Mehr als nur Reden: Wie Regionalzentren die Demokratie vor Ort stärken
20. März 2025
Hakenkreuz-Schmierereien in Schulen, Kinder sogenannter völkischer Siedler in Kitas. Wie geht man damit um? Die Mitarbeitenden der Regionalzentren für demokratische Kultur in Mecklenburg-Vorpommern beraten, unterstützen und hören zu, um die Demokratie zu stärken und Extremismus entgegenzuwirken. Ein Einblick in ihre wichtige Arbeit.
Ob an Schulen, in Kitas oder in der Beratung Einzelner, sie sind in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs, um sich für eine aktiv gelebte Demokratie einzusetzen: Sozialpädagoge Mirko Wetzel und Kommunikationspsychologin Tatiana Rudolph gehören zum Team in der Hansestadt Stralsund. Sie beraten Erzieher:innen und Lehrer:innen, Kommunalpolitiker:innen und Privatpersonen. Sie halten Vorträge vor angehenden Polizist:innen und sind in akuten Situationen beratend im Landkreis Vorpommern-Rügen im Einsatz.
Demokratie fördern
„Wir machen uns Sorgen um die Demokratie, aber auch im besten Sinne des Wortes: Wir sorgen uns, wir kümmern uns. Wir heißen Regionalzentren für demokratische Kultur, um ein demokratisches Miteinander zu fördern und zu unterstützen“, betont Rudolph.
„Grundsätzlich geht es darum, Organisationen und Menschen zu unterstützen und zu beraten, die sich entweder in einer Auseinandersetzung mit Demokratiefeindlichkeit befinden oder – positiv gewendet – sagen: ‚Wir wollen etwas für ein demokratisches Miteinander tun‘“, beschreibt Mirko Wetzel die Aufgaben.
Das kann ein Workshop mit einer einer Gruppe kommunalpolitisch engagierter Jugendlicher sein, ein Vortrag oder eine intensive Einzelberatung mit einer Schulsozialarbeiterin. „Es kann auch die gemeinsame Entwicklung eines Konzepts zu einem Präventions-Curriculum sein, das dann alle Schülerinnen und Schüler dieser Schule durchlaufen“, erläutert der Sozialpädagoge.
In ihrer täglichen Arbeit geht es oft darum, Grundlagenwissen zu vermitteln, denn die Beraterinnen und Berater wissen: Eine gelebte Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit. "Worüber reden wir überhaupt, wenn wir von Demokratie sprechen, wenn wir von Extremismus sprechen? Welche Formen von Menschenfeindlichkeit gibt es jenseits dieser Begrifflichkeiten? Woraus speisen sich Abwertung und ein Ungleichwertigkeitsdenken, das unter anderem im Rechtsextremismus stark ausgeprägt ist, aber keineswegs nur für diese politische Ausrichtung ein Alleinstellungsmerkmal darstellt?", fragt die 48-jährige Rudolph.

Mirko Wetzel und Tatiana Rudolph verstehen ihre Arbeit als aufsuchende Beratungsstelle. Sie fahren durchs Land zu den Menschen und machen sich ein Bild vor Ort: „Wie sieht es hier in der Gemeinde aus? Wir arbeiten eng mit den hiesigen Sicherheitsbehörden zusammen und tauschen uns aus. Mirko Wetzel hat sich stark in die Internetrecherche eingearbeitet und kann benennen, welche demokratiefeindlichen Gruppierungen es überhaupt gibt. Wer ist schon lange aufgefallen? Welche Namensgebungen werden genutzt?“
Besonders wichtig in ihrer Arbeit: immer im Gespräch bleiben, miteinander und nicht übereinander reden.
Herausforderungen in der Praxis: Rechtsextremismus in Schulen und Kitas
Sie werden gerufen, wenn es in Schulen vermehrt Hakenkreuz-Schmierereien an Wänden, der Tafel oder den Pulten gibt. „Gerade in den Schulen sind wir in den letzten Jahren verstärkt mit Propagandadelikten konfrontiert. Es gibt eine große Unsicherheit, wie das einzuordnen ist, was worauf hindeutet. Wir helfen bei der Einschätzung, ob es einen organisierten Hintergrund gibt oder ob es Zufall oder Einzelfälle sind. Wir versuchen, unser Wissen schon in die Lehrer:innenausbildung einzubringen – mit zunehmendem Erfolg. Auch das Bildungsministerium unterstützt das große Thema Demokratiebildung/Extremismusprävention schon in der Ausbildung viel stärker, als es bisher der Fall war“, so der 45-jährige Pädagoge.
Auch bei akuten Vorfällen in Kindertagesstätten werden Wetzel und Rudolph gerufen. Sie stehen Erzieher:innen beratend zur Seite, die Kinder sogenannter völkischer Siedler in ihren Gruppen haben. „Auch da gibt es erschreckenderweise viele Vorfälle, gerade in Regionen, von denen wir wissen, dass es Gruppierungen von Rechtsextremen gibt“, berichtet Rudolph. Völkische Siedler leben in ländlichen Räumen, in der Regel sind es kinderreiche Familien. Ihre Weltanschauung geht auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, das im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand.
„Diese Familien schicken ihre Kinder auch in die Kita und Schule. Und da gibt es allerlei Ereignisse. Also beispielsweise: Ein Kind berichtet davon, dass es ein kleines Geschwisterchen hat. Das sei aber gestorben und es sei aber gar nicht so schlimm, weil es ja behindert war. Oder es werden Kinder im tiefsten Winter bei Minusgraden mit kurzen Kleidungsstücken in die Kita oder Schule gebracht, damit sie abgehärtet werden, um ein bisschen robuster zu werden. Oder ein Kind wünscht sich als Geburtstagsständchen ein Lied aus der NS-Zeit“, berichtet Rudolph aus ihrer Arbeit.
Doch wie mit solchen Fällen umgehen? „Die Kinder leben in dieser Zerrissenheit. Wir bemühen dann auch immer mal wieder den Vergleich mit Sekten. Wie können diese Lebenswelten so weit zusammengeführt werden, dass die Kinder nicht weiter unter Druck stehen, ihnen aber auch gleichzeitig anderes vorgelebt wird?“
Die Rolle der Kirche: Räume für Dialog und Begegnung schaffen
Und auch die Kirche als Institution könne Räume zum Dialog öffnen, in denen offene Gespräche und ein einander zuhören stattfinden kann. „Die Kirche hat Ressourcen, die ganz vielen anderen nicht zur Verfügung stehen, also schlicht auch Räume. Das ist hier auf dem Land nichts Selbstverständliches mehr. Orte, wo Begegnung physisch überhaupt stattfinden kann. Die sind wenig geworden. Ich komme aus einem Dorf, wo es mal drei Kneipen gab, von denen gibt es keine mehr und auch keinen Laden mehr“, erzählt Mirko Wetzel von seinen eigenen Erfahrungen.
Tatiana Rudolph findet es wichtig, sichtbar zu sein. Nicht nur in den sehr wirkmächtigen sozialen Medien mit ihren Bubbles und ihren Algorithmen, die nur noch das Eigene spiegeln. „Wir müssen von Menschenfeindlichkeit betroffene Menschen schützen und uns sichtbar an ihre Seite stellen. Wir können widersprechen und Position beziehen, wenn der als fremd gelesene Mensch mit einer dunklen Hautfarbe und einem fremdländisch klingenden Namen angepöbelt wird, oder die Muslima mit dem Kopftuch. Das kann jede und jeder Einzelne von uns tun.“