31. Oktober 2018 | Doberaner Münster

Zur Freiheit hat uns Christus befreit

30. Oktober 2018 von Andreas von Maltzahn

Predigt zu Gal 5,1-6, Radiogottesdienst am 31.10.18

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


Liebe Schwestern und Brüder!

Albert Einstein hat die Lage der Wissenschaftler in Amerika einmal so erklärt:
„Stünde ich erneut vor der Entscheidung über den besten Weg, meinen Lebensunterhalt zu verdienen,
so würde ich nicht ein Wissenschaftler, Gelehrter oder Pädagoge,
sondern ein Klempner oder Hausierer werden wollen,
in der Hoffnung, mir damit jenes bescheidene Maß von Unabhängigkeit zu sichern, das unter den heutigen Verhältnissen noch erreichbar ist.“

Prompt wurde Einstein die Ehrenmitgliedschaft der Klempnergewerkschaft verliehen. Aber wichtiger finde ich, dass Einstein damit eine heftige Diskussion über die Freiheit auslöste. Wenn dieser geniale, geistig unabhängige Wissenschaftler zu solchen Urteilen kam, wie frei konnte man seinerzeit überhaupt denken, leben und arbeiten?!

Ja, wie frei können wir das? – Der Apostel Paulus antwortet:
„Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“ So schreibt es Paulus in seinem Brief an die Galater im fünften Kapitel.

Was uns heute gefangen nimmt, uns unterjocht, kann so unterschiedlich sein:  Martin Luther hatte Angst, vor Gott nicht bestehen zu können. In unserer Zeit ist es für manche eher der gesellschaftliche Druck, auch ja etwas aus seinem Leben zu machen. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, sagt der Volksmund. Das klingt nicht schlecht, weil es Möglichkeiten anspricht, das eigene Leben zu gestalten. Aber wehe, wenn es mit dem Glücklich-Sein nicht so klappt! Dann bist du auch noch selbst ‚schuld‘, hast anscheinend versagt als Glücks-Schmied. Wie befreiend dagegen, darauf vertrauen zu können, dass wir unser Glück nicht erst ‚machen‘ müssen! Ich bin überzeugt: Die wesentlichen Dinge des Lebens sind Geschenk – die Luft, vorbehaltlose Liebe, Gottes Zuneigung…

Ich denke auch an eine Begegnung mit einer Frau aus dem Iran. Sie war Christin geworden. Noch im Iran hatten ihre Kinder sie mitgenommen zu einem christlichen Hauskreis und ihr eine Bibel zu lesen gegeben. Dann musste sie sich entscheiden:
„Ich saß vor zwei heiligen Schriften“, sagte sie. „Der Koran beschrieb mir den Willen Allahs. Ich hatte das Gefühl, ich könne nur versagen. In der Bibel aber las ich von der Liebe Christi, davon, dass ich ein Kind Gottes sei! Wie frei und fröhlich kann solch ein Leben sein. Ich bin so glücklich, jetzt Christin zu sein.“ 

Die Iranerin strahlte, als sie davon erzählte. Damit möchte ich nichts pauschal über ‚den‘ Islam insgesamt sagen – gibt  es doch auch viele Musliminnen und Muslime, die frei und fröhlich leben. Für sie ist wichtig, dass der Koran oft von der Barmherzigkeit Allahs redet. Umgekehrt lebt man auch als Christenmensch nicht automatisch glücklich und frei. Luthers schwieriger Weg aus religiöser Angst steht dafür. Doch diese Frau aus dem Iran hatte es für sich so erlebt, dass die Botschaft des Evangeliums sie befreite. Sie hatte zwar vor der Religionspolizei fliehen und mit ihrer Familie einen neuen Anfang in der Fremde suchen müssen. Aber sie hatte in Christus den Gott der befreienden Liebe gefunden.

Mich hat diese Begegnung berührt, weil ich darin auch etwas über mich selbst erfahren habe. In der Lebensgeschichte dieser Frau konnte ich wie in einem Spiegel wieder erkennen:  Welch ein Glück, in der Beziehung zu Gott gelöst und frei zu sein! Bejaht und geliebt zu werden – ohne Vorbedingungen! Wie wenig selbstverständlich und wie großartig! Die Mühen und Sorgen meines Alltags, die mich manchmal so bedrücken, sollen diese Wahrheit nicht verschatten! Wo Güte und Liebe sind, da ist Gott.

„Zur Freiheit hat uns Christus befreit. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen.“

Freiheit will bewahrt sein. Freiheit will bewährt werden. Denn je schneller sich unser Zusammenleben in diesem Land verändert – und wir erleben seit Jahren tiefgreifende Veränderungen! – umso mehr scheint die Freiheit selbst für viele zur Last zu werden. Wem der Wandel zu schnell geht, der wünscht sich Verlässliches und Sicherheit. Das verstehe ich. Doch genau hier lauert die Gefahr! Nämlich: trügerischen Sicherheiten nachzulaufen, wie sie einfache Antworten oder Ausgrenzungen versprechen, und dabei den Grund unseres Lebens zu vergessen – Gottes Güte, die uns miteinander leben lässt.

Paulus damals fragte sich: Wer gehört dazu? Zu unserem Volk? Zum Volk Gottes? Für ihn war klar: Es kann keine ‚völkische‘ Antwort geben. Nicht, wo jemand geboren wurde, nicht einmal, ob jemand beschnitten oder unbeschnitten ist, wie Paulus den Galatern schreibt, kann entscheidend sein. Sondern wie einer lebt, wie eine glaubt, worauf sie das Vertrauen ihres Lebens setzt – darauf kommt es Christus an.   

Wer gehört dazu? Wer gehört zu uns – heute, in unserem Land? Es liegt nahe, Grenzen zu ziehen, um sich seiner selbst gewiss zu sein. Und doch: Dass ich Deutscher bin und meine Heimat Mecklenburg liebe, sagt noch längst nicht alles über mich. Zum Geschenk des Glaubens gehört, dass ich Teil eines größeren Ganzen bin.

Als ich letztes Jahr St. Petersburg besuchte, kam ich mit einem jungen Russen ins Gespräch. Kurzzeitige Wiederauferstehung meines Schul-Russisch. Als ich versehentlich mit einem tschechischen Satz antwortete, fragte er mich: „Bist Du Pole?“ „Nein, ich bin Deutscher.“„Ach“, sagte er und breitete die Arme aus, um mich zu umarmen: „Wir sind doch alle Brüder.“ Das ging mir durch und durch: Ausgerechnet in der russischen Stadt, die wie kaum eine andere im 2.Weltkrieg unter deutschen Angriffen gelitten hatte, sieht ein Russe mich als Bruder…

Ja, in Wahrheit gehören wir zusammen. Gott hat uns als Schwestern und Brüder geschaffen – welcher Nation wir auch angehören. Als Kinder desselben Schöpfers können wir uns verlassen auf seine Zuneigung. Zu Gott zu gehören, ist der verlässliche Grund unserer Freiheit. Auf ihn zu vertrauen, befreit uns, in seinem Sinne zu leben.

Paulus spricht vom „Glauben, der in der Liebe tätig ist“ (vgl. Gal 5,6). So wie Jesus es vorgelebt hat. Wie das Gestalt gewinnen kann?

Glücklich sind, die Not und Leid anderer sehen und mittragen – sie werden dadurch selbst beschenkt werden!

Dialog braucht unser Land. Suchen wir das persönliche Gespräch mit Andersdenkenden! Aus eigener Erfahrung weiß ich: Wenn wir zu verstehen beginnen, was Andere bewegt, beginnt der Beton der Ideologien zu bröckeln. Eine Gesellschaft, die Platz hat für alle, ist möglich!

Verweigern wir uns der Hysterie – als zählte nur noch Empörung! Unser Land hat auch die guten Nachrichten, Hoffnungsgeschichten. Und die größte unter ihnen erzählt davon, dass Gott uns gut ist.

Gewiss, manchmal macht der Glaube Pause. Doch er kann neu lebendig werden, persönlich, stark und schön. Gebt die Hoffnung nicht auf! Wo er in euch lebendig ist, teilt ihn!
Wir sind so frei. Seid so frei!
Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus!
Amen.

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