Predigt Heilig Abend 2022

Yuliana, Yelizaveta und Tetiana - Gesichter Mariens

24. Dezember 2022

Liebe Gemeinde, ich möchte Ihnen heute von Yuliana, Yelizaveta und Tetiana erzählen. Diese drei Frauen haben mit ihren Kindern bei uns im Bischofshaus gewohnt, ein halbes Jahr lang. Sie waren durchweg angenehme Mitbewohnerinnen, aufmerksam, dankbar, lebensfroh. Wenn sie nicht von zu Hause erzählten, hätte man meinen können, sie seien gewöhnliche, aber besonders freundliche Mieterinnen.

Dabei hat Tetiana schon 2014 ihren Mann verloren, im Krieg um die Krim, und Dascha wächst seitdem ohne Vater auf. Dabei sorgen sich alle drei täglich um ihre Verwandten und Freundinnen in der Ukraine.

Im November sind sie ausgezogen, zurück nach Kiew gereist. In den gelegentlichen Kontakten erzählen sie von fast täglichem Bombenalarm, ebenfalls fast täglichen Stromausfällen und von ausgefallenen Heizungen. Mit fester Stimme berichten sie, wie Tag für Tag die Kriegsschäden wieder notdürftig repariert werden, wie alle einander helfen, ein nie gekannter Zusammenhalt entstanden ist. Wir sagen ihnen, dass sie jederzeit wieder zurück nach Greifswald kommen können. Ja, antworten sie, aber nur als Touristen.

Für mich sind diese Menschen die Gesichter des Widerstands gegen den Krieg geworden, gegen all die sinnlose Zerstörung und den todbringenden Beschuss. Kein Wort des Hasses auf Russland kommt über ihre Lippen, dazu sind zu viele russisch in der Familie und im Freundeskreis. Aber zu Putin und seinen Schergen haben sie eine eindeutige Meinung.

Yuliana, Yelizaveta und Tetiana sind keine Heldinnen. Aber sie machen auf mich einen Eindruck großer Stärke und Klarheit. Fast könnte ich ein wenig neidisch werden, verrückt. Für die drei steht außer Frage, was dran ist, wofür sie sich einsetzen wollen. Und das geht nun mal von Deutschland aus nicht. Ihre Entschlossenheit scheint mir eine enorme Ressource zu sein.

Mir selbst ist es im Gegenüber zu unseren Gästen fast peinlich, was mir im Moment Sorgen macht. Wie lächerlich ist all dies im Vergleich zu dem Entschluss, zurück in die vom Krieg erschütterte Heimat zu gehen!

Die drei Frauen sind dieses Weihnachten meine Marias. Denn auch die Mutter des Kindes, in dem Gott selbst zur Welt kommt, hat Enormes durchzustehen. Hochschwanger muss sie die beschwerliche Reise von Nazareth nach Bethlehem antreten. Der Viehstall ist eine erbärmliche Umgebung für die Niederkunft. Und nur kurze Zeit nach der Geburt steht der frisch gebackenen Familie das bevor, was Millionen Menschen aus der Ukraine in vergehenden Jahr durchmachen mussten: Flucht, Verlassen all dessen, was einem lieb ist, Aufbruch in eine völlig ungewisse Zukunft, Angewiesenheit auf die Hilfe wohlmeinender Menschen.

Warum ist gerade die Erzählung dieser widrigen Geburt Jesu Grundlage für unser größtes Fest? Ich bin überzeugt, das liegt im Tiefsten daran, dass Gott sichtlich all diese Widrigkeit wählt, um selbst als Mensch auf die Erde zu kommen. Er will nicht anders Mensch sein als in diesem Kind, geboren von einer überforderten und obdachlosen Mutter, bedroht von einem skrupellosen Gewaltherrscher, schon als Neugeborener ein Geflüchteter.

Stärker als in dieser weihnachtlichen Urerzählung kann nicht zum Ausdruck kommen, wozu Gott Mensch wird, warum er sich gerade in diesem Menschen Jesus aus Nazareth in seinem innersten Wesen zeigt. Gott ist von Anfang an, von Ewigkeit her, für diejenigen da, die bedrängt werden, die nicht klar kommen, die Ängste auszustehen haben, die nicht mehr weiter wissen.

Die Krippe und die Flucht der Heiligen Familie machen unübersehbar deutlich, dass Gott nicht neutral ist. Er ergreift Partei. Er steht an der Seite derer, deren Wohnungen zerbombt wurden, die Tag für Tag im Dunklen und Kalten sitzen, die Angst haben um ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder. Gott ist parteiisch für diejenigen, die unter uns nicht wissen, wie sie ihre Energierechnung bezahlen sollen, welche Lebensmittel sie sich noch leisten können, ob sie den ganzen Winter über noch werden heizen können.

Das Kind von Bethlehem steht für alle Kinder, die in halb zerstörten Krankenhäusern oder gar in U-Bahn-Schächten geboren werden. Die Mutter Gottes steht für alle Mütter, die Ihre Kinder vor Gewalt und Raketen zu schützen versuchen und mit ihnen in anderen Ländern Sicherheit suchen.

Wir feiern Weihnachten am Ende des Jahres der Flucht. Noch nie in der Geschichte mussten so viele Menschen ihre Heimat verlassen. Mehr als 100 Millionen Menschen sind auch heute auf der Flucht, so wie damals Maria und Josef mit ihrem Säugling.

Darum trägt das Gesicht der Maria dieses Jahr für mich Züge von Yuliana, Yelizaveta und Tetiana. Für sie singen die Engel dieses Jahr besonders innig ihr „Ehre sei Gott und Friede auf Erden“.

Was kann all das für unser Fest bedeuten? Vielleicht ordnen sich unsere eigenen Sorgen neu ein, wenn wir an Menschen denken, die auf der Flucht sind. Inflation, Energiekrise und der Klimawandel sind gewaltige Herausforderungen. Aber wir dürfen seit Jahrzehnten in einem Land leben, in dem es großen Wohlstand gibt, Freiheit, Frieden und Sicherheit. All dies sind Schätze, die der Mehrheit der Menschheit verwehrt sind. Zur Festfreude gehört für mich deshalb auch die Dankbarkeit für diese Schätze.

Ebenso bin ich dankbar für den großartigen Einsatz so vieler Menschen für Geflüchtete. Nicht wenige haben bei sich zu Hause Geflüchtete beherbergt. Kirchengemeinden öffnen ihre Türen. Initiativen helfen, wo es geht. Ein unübersehbares Zeichen der Solidarität, das es mir innerlich warm werden lässt.

Schließlich: Die Engel singen in der Heiligen Nacht vom Frieden auf Erden. Der erwachsene Jesus wird die Friedfertigen selig preisen und konsequent auf alle Gewalt verzichten bis zur bitteren Konsequenz der eigenen Hinrichtung.

Dass so ungezählte Menschen flüchten müssen, hat vor allem mit Gewalt, Willkür, Unterdrückung und Krieg in ihren Heimatländern zu tun. Weihnachten ist eine Zeit, um intensiv um den Frieden zu beten, bei uns und weltweit. Und mit dem friedfertigen Handeln unter uns anzufangen, in unseren Häusern, in unserer Gesellschaft.

Maria hat dieses Jahr für mich das Gesicht von Yuliana, Yelizaveta und Tetiana. Mögen sie und ihre Kinder geschützt und behütet bleiben. Mögen die Waffen möglichst bald schweigen, in der Ukraine und überall sonst. Mögen wir Menschen endlich begreifen, dass es sich leichter und besser lebt in Frieden und im Achten aufeinander.

Gott ist Mensch geworden im Flüchtlingskind von Bethlehem. Er möge seinen weihnachtlichen Segen bei uns einziehen lassen, uns unsere Angst nehmen und es in unseren Herzen warm werden lassen.        

Amen.

Datum
24.12.2022
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