Akademie-Direktor: Ost und West sollten einander mehr erzählen
02. September 2019
Die Diskussion zur ostdeutschen Identität vernebelt nach Ansicht des Direktors der Evangelischen Akademie der Nordkirche, Klaus-Dieter Kaiser (63), reale Spaltungen in der Gesellschaft. Etwa die zwischen Arm und Reich, zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern oder zwischen Stadt und Land.
Diese Spaltungen fordern die Gesellschaft viel stärker heraus als die vermeintliche, darüberstehende Spaltung zwischen Ost und West, sagte der Theologe im epd-Gespräch.
Verantwortung übernehmen und Gemeinsinn entwickeln
Seinem Eindruck nach habe sich im Osten eine große Erwartungshaltung an den Staat, der alles richten soll, bis heute erhalten. In der DDR habe es, aus nachvollziehbaren Gründen, eine Staatsfixiertheit gegeben. "Der SED-Staat hat alles an sich gerissen." Wenn man etwas ändern wollte, musste man den Staat verändern - gleichzeitig hat man vom Staat alles erwartet, so Kaiser. Darum brauche es eine verstärkte Eigenverantwortung. "Es geht nicht um ostdeutsche Identität, sondern darum, Verantwortung zu übernehmen und Gemeinsinn zu entwickeln." Vereine zu gründen etwa.
Ost und West sollten einander mehr erzählen
Kaiser plädiert außerdem dafür, dass sich Menschen aus Ost- und Westdeutschland 30 Jahre nach der friedlichen Revolution verstärkt gegenseitig ihre Lebensgeschichten erzählen sollten. Biografien und die damit zusammenhängenden Prägungen sollten erzählt werden. "Für viele Menschen aus Westdeutschland ist der Osten weiterhin ein fernes Land, in das sie nicht reisen."