhaften Theologieprofessorin Isolde Karle und dem Diakoniepräsidenten Ulrich Lilie.

Am 11. Januar veröffentlichte die FAZ einen ausführlichen Artikel über den assistierten Suizid aus in Theologie und Kirche prominenter Feder: Reiner Anselm, Theologieprofessor in München und Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, verfasste ihn gemeinsam mit der namhaften Theologieprofessorin Isolde Karle und dem Diakoniepräsidenten Ulrich Lilie.

Darin ist zu lesen, dass es Aufgabe kirchlicher und diakonischer Mitarbeitender sein sollte, Menschen beim Suizid zu unterstützen, die sich nach reiflicher Abwägung dazu entschlossen haben, ihrem Leben ein Ende setzen zu wollen. Grund für dieses Angebot an Unterstützung ist aus Sicht der Verfasser*innen, dass die Selbstbestimmung des Menschen auch den frei gewählten eigenen Tod einschließt.

Diese Einschätzung kann sich nicht nur auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum assistierten Suizid stützen, sondern entspricht auch der Mehrheitsmeinung der Zuschauer*innen beim ARD-Projekt „Gott“ von Ferdinand von Schirach.

Dennoch hat sich die EKD selbst noch am gleichen Tag von dieser Position deutlich distanziert, zahlreiche Stimmen aus Kirche und Diakonie folgten. Und das, wie ich meine, aus gutem theologischem Grund.

Die Argumentation des FAZ-Artikels fußt auf der menschlichen Autonomie als gottgegebener Grundannahme, die als geradezu konstitutiv für die Menschenwürde eingestuft wird. Und nimmt dabei an mehreren Stellen für sich in Anspruch, im Namen evangelischer Ethik sprechen zu können. Evangelische Ethik konstituiert sich jedoch auf der Grundlage der Heiligen Schrift, die in diesem Artikel nicht zurate gezogen wird.

Zweifelsohne ist dabei der Bibel die menschliche Freiheit ein hohes Gut — der Begriff der Selbstbestimmung ist ihr jedoch fremd. Vielmehr ist die Würde des Menschen nach biblischem Verständnis gerade nicht in dessen Autonomie begründet, sondern darin, dass der Mensch Geschöpf und Ebenbild Gottes ist. Kein Mensch hat sich selbstbestimmt ins Leben gerufen. Gott hat jedes menschliche Wesen im Mutterleib gebildet und ihm bei der Geburt den Lebensodem eingehaucht. Als seinem Bild verleiht Gott dem Menschen das Vorrecht, zu ihm in Beziehung treten zu können.

Der Beginn des Lebens beruht in den Augen der Heiligen Schrift nicht in einem autonomen Beschluss eines Menschen, sondern in Gottes gütigem Schöpferwillen. Folglich ist das Leben nicht einfach menschliche Verfügungsmasse, sondern als Geschenk Gottes heilig und unantastbar. Im Heiligkeitsgesetz des Buches Levitikus ist das Blut als von Gott gestifteter Lebenssaft Realsymbol für diese Unantastbarkeit des Lebens bis hinein in entsprechende Speisegesetze. Wenn das fünfte Gebot das Töten verbietet, benennt es nicht nur eine vernünftige Maxime für menschliches Zusammenleben, sondern legt den Beginn des Dekalogs aus: „Ich bin der Herr, dein Gott!“.

Psalm 104 besingt, wie Gott, der dem Menschen das Leben eingehaucht hat, diesen Odem auch einmal zurücknehmen wird (Ps 104,29f.). Das Lebensende ist mithin wie das gesamte Leben von seiner Geburt an selbstbestimmter menschlicher Verfügung entzogen, ja, es gewinnt Tiefe und Erfüllung erst in der Bezogenheit auf seinen göttlichen Urgrund. Das bedeutet immer auch die Zumutung, mit den Schattenseiten des irdischen Lebens existieren zu müssen, Schmerz, Schwäche oder Einsamkeit.

Wie der Artikel eindrücklich darlegt, können gerade solche Erfahrungen in die Verzweiflung führen, zum Lebensüberdruss und dem Wunsch, sterben zu wollen. Fraglos brauchen Menschen in solchen extremen Lebenssituationen Seelsorge, Begleitung und gute medizinische Versorgung. Die Stärke der christlichen Botschaft ist es, dass uns in der Passion und im Sterben Jesu Christi Gottes Nähe und Schutz gerade im tiefsten Leid zugesagt sind.

Dagegen ist das Konzept einer selbstbestimmten Beendigung des eigenen Lebens eine Illusion, bedeutet doch der Tod an sich notwendiger Weise gerade das Ende jeder Autonomie. Kirchliche und diakonische Mitarbeitende wehren sich zu Recht dagegen, Menschen bei der Umsetzung eines solchen Sterbewunsches zu unterstützen. Der Prophet Elia erhält, als er wegen der Übermacht seiner Feinde nur noch sterben möchte, nicht etwa eilfertige Unterstützung für seinen Suizidwunsch, sondern doppelte Stärkung durch Gottes Engel (1. Kön 19,1-8). Dies scheint mir weit eher im christlichen Sinn handlungsleitend für den Umgang mit Sterbewilligen zu sein als Suizidassistenz.

Seine unverlierbare Würde hat der Mensch als Geschöpf und Ebenbild Gottes unabhängig davon, wie selbstbestimmt er lebt, das Kleinkind ebenso wie der von Demenz oder geistigem Förderbedarf eingeschränkte Erwachsene. Beide, den autonom lebenden wie den hilfsbedürftigen Menschen, verbindet, dass sie ihr eigenes Leben eben nicht in Händen halten; es ist ihnen von Gott geschenkt worden, der es erhält und in dessen guten Händen es zur von ihm gesetzten Zeit auch sein Ziel findet.

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