„Unser Kreuz hat keine Haken!“ Warum Christen gegen Neonazis und ihre Ideologie Stellung beziehen - Ein theologischer Impuls
15. September 2011
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich rede zu diesem mir gestellten Thema im Bewusstsein meiner geistlichen Verantwortung als Bischof unserer Kirche und in Übereinstimmung mit dem, was die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland zuletzt Ende Oktober 2009 erneut bekräftigt hat: „Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland ist beunruhigt, dass rechtsextremes Gedankengut, das sich vermehrt in brutalen Gewalttaten äußert, in ganz Deutschland vorzufinden ist. Wir nehmen mit Sorge zur Kenntnis, dass dieses Gedankengut nicht mehr nur in privaten, kleinen Kreisen, sondern öffentlich vertreten wird. Wir beklagen sowohl rechtsextreme Einstellungen bei Gliedern unserer Kirchgemeinden als auch zunehmende antichristliche Ressentiments und Vorfälle von Seiten Rechtsextremer. Die Demokratie ist nach christlicher Überzeugung die beste aller Gesellschaftsformen.“
Wovon reden wir? Was ist Rechtsextremismus?
Ich greife zunächst eine Definition auf, die ich bei Wikipedia gefunden habe:
„Der Begriff Rechtsextremismus dient als Sammelbezeichnung, um faschistische, neonazistische oder ultra-nationalistische politische Ideologien und Aktivitäten zu beschreiben. Deren gemeinsamer Kern ist die Orientierung an der ethnischen Zugehörigkeit, die Infragestellung der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen sowie ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis.“
Aus dieser Definition will ich einige Aspekte hervorheben.
Erstens: Als Sammelbegriff ist die Bezeichnung „Rechtsextremismus“ hinreichend unscharf.
Und eine Verbindung zwischen Rechtsextremismus und der Ideologie von Neonazis besteht ja sicher, wie im Einzelnen man das nun beschreiben will. Jedenfalls:
Es kommt nicht darauf an, auf welchem Hintergrund (nationalistisch oder faschistisch) das rechtsextreme Gedankengut verbreitet wird. Es kommt auf die Inhalte an – und denen muss ich als Christ entschieden entgegen treten. Denn es geht im Kern um den Widerstand gegen eine rassistische Ideologie, mit der Menschen ausgegrenzt werden, die nach rassistischen Kategorien als „Gegner“ oder „Feinde“ der „Deutschen“ oder des „Deutschtums“ diffamiert werden. Es geht um eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen Ausländer, Zuwanderer, „Asylanten“, „Fremde“ – aber auch gegen Behinderte oder Schwule.
Unser Kreuz hat keine Haken!
Denn (zweitens): Die Infragestellung der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen berührt den Kern des christlichen Glaubens.
Und zwar zum einen schöpfungstheologisch: „Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde“, heißt es am Anfang der Bibel. Jeder Mensch ist „Ebenbild Gottes“. Jeder Mensch hat darin eine unverlierbare Würde und Auszeichnung. Alle Menschen sind darin gleich. Wer von Menschen mit mehr oder weniger Würde, mit mehr oder weniger Wert spricht und die Gleichheit aller Menschen als Geschöpfe Gottes leugnet, „lästert“ Gott, indem er zumindest einige von Gottes Ebenbildern herabwürdigt, entwürdigt und verletzt. Jesus hat in diesem Sinne einmal ganz richtig gesagt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ Darüber hinaus ist eine Überordnung bestimmter Menschen oder Menschengruppen über andere nichts weiter als Hochmut und Überheblichkeit, also Sünde und insofern Beleidigung Gottes. Es ist Konsens in den ernst zu nehmenden Kreisen von Theologie und Kirche: „Rassismus ist Sünde!“
Und auch das ist wichtig: Es ist theologisch für mich von hoher Relevanz die Präambel unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar! Rassismus, Rechtsextremismus und – etwas weiter gefasst – gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sind nicht akzeptabel und tolerierbar! Menschen, die so denken und handeln, stellen sich selbst in´s Abseits, nämlich sie stellen sich gegen den unsere Gesellschaft tragenden und prägenden Verfassungskonsens!
Zum anderen berührt die Infragestellung der prinzipielle Gleichheit aller Menschen den Kern des christlichen Glauben in Bezug auf die Wirklichkeit der Versöhnung, die in Jesus Christus geschehen ist: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau. Sondern ihr seid alle einer in Christus Jesus“, schreibt der Apostel Paulus und macht deutlich: Das Evangelium von Jesus, die gute Botschaft von Gottes Liebe, zielt darauf, alles das zu überwinden, was Menschen voneinander trennt. Weil Gott jeden Menschen liebt, deshalb können und sollen Menschen Liebe weitergeben, nicht Haß, nicht Feindschaft, nicht Entwürdigung, nicht Lieblosigkeit.
Daraus folgt drittens: Wer dem Gott der Bibel, dem Gott Jesu Christi vertraut, der nimmt sich besonderes der Menschen an, die schwach und bedürftig sind. In der ganzen Bibel fordert Gott immer wieder dazu auf, sich der Witwen, der Weisen und der Fremdlinge (!) anzunehmen. Und wer dem Gott der Bibel, dem Gott Jesu Christi vertraut, der findet Glauben dort, wo es am wenigsten zu erwarten ist: Jesus stellt den ausländischen (!) Samariter und den heidnischen (!) Hauptmann als Vorbilder im Glauben hin.
Karl Barth, ein wichtiger Theologe des 20. Jahrhunderts, hat uns neu eingeschärft: „Gott ist der ganz Andere!“ Gott hat andere Maßstäbe als Menschen. Gott ist an anderen Orten als an denen, wo Menschen Gott vermuten. Gott ist „im Prinzip andersartig“ – und deshalb ist es immer ein Affront gegen Gott, wenn sich jemand über die Andersartigkeit anderer Menschen aufregt, anstatt zu vermuten, zu erwarten und zu hoffen, dass sich gerade in dieser Andersartigkeit Gott zeigen kann und wird.
Und auch von Karl Barth und anderen wichtigen Theologen wie etwa Dietrich Bonhoeffer, die sich aktiv gegen den Ungeist des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland gestellt haben („Bekennende Kirche“), haben wir gelernt: Antisemitismus ist Sünde! Der Bund Gottes mit seinem erwählten Volk – mit den Juden – er ist ungebrochen gültig!
Ich denke an die ökumenischen Feiern hier in Lübeck anlässlich der Seligsprechung der vier Lübecker Märtyrer Ende Juni 2011 – „Sag niemals drei, sag immer vier!“ – Das ist uns Erbe und bleibende Verpflichtung! Wir erinnern uns der drei katholischen Kapläne und des evangelischen Pastors Stellbrink, und das ist uns zugleich eine Mahnung, uns gegen Menschenrechtsverletzungen und Rassismus in unserer Zeit zu engagieren. Geschichte wird so lebendig gehalten und übersetzt in unsere Gegenwart.
„Das Heil kommt von den Juden“ so lautet ein zentraler Satz aus dem Neuen Testament, im Evangelium nach Johannes. „Das Heil kommt von den Juden“ – und es gab die Zeit in unserem Land, als Kinder aufgefordert wurden, diesen Satz aus ihrer Bibel zu streichen. Die Wahrheit der Bibel war den nationalsozialistischen Machthabern zu gefährlich – daher wurde von ihnen eine ganz andere Wahrheit verordnet, die die Köpfe und Herzen der Menschen nach und nach wie ein Krebsgeschwür zerfraß: „Heil Hitler!“ Und wir haben es erlebt – die Folgen dieser ideologischen Verdrehung und Verblendung waren fürchterlich: Das scheußlichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die Vernichtung des europäischen Judentums, und die verheerensten Kriegsgräuel seit Menschengedenken im Zweiten Weltkrieg.
Vor zehn Jahren hat unsere Nordelbische Kirche eine wegweisende Synodenerklärung zum Verhältnis „Christen und Juden“ verabschiedet. Die Nordelbische Kirche hatte sich in einem sehr intensiven Erinnerungs- und Lernprozess auch ihrer eigenen Geschichte gestellt und dann auch die Präambel ihrer Verfassung geändert. Seit 2002 steht in der Präambel unserer Verfassung also folgender Abschnitt:
„Die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche bezeugt die bleibende Treue Gottes zu seinem Volk Israel. Sie ist im Hören auf Gottes Weisung und in der Hoffnung auf die Vollendung der Gottesherrschaft mit dem Volk Israel verbunden.“
Ich bin sehr dankbar und froh, dass unsere Kirche sich seitdem so versteht – und ebenso dankbar und froh bin ich, dass auch die entstehende Nordkirche mit unseren Partnern in Mecklenburg und Pommern diese Wahrheit laut des vorliegenden Entwurfs für eine neue Kirchenverfassung weiter bekennen wird.
Die Evangelischen Kirchen in Mecklenburg und Pommern stellen sich zusammen mit anderen demokratischen Gruppen und Institutionen ja übrigens schon seit Längerem intensiv dem „Kampf gegen Rechts“. Das wird weiterhin eine große Aufgabe bleiben, denn auch bei der Landtagswahl am 4. September ist die NPD mit 6 der Stimmen erneut in das Landesparlament eingezogen – das einzige Bundesland übrigens neben Sachsen. Ich weiß wohl, dass dieser Stimmenanteil einen Rückgang von 1,3 im Vergleich zu den Wahlen von 2006 bedeutet – aber dennoch: beruhigen kann mich das nicht. Denn: Wahr ist leider auch, dass sich nur noch 51,4 % der Wahlberechtigten überhaupt an der Wahl beteiligt haben – die niedrigste Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern seit 1990! … Das ist – aus meiner Sicht – als ein deutliches Alarmsignal zu verstehen.
Schließlich viertens: Ich will nur noch andeuten, dass auf diesem Hintergrund ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis nicht im Sinne des christlichen Glaubens sein kann – wobei klar ist, dass der christliche Glaube auch in einem pluralistischen, demokratischen und partizipatorisch geprägten Gesellschaftsverständnis nicht aufgeht, sondern immer auch kritisch für eine nachhaltige Verbesserung von Freiheit und Gerechtigkeit und Frieden innerhalb einer Gesellschaft eintritt. Insofern ist Kirche Kirche in der Demokratie! Darum auch engagieren sich Christenmenschen und Kirchliche Gruppen mit guten Gründen zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen gegen Rechts!
Ich denke an die seit 2000 laufende – ÖRK–Dekade gegen Gewalt – Nicht zu Ende mit 2010!NEK -Arbeitsstelle „Gewalt überwinden!“ – z. B. Impulse in: Am Rand und in der Mitte. Ökumenische Besuchsreise zu Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland 2010 (war u . a. auch in Lübeck bei der Initiative „Wir können sie stoppen“)
Solches brauchen wir, Horizonte öffnen, verstehen, welche gesellschaftlichen Hintergründe eine Rolle spielen. Und: staatliche Stellen einbeziehen – über die Landesstelle für Politische Bildung hinaus! Die Rechten fordern den Rechtstaat heraus – für ihn gilt es, gemeinsam zu kämpfen! Es ist eine herausragende Aufgabe für uns als Kirche, zu bilden, zu informieren, ökumenisch zu argumentieren und theologisch zu reflektieren. Von der Arbeit in den evangelischen KiTas angefangen bis hin zur Arbeit mit Seniorinnen und Senioren. Einzelne Aktionen sind wichtig, aber sie reichen nicht aus.
Ich will dazu auch einige ganz persönliche Anmerkungen machen, denn auch als „Nachgeborene“ bleiben wir in die deutsche Geschichte verstrickt und können aus ihr nicht aussteigen:
Vorab also drei persönliche Ereignisse, die meinen Kampf gegen Rechts mobilisieren:
1. Als kleiner Junge auf Opis Schoß: spannende Geschichten aus Russland, den Wintern dort und vom Kampf der „Guten“ gegen das „Böse“.
- Bismarck hinterm Vorhang
- Dann die Entdeckung: mein Großvater auf einem Bild der Wehrmachtsausstellung von Jan Ph. Reemtsma als Mitglied eines Erschießungskommandos.
2. Mein Vater: U-Boot-Fahrer und Verehrer von Großadmiral Dön
- 1980 Beerdigung Dönitz’ in Aumühle: Neonazis und Ewiggestrige zeigen sich mit neuem Mut – und Vater ist dabei, Erinnerung verklärt sich angesichts eines eigentlich nicht mehr auf die Füße gekommenen Lebens. Wut und Empörung darüber prägen mich seither.
3. Friedhof in Böel, eine Kirchengemeinde in Angeln, wo ich lange Jahre Propst war, 1997
- Todestag eines Holocaust-Leugners, Aufmarsch von Neonazis beim dortigen Grab.
- Mit Bussen kommen etwa 80 Nazis in das Dorf. Ich erwarte sie dort.
- Habe vorher mit der Polizei gesprochen: was kann ich tun?
- „Blockieren Sie den Zugang – aber mehr als Symbolik ist das nicht!“
- Haben wir gemacht. Aber Wut und Trauer blieben. Aber: großes Verständnis sowohl bei den Bewohnern wie auch bei der Polizei.
Natürlich stehen wir immer wieder vor Entscheidungen, wenn unser christlicher Glaube, unser Bekenntnis, im Widerspruch steht zur erlebten oder erleideten Realität. Als einzelne Christenmenschen erleben wir das, als Gemeinden; als Amtsträger in der Kirche erleben wir das; aber auch z. B. die Polizistinnen und Polizisten erleben das, wenn sie sich zugleich als Christenmenschen verstehen. Ich weiß von vielen Polizistinnen und Polizisten in Schleswig-Holstein, wie sehr sie sich gerade im Einsatz gegen Rechts oft allein gelassen fühlen, sozusagen „auf der falschen Seite“ stehen sehen, wenn sie dafür sorgen müssen, dass auch den unerwünschten Rechten das Recht zur Demonstration zu ermöglichen ist. Und ich verstehe ihren Ärger und ihre Bestürzung, ihr Gefühl, allein gelassen zu sein. Die Frage ist: wie werden wir Partner, die gemeinsam den Rechtstaat verteidigen wollen, trotz der unterschiedlichen „Auftragslage“?
Da stehen sich – und das erleben die Lübecker schmerzlich – plötzlich Menschen gegenüber, die eigentlich auf die gleiche Seite gehören. Diese Spannung ist kaum oder gar nicht auflösbar. Weshalb nichts, aber auch gar nichts den Dialog ersetzt. Und zwar nicht nur im Vorfeld von Demonstrationen, sondern durchgängig, in einem ständigen Kommunikationsprozess. Die Bereitschaft dazu ist vorhanden und auch die Infrastruktur: Pastorin Hansen, die Polizeiseelsorgerin, weiß, worum es geht und wie.
Ich will ganz klar sagen: als Christenmenschen können wir in Situationen geraten, in denen wir entscheiden müssen, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Aber dies funktioniert nur, wenn wir diese unsere Entscheidungen nicht rechthaberisch durchsetzen, sondern dialogisch begründen, transparent machen. Andernfalls nämlich haben die Rechten eines ihrer Ziele erreicht: zu spalten nämlich. Und immer gilt: Recht muss Recht bleiben!
Mir geht es weder vorder- noch hintergründig um Demonstration, Blockaden oder Ähnliches. Das ist mir viel zu wenig. Ich will, dass das rechte Gedankengut aus den Köpfen verschwindet! Das ist unsere Aufgabe, verkündigend dafür zu sorgen, dass die Empfangsbereitschaft für menschenverachtende Thesen und Politik keinen Nährboden mehr hat.
Ich wünsche mir von den Gemeinden also nicht nur Widerstand gegen symbolträchtige Demos der Rechten. Ich wünsche mir Offenheit für die vielfältigen Spannungen, die eben auch jene erleben und denen auch jene ausgesetzt sind, die als Polizistinnen und Polizisten zu der Gemeinschaft der Heiligen gehören und keine Chance haben, sich zu widersetzen. Ich wünsche mir auch bei uns ein breites Bündnis wie in Mecklenburg-Vorpommern, das seit Jahren mobilisiert gegen Rechts – mit wirklich eindrücklichen Szenarien aus Kunst und Kultur, Politik und Gesellschaft.
Als Christenmenschen und Kirchenleute haben wir eben eine vielfältige Verantwortung – eine Spannung, die nicht zur einen Seite hin auflösbar ist. In welchen Bündnissen wir uns denn auch wiederfinden: es muss immer klar sein, dass wir mit unserer Mitte erkennbar sind: dazu gehört die Ablehnung jeder Form von Gewalt. Dazu gehört die Achtung auch des ärgsten Feindes. Dazu gehört die Empathie auch für jene, die gerade bei Demonstrationen aufgrund ihres Amtes in extremer Belastungssituation sich befinden.
Ich weiß sehr wohl, dass dies gerade für gewaltbereite Gruppen möglicherweise auch eine Einladung ist, uns und unsere Räume zu benutzen. Dann sehen wir alt oder naiv aus – und sind es ja auch bisweilen. Niemand hat das Recht, den anderen oder andere Gruppen für seine Zwecke zu benutzen. Und jeder muss sich des Risikos bewusst sein, wenn er Bündnisse welcher Art auch immer eingeht.
Beispiel Bürgerrechtskampf in den USA in den Sechziger Jahren – Martin Luther King und viele andere: Friedfertigkeit im Planspiel geübt, Gebote für das eigene Handeln festgelegt. In den anderen hineinversetzen: was muss er tun, weil er glaubt wie er glaubt oder weil er dienstlich verpflichtet ist, wie er es ist usw.
Um es klar zu sagen: das Bekenntnis zu Jesus Christus, der die Barmherzigen und Friedfertigen selig spricht, gehört nicht nur in die sonntägliche Liturgie, sondern ist Lebensäußerung und tragender Grund unserer Lebenspraxis selbst. Das führt in mancher Situation in Entscheidungen, die schmerzen, die trennen. Das heißt aber auch, dass die Achtung auch derer, die für uns nur Verachtung übrig haben und die Achtung derer, die in einen komplizierten Situation einen schwierigen Auftrag zu erfüllen haben, auch nicht auf der Strecke bleiben darf: die Achtung aller Menschen ist unteilbar.
Ich habe schon bei Sitzblockaden gesessen – auch als junger Pastor Anfang der 80er Jahre. Aber dem vorausgegangen waren immer intensive Gespräche mit denen, die als Polizisten oder Soldaten Dienst zu tun hatten. Vorausgegangen waren immer Verstehensprozesse. Ohne die blockiert die Blockade uns selbst. Gewaltfreie Sitzblockaden sind ggf. Nötigung, also gezielter Rechtsbruch; sie sind eine Form „zivilen Ungehorsams“. Und jeder, der sich an ihnen beteiligt, muss auch für sich vorher entschieden haben, ob er bereit ist mögliche rechtliche Konsequenzen dieses „Rechtsbruchs“ zu übernehmen – also z. B. zu einer Geldstrafe verurteilt zu werden.
„Du sollst Gott mehr gehorchen als den Menschen“, so steht es in der Apostelgeschichte und so zeigen es Widerstandsleute durch die Geschichte hindurch. Das führt in unvermeidbar schwierige Prozesse. Sie einsehbar und transparent zu machen, ist eine Hauptaufgabe.
Wir wissen: auch als Kirche und auch als Kirchenleute haben wir den Gesetzen des Staates zu folgen. Kirche ist kein rechtsfreier Raum! Wir wissen aber auch: uns sind als Kirche besondere Schutz-Zusagen von Seiten des Gesetzgebers zugestanden. Auch die müssen eingehalten werden. Und sie legen uns eine hohe Verantwortung auf.
Wir Christenmenschen sind – so könnte man sagen – kritisch-solidarische Bürger und Bürgerinnen unseres Staates Wir treten mahnend ein für Recht und Gesetz – aber eben so, dass klar bleibt: Auch Recht und Gesetz verändern sich ständig und sind einer permanenten Verbesserung bedürftig. Gewiss: Das GG ist die beste Verfassung, die es in Deutschland je gab – und dafür können wir „Nachgeborenen nur unendlich dankbar sein! Aber zugleich gilt: Es gibt immer eine Spannung zwischen Verfassungsnorm und Verfassungswirklichkeit – das GG selbst ist also sowohl eine gute Gabe, als auch zugleich eine permanente Aufgabe, die uns gegeben ist um immer besser für „Recht und Frieden zu sorgen“. So hat es die Barmer Theologische Erklärung von 1934 richtungsweisend gesagt. Also: Um Gottes Willen und um des Rechts willen kämpfen wir gegen Rechts und loten immer neu miteinander aus, welche „Kampfmittel“ angemessen sind und verantwortbar.