Treff für Geflüchtete: Zusammen stark
09. August 2023
Im kirchlichen Willkommenskulturhaus (WKH) in Hamburg-Ottensen finden Geflüchtete einen Ort, an dem sie sich mit anderen austauschen und ihre Deutschkenntnisse verbessern können. Doch nicht nur das. Es ist auch ein Ort des Friedens und des gegenseitigen Respekts.
Als Erstes hat Mohammed den Beifuß gefunden. Während der 50-Jährige stolz die beiden zusammenpassenden Memory-Karten hochhält, nimmt Naturführer Holger Bublitz eine echte Beifuß-Pflanze in die Hand und erklärt: „Beifuß hilft bei der Fettverdauung. Man kann ihn zum Beispiel gut bei einem Gänsebraten in die Soße geben.“
Viele Nationen an einem Tisch
An einem regnerischen Nachmittag sitzen im Willkommenskulturhaus (WKH) in Hamburg-Ottensen ein Dutzend Männer und Frauen unterschiedlichen Alters um einen großen Tisch, in der Mitte umgedreht eine Menge Memory-Karten. Um die Karten herum liegen heimische Pflanzen wie Giersch, Brennnesseln oder Spitzwegerich.
Die Menschen am Tisch stammen aus Afghanistan, Syrien und dem Jemen und sind zum wöchentlichen Sprech-Café in den großen Saal des WKH gekommen. Hier wollen sie ihr Deutsch verbessern und sich über verschiedene Themen austauschen.
Bildung als Erlebnis
„Letzte Woche haben wir beispielsweise über die weltweite Ernährungssituation gesprochen“, erzählt Antje Kurz, zuständig für Bildungsarbeit im WKH, vor Beginn des Sprech-Cafés in ihrem Büro. „Heute bereiten wir einen Spaziergang ins Naturschutzgebiet Holzhafen vor.“
„Beifuß gibt es auch im Jemen“, erzählt Mohammed jetzt. Man könne die Pflanze gut auf Wunden oder Stiche legen. Die anderen nicken. Jetzt darf er noch mal zwei Karten aufdecken. „Darf ich auch schummeln?“
Deutschunterricht für alle
Die Stimmung im Saal ist gelöst, es wird viel gelacht. „Die Sprech-Café-Treffen sind sehr persönlich“, erzählt Kurz. Erstaunlicherweise gebe es im WKH auch keine Konflikte zwischen verschiedenen Nationen oder Religionen. „Ich vermute, dass es an der Dankbarkeit der Menschen liegt.“
2013 entstand in dem Haus der evangelischen Kirchengemeinde Ottensen die „Schule ohne Grenzen“, die seitdem Deutschunterricht vor allem für Menschen anbietet, die aufgrund ihrer prekären Aufenthaltssituation keinen Zugang zu regulären Integrationskursen haben. 2017 weitete die Gemeinde ihr Engagement aus und gründete das Willkommenskulturhaus. Sie stellt die Räume im Haus zur Verfügung, Hauptgeldgeber ist der kirchliche Entwicklungsdienst der Nordkirche.
Sprech-Café mit Ehrenamtlichen
Heute gibt es im WKH unter anderem eine Nähwerkstatt, Schwimmkurse und Theaterworkshops. Ungefähr einmal im Monat wird ein Ausflug oder Spaziergang mit einer Biologin oder einem Naturerlebnisführer organisiert. Die Angebote sind für alle offen.
Bei seinen Veranstaltungen möchte das WKH weg vom einseitigen Frontalunterricht und hin zum Lernen voneinander, erklärt Kurz. Dass jeder etwas von den Treffen mitnimmt, ist auch ein Grund für das Engagement der vielen Ehrenamtlichen. Auch beim Sprech-Café sitzen an diesem Tag drei ehrenamtliche Helferinnen mit am Tisch.
Ein Ort für Freunde
Als die Karten zum Löwenzahn aufgedeckt werden, erkennen alle Teilnehmer die Blume: Ja, die gibt es auch in Afghanistan, Syrien und im Jemen. Mahdieh und Nader, beide aus Afghanistan, diskutieren in ihrer Landessprache, dann erklärt Mahdieh auf Deutsch: „Der Name, den die Pflanze bei uns hat, bedeutet 'Bringt Nachricht'“. „Ja, wie Pusteblume!“ freut sich Antje Kurz.
Mahdieh hat gerade ihren Schulabschluss gemacht und wird im Herbst eine Ausbildung als Krankenpflegerin beginnen. Sie komme seit einem Jahr zum Sprech-Café, weil sie hier viel lernen und ihre Sprachkenntnisse verbessern könne, erzählt sie. Aber auch, um mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen: „Wir sind hier aus verschiedenen Kulturen, wir sind zusammen und wir sind Freunde“, sagt die junge Frau.
Nach eineinhalb Stunden hat die Gruppe Giersch- und Brennnessel-Blätter probiert, gelernt, dass man Spitzwegerich auch in Afghanistan gegen Erkältung nutzt und die Nachtkerze ihre Blüten in der Dunkelheit öffnet. „Das hier ist ein guter Ort“, sagt Mohammed zum Abschied.