16. März 2016 | Kiel

„Von der Frei-Zeit eines Christenmenschen“

16. März 2016 von Gothart Magaard

„Von der Frei-Zeit eines Christenmenschen“ – Fundstücke aus der Kirche zwischen den Meeren, Vortrag beim 7. Fachkongress Kirche und Tourismus im Norden, 15.-16. März 2016

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass es auch in diesem Jahr wieder einen Fachkongress „Kirche und Tourismus im Norden“ gibt und dass wir hier so zahlreich versammelt sind. Und ich grüße Sie herzlich als einer der zuständigen Bischöfe unserer „Kirche zwischen den Meeren“.

„Von der Frei-Zeit eines Christenmenschen – Fundstücke aus der Kirche zwischen den Meeren“ habe ich meinen Impuls betitelt.

Soeben haben wir etwas über das „Glückswachstumsgebiet Schleswig-Holstein“ aus der Marketingperspektive gehört und als ich das in der Vorbereitung sah, hat es mich natürlich gereizt, dies auch einmal aus theologischer, aus kirchlicher Perspektive zu betrachten.

So möchte ich in meinen Vortrag in folgende Punkte gliedern:

1. Glück aus biblischer Perspektive, 2. Von Frei-Zeit, Freiheit und Menschenwürde 3. Die Kirche, unsere Kirchen, der Gast und das Sein

1. Glück aus biblischer Perspektive

„Glück“, das sei vorab festgehalten, spielt im direkten Wortgebrauch keine zentrale Rolle in der Bibel. Die biblischen Texte lassen sich auch nicht in die Reihe der heutigen Lebensratgeber aus den unterschiedlichen religiösen, esoterischen und philosophischen Traditionen einordnen. Auch wenn das in Buchhandlungen gern geschieht. Diese Schriften sind weithin 2000 Jahre alt und älter. Sie wurden von Menschen geschrieben und gelesen, denen die Unterscheidung von Berufs- und Freizeitwelt im heutigen Sinne noch unbekannt war – und damit die Räume in denen sich Menschen heute bewegen, wenn sie ihr Glück suchen. Im biblischen Sinne wäre es wohl treffender, von einer Frage nach „gelingendem Leben“ oder nach „erfülltem Sein“, zu sprechen.

Wenn es eine elementare Einsicht im biblischen Verständnis des Menschen gibt, dann ist es die, dass die Frage nach gelingendem oder misslingendem Leben sich an seiner Gottesbeziehung entscheidet. „Mit Gott Ja, ohne Gott Nein“ ist darum prägnant auf dem Giebel eines westfälischen Fachwerkhauses zu lesen. Wenn der Mensch in einer tragfähigen Gottesbeziehung steht, wird sein Leben als gelungenes Leben im Einklang mit den Menschen verstanden. Er lebt in Frieden, in schalom, jenem alttestamentlich zentralen Begriff der „die Tatsache bezeichnet, heil zu sein […]. Der Begriff drückt jede Art von Glück und freier Ausdehnung aus; aber der Kern ist die Gemeinschaft mit anderen, die Grundlage des Lebens“[1].

Das Glück einer erfüllten Gottesbeziehung äußert sich durch Lebensmut und Gottvertrauen. Zum Heil-Sein des Menschen in diesem Sinne gehören auch leibliche Gesundheit, Wohlstand und Zufriedenheit, immer ausgehend davon, dass all dies dem Menschen von Gott geschenkt wird.[2] Der Mensch ist ein Empfangender.

Schon im Alten Testament zeigen sich jedoch auch ernsthafte Herausforderungen des theologischen Denkens. Denn die Berechenbarkeit der Glückszuteilung, der so genannte „Tun-Ergehen-Zusammenhang”, zerbricht an der Erfahrung der Ungerechtigkeit; daran, dass Gottes Handeln uns im Grund verschlossen bleibt und sich nicht berechnen lässt.[3]

Auch im Neuen Testament wird das Gelingen des Lebens, also „Glück”, an die Gottesbeziehung geknüpft. Die Verkündigung von der Ankunft des Reiches Gottes öffnet dabei jedoch einen neuen Blick auf die menschliche Lebenswirklichkeit. Der Mensch ist auf Gottes Zukunft ausgerichtet – daraus folgt jedoch gerade nicht die Ablehnung und Entwertung des Diesseits, sondern vielmehr eine Befreiung von einer nur auf das Diesseits ausgerichteten Lebensgestaltung. Der Mensch ist schon jetzt den Mechanismen dieser Welt entzogen, befreit zum unkonventionellen Handeln, befreit zum Dienst in diesem anbrechenden Gottesreich, befreit dazu, die Menschenfreundlichkeit Gottes in Wort und Tat zu bezeugen – auch dort, wo am wenigsten mit ihr gerechnet wird, in Verwaltungen etc.[4]

Einer der Schlüsseltexte ist für mich die Bergpredigt Jesu. Im vergangenen Jahr war ich in Israel am See Genezareth, wo Jesus diese Worte gesprochen hat: „Selig sind …“, so beginnt diese Rede Jesu. „Selig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind, denn ihnen gehört das Himmelreich“. Der mit „selig” übersetzte griechische Begriff makarios, kann nun auch mit „glücklich” übersetzt werden.[5] „Glücklich sind die, die an der Not der Welt leiden, sie hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, die Frieden stiften…“.

Diese „Glückseligkeitspreisungen” werten um, was Menschen normalerweise für unglücklich-machend halten – glückselig sind Menschen, die sich nicht mit dem Ist-Zustand zufrieden geben, die ein Gespür dafür haben, dass diese Welt noch unvollendet ist – die sehen, wie Gottes Reich im Verborgenen, im Kleinen wächst, und für die die ganze Welt zum Gleichnis der Liebe Gottes wird[6]. Glückselig sind sie, denn sie werden von einer Liebe Gottes getragen, die von keiner Macht dieser Welt begrenzt wird, die selbst an der Todesgrenze nicht Halt macht.

Glück ist demnach mehr als ein richtig geführtes Leben, als das Aufgehen der Lebenspläne. Die Anwesenheit von Glück im menschlichen Leben bedeutet nach biblischem Verständnis, dass Menschen das ewige Leben, also das Reich Gottes, im Hier und Jetzt spüren.[7]

Glück ist mit Gottesnähe verbunden, erfahren in der Botschaft von Auferstehung Jesu Christi mit ihrer befreienden Kraft schon hier und jetzt. Glück ereignet sich im Tun von Gottes Gerechtigkeit, mit dem Eintreten für Gottes Reich und damit für die, die dieser heilsamen Wirklichkeit aufgeschlossen sind. Glück gründet sich auf die Suche nach Gottes Willen, im gemeinsamen Studium und Gespräch mit Gottes Weisheit. Glück äußert sich schließlich im verbindenden Gotteslob, das über die Grenzen von Völkern und Überzeugungen hinweg klingt.

2. Von Frei-Zeit, Freiheit und Menschenwürde

„Die Anwesenheit von Glück im menschlichen Leben bedeutet nach biblischem Verständnis, das ewige Leben, also das Reich Gottes, im Hier und Jetzt zu spüren.“Und: „Glück ereignet sich im Tun von Gottes Gerechtigkeit, mit dem Eintreten für Gottes Reich und damit für die, die dieser heilsamen Wirklichkeit aufgeschlossen sind. Glück gründet sich auf die Suche nach Gottes Willen, im gemeinsamen Studium und Gespräch mit Gottes Weisheit. Glück äußert sich schließlich im verbindenden Gotteslob, das über die Grenzen von Völkern und Überzeugungen hinweg klingt.“ Das sind für mich die zentralen theologischen Erkenntnisse im Hinblick auf das Glück und auf das Thema unseres Fachkongresses.

Daraus ergibt sich nun die Frage, was Menschen ermöglicht, ihr Leben so zu gestalten, dass Glück, in dieser Weise verstanden, für sie erfahrbar wird.

Max Weber hat vor bald 100 Jahren den Menschen der modernen Industriegesellschaft im Anschluss an Friedrich Nietzsche ziemlich ernüchtert so beschrieben: „Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz: dies Nichts bildet sich ein, eine nie vorher erreichte Stufe des Menschentums erstiegen zu haben.“[8] Wenn ich Max Weber widersprechen will, dann muss ich – bitte sehen sie es mir nach – auf das Thema der Feiertagsruhe und des Sonntagschutzes zu sprechen kommen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Sieben-Tage-Rhythmus zählt zu den in besonderer Weise kulturprägenden Wirkungen der jüdisch-christlichen Tradition. In der jüdischen Tradition ist der Sabbat, der Samstag, der siebte und letzte Tag der Woche. Im Schöpfungsbericht ist er Teil der guten Grundordnung dieser Welt. Die Vollendung der Schöpfung besteht im Zur-Ruhe-Kommen ihres Schöpfers. Gott nimmt Abstand von seinen Werken und lässt seine Geschöpfe in Ruhe.

„...und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hin zu schauen.“ Dieses wunderbare Zitat von Astrid Lindgren fasst zusammen, worum es geht – auch wenn mir die für das Marketing von Aktiv-Urlaub Zuständigen unter Ihnen jetzt gern widersprechen werden.

Es ist wesentlicher Teil unserer geschöpflichen Würde, dass wir aus dem Schaffen und Wirken heraustreten können, um uns des tragenden Grundes unseres Lebens zu vergewissern. Wir können uns an dem Erreichten freuen, aber uns auch die Vergebung im Angesicht des Scheiterns zusagen lassen. Wo dieser Raum nicht bleibt, wird unsere Gesellschaft gnaden-los.

Und zu diesem Raum gehören neben dem Sonntag natürlich die Feiertage und eben im Besonderen auch die Urlaubszeiten. (Und ich erinnere an dieser Stelle angesichts der angekündigten neuen Diskussionen zum Thema Sonntagsschutz gerne daran, dass sich verkaufsoffene Sonntage nur dann lohnen, wenn die Mehrheit der Menschen an diesem Tag tatsächlich frei hat, denn „ohne Sonntage gäbe es nur noch Werktage“).

In diesem Zusammenhang stellt sich nun also die Frage nach der Gestaltung von kirchlichen Angeboten in Tourismusregionen und nach Orten, an denen Menschen das finden können, was ihnen hilft, in ihrer Frei-Zeit ihre Freiheit so zu gestalten, dass sie glücks-bildend sein kann.

Womit ich nun beim letzten Teil meines Impulses angekommen wäre:

3. Kirche, Kirchen, der Gast und das Sein

Als ich vor einiger Zeit die Bilder der App des Glückswachstumsgebietes aufrief, fiel mir auf, dass es viele schöne Landschaftsbilder zu bewundern gab, aber dass kaum Menschen auf den Bildern zu sehen waren und erst recht keine Kirche. (http://www.glueckswachstumsgebiet.de)

Als ich letzte Woche noch einmal hineinsah, habe ich mich gefreut, dass nun immerhin ein Kirchturm in voller Größe und Schönheit zu bewundern war – und dann auch noch der des Schleswiger-Doms, meiner Bischofskirche – und ich habe ja schon fast vermutet, dass dieses Bild im Vorfeld zu unserem Kongress extra von der Tourismusagentur eingestellt worden ist... (nein, natürlich nicht...oder?!).

Aber diese Bildauswahl hat mich nachdenklich gemacht und zeigt mir, dass wir aus meiner Sicht inhaltlich mit der Gestaltung unserer kirchlichen Angebote auf einem guten Weg sind, auch wenn dieser sich nur indirekt in diesen Bildern widerspiegelt – und sie zeigt mir auch, dass hier Potential ist, die Zusammenarbeit zwischen Kirche und Tourismus-Verantwortlichen zu verstärken. So ist mir auch aufgefallen, dass in einer Beilage des shz zum Thema „Glück“ im Frühjahr dieses Jahres außer einer Anzeige der Kirchengemeinde Bokhorst unter der Überschrift „Gott nahe zu sein, ist mein Glück“ nirgendwo ein Hinweis auf kirchliche Angebote zu finden war – was ich für beide Seiten sehr schade finde. Auch hier Potential...

Sehr geehrte Damen und Herren,

Kirche als gastfreundliche Gemeinde und Kirchräume als gastfreundliche Orte zu gestalten – das ist seit langem das Ziel vieler engagierter Menschen in den vom Tourismus geprägten Regionen, aber natürlich auch insgesamt in unserer Kirche. Dies gilt für die Städte ebenso wie für die Inseln, für die großen Backsteinkirchgebäude ebenso wie für die kleinen Feldsteinkirchen. „Tritt ein – die die Kirche ist offen“ steht an der Tür zu lesen – und die Kirche ist auch wirklich geöffnet. Kirche als Herberge – als Ort, wo die Reisenden bekommen, was sie brauchen. Eine Geschichte, einen Gedanken, Gemeinschaft, Musik oder Stille.

Wir können als Tourismus-Verantwortliche und Kirchenmenschen diese Angebote, die wir als Kirche vor Ort entwickelt haben, gemeinsam in den Blick nehmen und gemeinsam darauf hin wirken, dass den Menschen, die zu uns kommen, gut tut, was sie erleben. Denn nur wer gestärkt aus dem Urlaub zurückkehrt, wird auch wiederkommen.

„Fachmenschen ohne Geist, Genussmenschen ohne Herz“ – sah Max Weber um sich und urteilte skeptisch über die Gesellschaft seiner Zeit. Ich sehe begeisterungsfähige Menschen, die aus dem Urlaub gestärkt in ihre Alltage gehen und sich für Gottes Sache einsetzen. Ich lese die Gedanken, Gebete und an die Gemeinden gerichteten Botschaften in den Gästebüchern unserer Kirchen, und denke, Gott sei Dank gibt es sie, diese Orte, an denen Menschen sich wieder aufrichten und aufatmen. Was für ein Glück!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

 


[1] Stendebach, Franz-Josef, Art. Shalom, in: ThWAT VIII, Stuttgart u.a. 1995, 12-46, Sp.13.

[2] Ebd.; vgl. dazu auch Lauster, Jörg, Gott und das Glück, Gütersloher Verlagshaus 2004, 21.

[3] Vgl. Lauster, Jörg, Gott und das Glück, Gütersloher Verlagshaus 2004, 23.

[4] Vgl. Lauster, Jörg, Gott und das Glück, Gütersloher Verlagshaus 2004, 24f.

[5] Vgl. Hauck, Art. makarios, ThWNT Band IV (1942), 371.

[6] Lauster, Jörg, Gott und das Glück, Gütersloher Verlagshaus 2004, 28.

 

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