Trotz allem! Hoffnungs- und Stärkungsgottesdienst für Frauen
27. November 2023
Grußwort von Bischöfin Kirsten Fehrs
Liebe Schwestern,
wie gut, dass Ihr heute gekommen seid. „Trotz allem!“. Und dies in einer Haltung, die wir uns eben gegenseitig zugesungen haben: „Lass Recht aufblühen, wo Unrecht umgeht. Lass deine Kirche mit Jesus wachen und Menschen wirken, dass Friede sei.“,
Wie gut, dass wir gemeinsam Haltung zeigen, liebe Schwestern, als Frauen, die Gewalt erfahren haben, als Unterstützer:innen gegen Unrecht und Willkür, überhaupt wir alle als Frauen, die solidarisch das Schweigen brechen. Denn es geht mit einem entschlossenen Hoffnungstrotz genau darum, das Weghören und Wegsehen zu beenden.,
Gewalt beim ungeschönten Namen zu nennen und ihr die Stirn zu bieten: zur gegenseitigen Ermutigung und vor allem zum Schutz von betroffenen Frauen – und Männern sicher auch. Solche Schutzräume, solche sicheren Räume, in denen Grenzverletzungen, Machtmissbrauch und Gewalt keine Chance haben, ja, in denen der Schmerz und das zugefügte Leid gesehen und anerkannt werden, gibt es zu wenig.,
Im Blick auf die vergangenen Wochen und Monate fühlen wir im Moment, glaube ich, alle: Die Welt ist aus den Fugen. Gewalt von so einem Ausmaß haben wir noch selten gesehen, so kommt es mir vor. Weltweit. Und auch bei uns: Häusliche Gewalt gegen Frauen nimmt deutlich zu und kennt keine geographischen Grenzen. Sie beschränkt sich nicht auf ein bestimmtes Alter oder eine bestimmte Hautfarbe und betrifft alle Arten familiärer Beziehungen und sozialer Milieus. 12 bis 15 Prozent der Frauen in Europa sind jeden Tag Opfer häuslicher Gewalt.,
Fassungslos macht auch, was sich in Ländern wie dem Iran oder Afghanistan abspielt oder an den aktuellen Kriegsschauplätzen weltweit, wo Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffen eingesetzt werden – so wie jüngst bei den Überfällen der Hamas-Terroristen auf israelische Dörfer. Liebe Schwestern, es braucht den Trotz der Hoffnungsmutigen mehr denn je. Die, die sagen: Seht hin und nicht weg!,
„Du bist ein Gott, der mich sieht!“ Es ist Hagar, eine ägyptische Sklavin, die Gott diesen Namen gibt – direkt übersetzt: ein Gott, der sich nach mir umsieht. Im Gottesdienst wird noch ausführlicher von ihr die Rede sein. Ihre Geschichte erzählt davon, dass es lebensrettend und lebensverändernd ist, angesehen und in der eigenen Würde anerkannt zu werden – und das eben nicht allein als Opfer, sondern als Subjekt, als Person, die hofft, glaubt, liebt und die leben will! Gottes Mitleidenschaft und Anteilnahme, Gottes Nähe und Trost richten auf und retten, Hagar damals und uns, so Gott will, bis heute. Und sie ermutigen uns zum Guten und zur Zuversicht – trotz allem!,
Klar ist auch: Es liegt noch ein weiter Weg vor uns, wirklich radikal hinzusehen, das zugefügte Leid und den Schmerz anzuerkennen, Täterschaft und Machtmissbrauch zu demaskieren. Auch in der Kirche. Die Ereignisse um den Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden zeigen, dass noch mehr Schutz, noch mehr Kommunikation, noch mehr Aufklärung not-wendig ist. Dass zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und zur Anerkennung zugefügten Leids stets auch die Frage des Umgangs mit der Tat durch alle beteiligten Personen gehört. Denn die Systeme struktureller Gewalt bleiben erhalten, wenn wir nicht hinschauen und sichtbar machen, was an Missachtung, Vertuschung und Unterlassung passiert ist. Wir müssen weiter an einer Kultur des Hinsehens arbeiten, insbesondere dort, wo Amt, Macht und Hierarchie nicht etwa die betroffenen Menschen schützen, sondern die Entlarvung der Täter verhindern.
Von Hagar erfahren wir, wie zärtlich umsorgend Gott uns ansieht und da ist. Mitten in Verzweiflung, Schmerz und Lebensmüdigkeit, bist du, Gott, die mich sieht, die uns sieht – nicht nur trotz allem, sondern auch wegen allem. Mit großer Achtung. Damit wir – trotz allem – ins Leben gehen. Aufrecht und gestärkt. Dem inneren Frieden entgegen.