Theologieprofessor wählt klare Worte beim Thema assistierter Suizid
19. Februar 2021
Die Nordkirche hat ihre digitale Veranstaltungsreihe zum Thema "assistierter Suizid" fortgesetzt. Diesmal erörterte der Marburger Theologieprofessor Dr. Dietrich Korsch den Begriff der Selbstbestimmung und Willensfreiheit – und wählt dabei klare Worte.
Veranstaltungen der Reihe Tiefenschärfe: Anmeldung.
Eingeladen hatte zu der Veranstaltungsreihe unter dem Titel Tiefenschärfe Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt. Zu Gast waren bei dieser zweiten Debatte der Reihe unter anderem der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, zugleich Leitender Bischof der VELKD, sowie Dr. Horst Gorski, Vizepräsident des Kirchenamts der EKD.
Hatte die Auftaktveranstaltung mit dem Verfassungsrechtler Prof. Dr. Michael Germann die juristischen Aspekte des sogenannten assistierten Suizids beleuchtet, knüpfte Korsch unmittelbar an die Frage an, wie der Begriff der Selbstbestimmung und der Willensfreiheit philosophisch, ethisch und theologisch zu verstehen sind.
Aufzeichnung der Veranstaltung
Klare Begriffe ohne Schönfärberei
Mit der Wahl der Begrifflichkeit bezog Dietrich Korsch, Professor für systematische Theologie, von Anfang an Position: Er schlug vor, anstelle vom assistierten Suizid lieber von "Beihilfe zur Selbsttötung" zu sprechen. "Selbsttötung klingt härter, aber auch realistischer und nimmt diese positive Färbung von 'Assistenz'".
Vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht entschieden: Das Verbot des geschäftsmäßig assistierten Suizids verstößt gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung. Korsch stellt kritisch in Frage, woraus das Bundesverfassungsgericht seinen Begriff der Willensfreiheit ableite. Im Grunde, so ist Korsch zwischen den Zeilen zu verstehen, müsse der Gedanke des Bundesverfassungsgerichts von der Maßgeblichkeit der Selbstbestimmung theologisch zu Ende gedacht und damit verändert werden: "Wir sind von Gott unbedingt zur Selbstbestimmung bestimmt", so der evangelische Theologe.
Korsch: Suizid ist keine Form von Selbstbestimmung
Erst dies mache den Menschen autonom, nicht im Sinne einer abstrakten Idee, sondern im Zusammenhang mit der individuellen Lebensgeschichte: "Der Ort, an dem wir von unserer Selbstbestimmung Gebrauch machen, ist die Geschichte unseres leiblichen Lebens", so der Marburger Professor. Selbsttötung sei daher – vom Grundsatz her betrachtet – "Selbstbestimmung im Widerspruch gegen sich selbst". Dies würde ihm die Beihilfe zum Suizid vom Grundsatz her erschweren. Daher bleibe er dabei: "Ich spreche mich deutlich gegen die Beihilfe zur Selbsttötung aus."
Der Suizid, so der Theologe, stelle nicht einen Fall von Selbstbestimmung dar, sondern den Akt, der die Selbstbestimmung endgültig aufhebt. Dies führe die Personen, die um Beihilfe zum Suizid gebeten werden, aber auch die Instanzen, die über die Freiheit der Willensentscheidung entscheiden müssten, in ein ethisches Dilemma. Denn sie müssten paradoxerweise genau die Selbstbestimmung beenden, die sie eigentlich schützen und respektieren wollten.
Kontroverse Stimmen
Als Korsch den Begriff der Schuld für den Fall des Suizids zurückweist, gibt es viele Reaktionen der über 80 Teilnehmenden im Chat. Ob Menschen in einer Situation schwersten Leids überhaupt noch auf die Frage der Willensfreiheit reflektieren könnten, wird Korsch gefragt. Eine andere Person stellt in Frage, inwieweit Einsicht gegen die Angst vor Leid und Sterben helfe. Im digitalen Auditorium wird der Wunsch mancher Teilnehmenden spürbar, ihrem Verständnis von Barmherzigkeit Genüge tun und Sterbenswünschen Einzelner entsprechen zu wollen. Aber – so wenden andere Stimmen im Plenum ein – der Gesetzgeber werde ja verpflichtet, allgemeine Regeln zu erlassen.
Die Selbstbestimmung gründe im Vertrauen auf Gott, so Korsch, und von diesem Vertrauen her bleibe die Kommunikation mit Menschen am Lebensende geprägt. Die "Beihilfe zur Selbsttötung" müsse hingegen auf Dauer mit dem eigenen Gewissen vereinbart werden. Ein "Regelangebot" sei nach seinem Urteil für Christen ausgeschlossen: "Es kann nicht sein, dass ich in ein kirchliches Altenheim gehe und ich weiß, dass nebenan gerade ein ‚assistierter Suizid‘ stattfindet. Und das sollte man auch laut sagen. Wer das möchte, kann das nicht in einem kirchlichen oder diakonischen Haus finden."
Die nächsten Veranstaltungen:
- Mittwoch, 24. Februar, 18.00 Uhr bis 19.30 Uhr: "Assistierter Suizid – Perspektiven aus der Diakonie" mit Prof. Dr. Annette Noller, Oberkirchenrätin und Vorstandsvorsitzende des Diakonischen Werks Württemberg.
- Mittwoch, 3. März, 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr: "Suizidbeihilfe: Professions- und organisationsethische Gesichtspunkte in ökumenischer und europäischer Perspektive" mit Professor DDr. Dr. h.c. Ulrich Körtner, Institut für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Universität Wien, Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien