25 Jahre Notfallseelsorge in Hamburg: Die bewegende Arbeit von Pastorin Erneli Martens
31. März 2025
Seit einem Vierteljahrhundert steht die Notfallseelsorge in Hamburg Menschen in ihren schwersten Momenten zur Seite. Pastorin Erneli Martens war von Anfang an dabei und begleitet Betroffene einfühlsam auf ihrem individuellen Weg der Verarbeitung. In diesem Beitrag spricht sie über ihre herausfordernde Aufgabe und ihre bewegenden Erfahrungen.
Vor genau 25 Jahren wurde in Hamburg erstmals eine Stelle für Notfallseelsorge eingerichtet. Pastorin Erneli Martens erhielt damals den auf drei Jahre befristeten Auftrag, diesen Arbeitsbereich aufzubauen. In den vergangenen 25 Jahren hat Martens ein komplexes Netz der ökumenischen Notfallseelsorge geknüpft, das auf der Zusammenarbeit mit den Kirchenkreisen, Gemeindepastoren und zahlreichen Ehrenamtlichen basiert.
Das heutige Netzwerk ist an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr alarmierbar. Rund 300 Seelsorgende sind in ihm aktiv. Der Anstoß für den Aufbau einer kirchlichen Notfallseelsorge bei der Feuerwehr kam damals vom Hamburger Polizeiseelsorger, erinnert sich Pastorin Martens. Sie selbst arbeitete damals in einer Vertretungsstelle.
Die Berufsfeuerwehr in Hamburg ist bundesweit die zweitgrößte nach Berlin. Bei einem Kennenlerngespräch mit dem damals zuständigen Amtsleiter der Stadt Hamburg wurde ihr deutlich, dass die Feuerwehr ein ganz eigenes Selbstverständnis mit bundesweiter Vernetzung und Standards hatte. Doch das damals erst wenige Jahre zurückliegende Zugunglück von Eschede mit über zweihundert Verletzten und Toten hatte die Erkenntnis wachsen lassen, dass seelsorgerische Unterstützung im Notfallbereich erforderlich sei.
Gewachsene Zusammenarbeit
„Ich merkte ganz schnell: Das ist eine ziemliche Liga, in der ich da gelandet bin“, meint Erneli Martens. „Durch den Unterricht, den ich gegeben habe, und natürlich durch die Einsätze bei Notfällen gemeinsam mit den Kollegen von der Feuerwehr ist die Zusammenarbeit und das Vertrauen dann immer mehr gewachsen. Und als die drei Jahre um waren, hieß es: Wir würden gerne weiter mit Ihnen zusammenarbeiten.“

Zudem wurde ihr Aufgabengebiet auf Bitten der Feuerwehr noch erweitert. War sie bisher nur für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger zuständig, bestand jetzt auch der Wunsch, sich um die Einsatzkräfte zu kümmern.
Wenn der Tod plötzlich ins Leben tritt
Erneli Martens und ihre Kollegen werden gerufen, wenn der Tod plötzlich in das Leben von Menschen tritt. In den allermeisten Fällen passiert das im häuslichen Umfeld. Fälle, in denen Gewalt eine Rolle spielt, liegen im Einsatzfeld der Polizei. „Wenn ich den Bereitschaftsdienst habe, sendet mir ein Meldegerät die ersten Infos über einen Fall. Ob ich benötigt werde, erfahre ich von den Einsatzkräften. Durch die Schulung wissen sie, dass und wie sie den betroffenen Personen vor Ort meine Unterstützung anbieten können. Außerdem entwickeln sie ein gutes Gespür dafür, wo meine Hilfe gebraucht wird.“
Erste Hilfe für die Seele
Wenn Pastorin Martens von ihrer Arbeit erzählt, wird ihr großer Erfahrungsschatz, ihre Hingabe für ihre Aufgabe und ihre Fähigkeit, sich selbst stark zurückzunehmen, deutlich. „Es geht darum, die Menschen zu unterstützen und sie auf diesem Weg zu begleiten. Das ist wie Erste Hilfe für die Seele. Die Hinterbliebenen sind in einer solchen Situation auf der Suche nach sich selbst: Was passiert hier eigentlich? Woran kann ich mich halten?“
Die Pastorin erläutert: „Ich begleite sie bei diesen Suchbewegungen und versuche, ihre Signale wahrzunehmen und zu spüren, was sie jetzt brauchen und was ihnen guttun würde. Ich lasse mich auf diesen Weg ein, ohne zu wissen, wie es weitergeht oder wann es endet. Ich weiß, dass es immer einen nächsten Schritt geben wird. Darauf vertraue ich. Ich weiß aber nicht, wann er kommen wird und wie er sein wird. Aber wenn die Menschen sich gehalten fühlen, wenn sie das Gefühl haben, sie dürfen hin und her überlegen, ohne dass sie sich dafür schämen müssen, dann kommen sie immer zu einer Entscheidung. Was immer für diese Menschen genau das Richtige ist, finden sie für sich selbst.“
Begleitung in schweren Momenten
Individuell kann das sehr verschieden sein. Einige Menschen sind eher sachlich unterwegs und möchten mit der Seelsorgerin besprechen, was formal zu erledigen ist. Sie kompensieren das Geschehen auf kognitive Art. Andere sind ihren Gefühlen stark ausgeliefert und müssen sich beispielsweise unbedingt bewegen – und dann gibt es noch die ganze Bandbreite dazwischen. „In einer Situation bin ich mit jemandem stundenlang auf dem Parkplatz gelaufen“, erinnert sich die Pastorin.
Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es gut ist, pragmatisch auf die Menschen und ihre Fragen einzugehen: Möchte ich den verstorbenen Menschen noch einmal sehen? Wie könnte ich mich verabschieden? Wie könnte ich vielleicht auch beten? Dann versucht die Pastorin zu erahnen, an welcher Stelle sie, auch ganz wörtlich, gebraucht wird. „Auch das ist eine Herausforderung: An welcher Stelle bin ich jetzt richtig? Bin ich nah bei der Familie richtig? Bin ich im Rücken der Familie gut, um sie sozusagen im Rücken zu stärken? Oder sollte ich am besten nur still da sein?“
„Wenn es naheliegt, frage ich, ob wir ein Gebet sprechen wollen“, erzählt Erneli Martens. Sie erlebt bei ihren Einsätzen sehr unterschiedliche Frömmigkeitskulturen. Und natürlich auch Menschen, die für sich das Gebet nicht suchen oder wollen.
Kraft für eine fordernde Aufgabe
Die nötige Kraft, um diese Arbeit zu leisten, schöpft die Theologin aus ihren Erfahrungen und Erlebnissen. „Wenn ich merke, dass es einen Unterschied macht, ob ich da bin oder nicht. Wenn Menschen glauben, dass ich in guter Weise etwas bewegen kann und mir dies rückmelden, dann schwächt mich meine Arbeit nicht, sondern stärkt mich.“ Zusätzlich geht sie gerne in den Gottesdienst oder nimmt sie sich regelmäßig eine Auszeit in einem Kloster. „Ich höre oder singe gerne die alten Texte. Das ist meine Art von Training. Ich trainiere Resilienz.“
Für das Leben dazulernen
„In unserer Gesellschaft geben wir uns gerne der Hoffnung hin, dass uns das Thema Tod möglichst lange nicht betrifft“, weiß die Seelsorgerin. Doch wenn er in das Leben trete, lerne man für sein Leben dazu – auch wenn es nicht die helleren Dinge sind. Viele Menschen üben erst, über den Tod zu sprechen, wenn es nicht mehr zu umgehen sei. Doch vieles wird einfacher, wenn man sich darüber austauschen und auseinandersetzen kann. Wer eine differenzierte emotionale Sprache üben musste, weil es gar nicht anders ging, kann für andere eine große Hilfe sein.
Warum Notfallseelsorge einen Unterschied macht
„Es gibt Erfahrungen, die furchtbar sind“, sagt die Pastorin. Einsätze, die besonders fordernd sind – beispielsweise, wenn Kinder einen Elternteil oder Eltern ein Kind verlieren. „Es passiert etwas Schreckliches, von dem man sich wünscht, es wäre nie passiert. Eine der größten Tragödien, glaube ich, ist, dass wir Menschen Angst haben, richtig verloren zu gehen im Unglück. Notfallseelsorge ist wie ein zarter Faden, der spüren lässt: Ich gehe hier nicht verloren. Und das macht einen Unterschied. Auch ich bin nicht allein unterwegs. Für mich ist es klar, dass ich Gott da weiß. Ich werfe das Vertrauen nach draußen und denke: Du musst hier sein. Du hast das versprochen. Ich sehe dich vielleicht nicht, aber ich erwarte, dass du hier bist. Du hast das versprochen.“