01.09.2024 | Radiogottesdienst aus dem Dom zu Schleswig

We shall overcome - Predigt zum Antikriegstag

27. August 2024

Predigtteil 1 und 2 – Radiogottesdienst am 1. 9. 2024 aus dem Dom zu Schleswig

Predigtgedanken 1

Selig sind, die Frieden stiften. Die sanftmütig sind, die nach Gerechtigkeit suchen. Selig sind die Barmherzigen. All das sagt Jesus in der so genannten Bergpredigt.

Es sind weiche Töne, die Jesus hier anschlägt. Es sind Töne, die mir das Herz weitmachen. Es sind Töne, die mir sagen: es ist nötig, die Sehnsucht nach Frieden niemals aufzugeben, auch wenn die Realitäten dieser Welt dagegensprechen.

Die Seligpreisungen  sind eine Grundsatzrede von Jesus. Er möchte die Herzen der Menschen erreichen und für Liebe in einer verhärteten Welt werben. 

Hier im Grenzland zwischen Dänemark und Deutschland sind uns solche weichen Töne des Friedens bekannt. Wir haben eben von Klaus Nielsky davon gehört – dänische und deutsche junge Menschen ziehen nach ihrer Abiturprüfung gemeinsam durch die Stadt. Feiern ihren Schulabschluss und den Beginn ihres neuen Lebensabschnitts – der für manche in Dänemark, für manche in Deutschland beginnen wird.

Das, was hier so scheinbar harmlos und alltäglich scheint, ist die Errungenschaft intensiver und jahrhundertelanger Friedensbemühungen von beiden Seiten. Umso kostbarer, hier in Süd- und Nordschleswig tagtäglich erleben zu dürfen, dass Wunden heilen und Frieden möglich ist, wenn die Rechte aller, vor allem auch der Minderheitsgesellschaften auf beiden Seiten, gewahrt und sogar durch die Landesverfassungen geschützt werden.

Was Jesus genau wusste: Der erste Schritt zum Frieden ist der kritische Blick auf meine eigene Haltung gegenüber dem Anderen, dem mir Unvertrauten. Bin ich bereit anzuerkennen, dass ein Leben auch dann gelungen und gut sein kann, wenn es so ganz anders verläuft als mein eigenes?

Sanftmütig, barmherzig sein. Die Bedürfnisse meines Gegenübers im Blick haben. All diese Attribute beziehen sich auf meine Haltung meinen Mitmenschen gegenüber. Mit welchem Blick schaue ich diejenigen an, die anders sprechen, anders leben, eine andere Kultur haben als ich?

Kann ich Unterschiede aushalten und mehr noch, wertschätzen? Habe ich ernsthaftes Interesse daran Menschen zu verstehen, die nach ganz anderen Werten handeln als ich selbst?

Jesus war mit seinem  Blick auf seine Mitmenschen darin ein Vorbild. Er ließ sich nicht von gesellschaftlichen Werten, Glanz und Gloria beeinflussen – es ist, als habe er den Menschen direkt in ihr Herz gesehen. Er sah den, der so klein war, dass er auf einen Baum klettern musste, um Jesus nah zu sein. Er sah die Frau, die ihn nur von hinten am Saum seines Gewandes berührte. Er sah die, die wirklich in Not waren und seine Hilfe brauchten. Und er blieb stehen, er hörte ihnen zu. Er verurteilte nicht, er schenkte ihnen Gottes Liebe.

Ich bin davon überzeugt: Mit diesem ersten, so unscheinbar wirkenden Schritt, beginnt Frieden im Hier und Jetzt. Ich erkenne an, dass jedes einzelne Leben einen unschätzbaren Wert hat. Dass jeder Mensch unendlich geliebt ist von Gott. Egal welche Sprache wir sprechen, wie gebildet wir sind oder in welcher Kultur wir groß geworden sind.

Das Lied „We shall overcome“ ist ein Beispiel für so einen ersten Schritt zum Frieden. Die erste Fassung davon hat der Pastor Charles Tinley 1901 geschrieben. „We shall overcome“  wurde zu einem Schlüsselsong der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten. Später wurde es auch in Südafrika, Indien, in Deutschland und in vielen anderen Ländern zu einem Protestlied gegen Ungerechtigkeit und Krieg.

Die Sehnsucht nach Frieden hat weltweit schon viele Menschen dazu gebracht, einen Schritt aus der eigenen Komfortzone herauszuwagen. Auf die Straße zu gehen. Ihre eigene Haltung zu ändern.

Mit diesem ersten Schritt zur Veränderung der eigenen Haltung sind wir nie fertig. Er muss immer wieder neu getan werden. Hier im Grenzland aber auch überall dort, wie zurzeit Menschen erbittert gegeneinander Krieg führen.

We shall overcome.

 

Predigtgedanken 2

Grenzen trennen nicht nur, Grenzen verbinden auch. Davon hat uns Freyja Wegner eben erzählt. Sie schätzt es, Teil zweier Kulturen zu sein. Das schenkt ihr einen besonderen, einen neuen Blick auf ihre Wirklichkeit.

Von den Rändern her sehen wir anders auf unsere Welt. Das wissen wir hier im Grenzland. Deswegen ist das Sein auf der Grenze so kostbar.

Auch Jesus war so ein Grenzgänger. Davon erzählt er in den so genannten Seligpreisungen. Selig – man kann auch übersetzen – erlöst, befreit – sind die, die einen neuen Blick auf das scheinbar Bekannte werfen.

Die einen Blick hinter die Fassaden wagen. Die sich nicht von Leid und Tod abschrecken lassen, sondern trotzdem hinsehen, wenn jemand Hilfe braucht.

Selig sind schließlich die, die sich trauen, auf sich selbst anders zu schauen. Die sich fragen: Was ist für mich wirklich wichtig im Leben, jenseits der äußeren Werte? Was macht mich letztlich aus? Und was engt mich eigentlich nur ein und macht meine Wahrnehmung von mir und anderen klein?

Jesus ist Grenzgänger, weil er immer auch Gottes Wirklichkeit im Blick und im Herzen hat. Eine Wirklichkeit, die voller Liebe ist. In der alle Menschen einen Platz haben, egal wie glücklich, erfolgreich oder gesund sie sind. All das zählt vor Gott nicht. Es zählt allein, ein Mensch zu sein. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, mit einem Herzen in der Brust und einer Seele, die sich nach Frieden und Gerechtigkeit sehnt.

Eine Sehnsucht, die sich manchmal anfühlt wie ein entschlossener Widerspruch zur Wirklichkeit, die ja häufig leider ziemlich gewalttätig und machtbesessen ist. Diese Sehnsucht ist das große Trotzdem gegen die Machtstrukturen in unserer Welt.

Sie lässt uns den Traum von einer guten und besseren Welt weiterträumen. Nicht, weil wir naiv sind, sondern wir Gott uns diesen Traum jeden Tag neu ins Herz pflanzt.

In der Person Jesu kommen auf diese Weise auf einmal beide Welten zusammen. Unsere menschliche Welt und die Welt Gottes. Durch Jesu Wirken und durch seine Worte schauen wir dann durch diese Grenze hindurch und erhaschen einen Blick auf Gottes Welt, in der alles und alle miteinander im Einklang sind. In der es kein Leid, keinen Tod und keine Ungerechtigkeiten mehr gibt. Eine Welt, die der Friede ist  -  das ist ja unfassbar viel mehr, als die reine Abwesenheit von Krieg und Gewalt.

Daher haben wir in diesem Gottesdienst schon von Gottes Schöpfung gesungen. Wir haben darum gebeten, von Gott aus der Enge in die Freiheit gestellt zu werden – denn auch an all das denkt unser Glaube beim „Frieden“ für diese Welt.

Jesus als Grenzgänger zwischen Himmel und Erde hilft uns somit, unsere uns eingeschriebene Sehnsucht nach Frieden wachzuhalten. Stärker und klarer zu spüren, Mensch sein geschieht nur in Beziehung. Nicht im Gegeneinander. Der Ungerechtigkeit müssen uns widersetzen und doch dahinter nicht vergessen, im Aufeinanderbezogen sein sind wir Gottes Geschöpfe.

Das lässt uns hoffentlich nicht müde werden, dem Frieden immer wieder eine Chance zu geben. Ob im Nahen Osten, ob in der Ukraine oder im Alltag gewordenen Krieg gegen Flüchtlinge an den europäischen Außengrenzen.

Denn was zählt, ist, ein Mensch zu sein. Unendlich geliebtes Geschöpf Gottes.

Möge unsere Sehnsucht nach Frieden nie erlöschen, auch wenn der Weg zum Frieden steiniger und unwegsamer denn je zu sein scheint. Denn Friedensstifterinnen und Friedensstifter sollen wir sein, sagt Jesus. Und Gottes Kinder sollen wir heißen.

Amen.

Amen.

Bischöfin Nora Steen

Datum
27.08.2024
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