Landessynode der Nordkirche in Lübeck-Travemünde

Bericht über Interventionen gegen Missbrauch in der Institution Kirche

Dr. Alke Arns, Präventionsbeauftragte der Nordkirche
Dr. Alke Arns, Präventionsbeauftragte der Nordkirche© Silke Stöterau / Nordkirche

01. März 2014 von Mathias Benckert, Susanne Gerbsch

Lübeck-Travemünde. Vor der Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) hat heute (1. März) Bischöfin Kirsten Fehrs einen Bericht zum Stand der Maßnahmen zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der Nordkirche gegeben. Die Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck betonte, dass die Aufarbeitung und der damit verbundene Verstehensprozess noch nicht am Ende seien.

„Vieles ist passiert in uns, die wir mit etlichen Betroffenen, Opfern von Missbrauch in unserer Kirche, geredet haben und immer noch reden. Präziser muss man sagen: Sie reden mit uns“, so Bischöfin Fehrs. „Ohne Verstehen keine Prävention. Denn nur so ist es möglich, zu Lernenden zu werden und nicht aufzuhören damit. Und dass Menschen überhaupt angefangen haben, mit einem Aufarbeitungsprozess, mit Prävention, mit dem Anvertrauen und der Anerkennung des Erlittenen – seit etlichen Jahren schon – dafür bin ich den Betroffenen von Herzen dankbar.“

Dr. Alke Arns, Präventionsbeauftragte der Nordkirche, stellte sich und ihre Arbeit während des Berichtes auf der Synode vor. Sie sagte: „Zur Verbesserung des Schutzes von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Schutzbefohlenen gilt es zunächst, ein Problembewusstsein für Risikostrukturen zu entwickeln, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt in der eigenen Institution  ermöglichen oder begünstigen. Der kritische Blick in die eigenen Strukturen ist eine notwendige Voraussetzung für die Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger und zielgerichteter Präventionsmaßnahmen.“

Dr. Arns ist derzeit in einem intensiven Austausch mit den Kirchenkreisen, um diese bei der Erarbeitung und Weiterentwicklung von Schutzkonzepten zu unterstützen und so die Präventionsarbeit in der Nordkirche strukturell auszubauen. Die Präventionsarbeit reiche von einer grundsätzlichen Sensibilisierung für die Thematik, der Etablierung klarer Beschwerdewege für Betroffene, bis hin beispielsweise zu Fortbildungen für Mitarbeitende, erläuterte Arns.

Weiter sagte sie: „Diese Arbeit orientiert sich unter anderem an den Empfehlungen des Runden Tisches Sexueller Kindesmissbrauch der Bundesregierung und des Unabhängigen Beauftragten. Auch die Ergebnisse der unabhängigen Expertenkommission zur Untersuchung der Missbrauchsfälle in der Nordkirche werden hierbei richtungsweisend sein.“

Bischöfin Fehrs erinnerte in ihrem Bericht die Synodalen an die Maßnahmen der vergangenen Jahre, die sowohl die Kirchenleitung der damaligen Nordelbischen Kirche als auch die nachfolgende Vorläufige Kirchenleitung der Nordkirche beschlossen hatten. Dabei stehen vor allem zwei Beschlüsse vom August 2012 im Vordergrund: die Beauftragung einer unabhängige Expertenkommission und die Einrichtung einer so genannten Unterstützungsleistungskommission („Kommission für Unterstützungsleistungen für Missbrauchsopfer in Anerkennung ihres Leides und in Verantwortung für die Verfehlungen der Institution“). Fehrs sagte: „Die unabhängige Expertenkommission besteht aus vier Experten, die aus juristischer und therapeutischer Perspektive neutral und von außen derzeit aufarbeiten, was in betroffenen Kirchengemeinden vor sich gegangen ist. Ähnliche Aufarbeitungen gab es beim Canisius-Kolleg oder in der Odenwaldschule.“ Mit einem Abschlussbericht sei im Sommer 2014 zu rechnen.

„Hinter dem Wort ‚Unterstützungsleistungskommission‘ verbirgt sich ein neues Konzept, wie man sich individuell – gemeinsam mit den Betroffenen beziehungsweise deren Lotsen – auf Anerkennungsleistungen für erlittenes Leid einigen kann. Und zwar Anerkennungsleistungen materieller wie immaterieller Art“, so die Bischöfin. „Um die Belastung der Betroffenen möglichst gering zu halten, besteht das Angebot von Lotsen und Lotsinnen, die von den Betroffenen frei ausgewählt werden können. Diese Lotsen sind dazu da, die Betroffenen zu beraten, sie als Beistand zu vertreten, sie auf Wunsch im Gespräch mit der Kommission zu begleiten oder gar in Abwesenheit der Betroffenen für sie zu reden. Das richtet sich ausschließlich nach den Wünschen der Betroffenen. Die Lotsen gehören unterschiedlichen Opferorganisationen an, auch eine kirchliche Lotsin ist dabei.“

Bischöfin Fehrs bedankte sich für die Bereitschaft der Lotsinnen und Lotsen, sich auf ein solches Konzept mit viel Freundlichkeit und Fachberatung einzulassen.

Generell im Blick auf den „Verstehensprozess“ Aufarbeitung, der sich auch auf andere bekannte Fälle bezieht, erklärte Bischöfin Fehrs: „Täter agieren selten einzeln – sie haben ein System, das sie zu ihrem Schutz aufbauen und das ihnen zuspielt. Sicherlich nicht immer bewusst. Doch mindestens unbewusst, weil auf irgendeine Weise verstrickt und deshalb verunsichert, wie man reagieren soll. Demgegenüber heißt es Courage zu zeigen: Durchbrechen. An-sprechen – auch wenn es ein Kollege ist. Dass es so nicht weitergehen kann und wird. Dass man den oder die Dienstvorgesetzen einschaltet. Deshalb sind Menschen so wichtig, an die man sich wenden kann, um sich zu beraten. Präventionsbeauftragte zuallererst.“

                                                                                                                          

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