Biblische Spuren auf der NordArt: Kriegsbeil, Feigenblatt und Schwimmflügel aus Marmor
27. August 2024
Ein merkwürdig geknickter Stein aus kühlem Marmor, eine Jesusfigur als Steckspiel in Plastik eingeschweißt, Erde, die man in eine Kiste schaufeln kann. Was hat das alles mit der Bibel zu tun? Bei einigen Kunstwerken auf der NordArt schwingt auf den ersten Blick eine christliche Note mit, bei anderen erschließt sie sich erst auf den zweiten Blick. Die Nordkirche hat sich auf eine Spurensuche mit dem Bibelzentrum Schleswig begeben.
„Was man mit Sprache nicht so gut oder nicht so treffend ausdrücken kann, kann in der Kunst oft besser ausgedrückt und von den Betrachterinnen vielleicht sogar besser wahrgenommen werden“, sagt Dr. Julia Henningsen.
Die Religionspädagogin arbeitet wie auch Pastor Michael Bruhn am Bibelzentrum Schleswig. Die beiden haben acht Kunstwerke unter dem Titel „Biblische Spuren auf der NordArt“ auf der internationalen Kunstausstellung in Büdelsdorf bei Rendsburg ausgewählt.
„Mich leitet die Intuition“, sagt Bruhn auf die Frage, was ihm für die Auswahl entscheidend war. „In dem Moment, in dem mich ein Kunstwerk anspricht und etwas theologisch in mir zum Klingen kommt, bin ich bereit, mich mit diesem Kunstwerk intensiver auseinanderzusetzen, mehr über das Kunstwerk zu erfahren und mich darin zu vertiefen.“
"Jeder und jede sieht etwas anderes"
Beide sehen ihre Gedanken zu den Skulpturen, Gemälden und Installationen als Denkanstöße. „Jeder und jede sieht etwas anderes und dadurch wird es ein großes Kunstwerk, das entsteht, indem wir davorstehen und uns austauschen“, sagt Michael Bruhn.
Ein Rundgang in acht Stationen
Acht Kunstwerke, acht Stationen draußen im Park, im Pavillon und in den großen hohen Hallen der ehemaligen Eisengießerei Carlshütte: Dr. Julia Henningsen und Michael Bruhn sind in diesem Jahr bereits mit Interessierten auf der NordArt unterwegs gewesen. Wir folgen ihren Anregungen:
Station1: Safe? von Veronika Dierauer
„Es ist ein ‚Safe‘ mit einem Fragezeichen“, sagt Pastor Bruhn. „Safe“ ist ein Schwimmflügel natürlich nicht, wenn er aus Marmor ist. Aber ein Schwimmflügel, der mit Luft gefüllt ist, schützt Menschen vor dem Ertrinken. „Die Geschichte dahinter ist eine norddeutsche Geschichte“, erzählt er. Denn die Schwimmflügel für Kinder wurden in Hamburg erfunden.
Kunst durch die christliche Brille lesen
„Wir interpretieren vor unserem Hintergrund die Kunstwerke, die möglicherweise ganz anders gedacht sind, weil sie etwas bei uns zum Klingen bringen“, sagt Michael Bruhn im Interview auf die Frage, welche Rolle Kunst für religiöse Menschen und ihren Glauben spielt. „Die Sprache der Künstler ist ja möglicherweise überhaupt keine biblische oder gar keine christliche Sprache, sondern sie wird zu dieser Sprache, wenn wir sie durch unsere christliche Brille lesen.“
Station 2: Dulguun Bathold – Im Spiegel mit der Natur
Der Künstler Dulguun Bathold stammt aus der Mongolei, dem Schwerpunktland auf der diesjährigen NordArt. Er baute ein Ger, eine mongolische Nomadenjurte, mit Spiegeln statt der üblichen Abdeckung aus Baumwolltuch und Filzlagen.
Auch im Bibelzentrum in Schleswig stehe ein echtes Nomadenzelt, erzählt Relgionspädagogin Dr. Henningsen. „Denn die Themen Nomadentum und Sesshaftigkeit spielen in der Bibel eine große Rolle.“ Für sie spiegele sich die Thematik der Tradition und Moderne in diesem Kunstwerk.
„Denn das Zelt wurde nicht aus Stoff, sondern aus Spiegelglas gebaut, das sowohl die Natur um mich herum als auch mich selbst reflektiert.“ Das Thema Spiegel und Reflektion rege zu Fragen an: Was wird mir da gezeigt? Was sehe ich, was nehme ich wahr? Was wähle ich beim Hinschauen aus?
Station 3: Concentration – Listening – Prayer von Nasantsengel Bayanjargals
Konzentration, Gebet und Hören – die drei Bilder der Künstlerin Nasantsengel Bayanjargal aus der Mongolei richten den Blick auf die menschliche Intuition. „Bei unserem Besuch haben wir mit einer Stille begonnen, um wahrzunehmen, welche Geräusche wir eigentlich hören“, berichtet Michael Bruhn.
25 verschiedene Geräusche hätten die zwölf Menschen in der Gruppe benannt. Es sei spannend gewesen, wie selektiv wir im Alltag Geräusche wahrnehmen und wie anders das ist, wenn wir uns darauf konzentrieren.
Einfach mal hinhören
„Vielleicht ist es gut, einfach mal hinzuhören, statt immer selbst Erklärungen abgeben zu wollen. In der Seelsorge-Ausbildung gibt es einen anschaulichen Rat: ‚Schau dich im Spiegel an, dann siehst du zwei Ohren und nur einen Mund. Verhalte dich entsprechend‘“, erzählt Bruhn.
Station 4: Skyline von XU Songbo – Der Segen nach dem Kampf
„Obwohl ‚Skyline‘ aus einem ganz anderen kulturellen und religiösen Raum stammt, ist ein segnender Christus zu sehen, der an die große Statue „Christus, der Erlöser“ in Rio de Janeiro erinnert“. Michael Bruhn beschreibt die beängstigende Szenerie auf dem Gemälde: eine Welt anscheinend im Krieg, als Sinnbild für das Schreckliches in der Welt.
Jakobs Kampf mit Gott sei ihm in den Sinn gekommen (Genesis 32, 23-33). Im nächtlichen Ringen mit einer Erscheinung lässt Jakob nicht los, bis dieses Wesen ihn segnet. „Er geht also aus diesem Kampf als ein Gesegneter hervor“, sagt Bruhn. „Das ist unser Erleben als Menschen: Es gibt die Ambivalenz zwischen einem Erleben von Schlechtigkeit und dem Versuch, dieses mit Gott in Verbindung zu bringen.“
Station 5: KITS von David Černý – Die Beziehung zwischen Adam und Jesus
„Es heißt ‚Kit‘ – Englisch für Bausatz –, könnte also eine Anlehnung an Spielzeug sein. Sonst sind religiöse Figuren Miniaturen, Püppchen oder Figuren. Diese Kunstwerke in Plastik suggerieren, dass man sie sich einfach so zusammenbauen kann“, sagt Dr. Julia Henningsen. Es sei provozierend und gleichzeitig humorvoll. Bei dem Adam-Set sei das Feigenblatt als Einzelteil dabei, als wenn man beim Spielen entscheiden könne: Verdeckt man jetzt seine Scham oder nicht?
Station 6: Das Kriegsbeil begraben von Gilles T. Lacombe
„Es gibt keine Frage, die momentan wichtiger ist als die nach Krieg und Frieden“, sagt Michael Bruhn. Es gehe um den sozialen Frieden in vielen gespaltene Gesellschaften weltweit. „Es geht um die Ukraine und um eine Wiederbewaffnung mit Langstreckenwaffen in Deutschland.“ Die Installation ist interaktiv, fordert die Besucher:innen zum Handeln auf. Das symbolische Beil liegt einem sargähnlichen Kasten, eingelassen in eine Vertiefung.
Das Ende der Sintflutgeschichte sei ihm bei dieser Installation in den Sinn gekommen, sagt Bruhn. Gott sagt darin, er werde nie wieder die Erde vernichten und er schließt einen Bund mit den Menschen (1 Mose 9, 11-17). „Als Zeichen hängt er seinen Kriegsbogen in den Himmel und das ist der Regenbogen.“
Station 7: Von der Wiege bis zur Bahre von Willi Reiche
„Man hört es schon aus der Ferne“, sagt Dr. Julia Henningsen. Ein bisschen unheimlich oder sogar gruselig fanden einige Besucher:innen den zwölfteiligen Parcours aus merkwürdigen Gegenständen, die ständig in Bewegung sind. Eine Art Babyschrei „wie von einer dieser Puppen, die man umdrehen kann“ oder das Blöken eines Schafes erinnert sie.
Von der Geburtszange bis zum Grab am Ende werden die Stationen von Lebensläufen mit einzelnen Installationen symbolisiert, zum Beispiel das Ausüben eines Sports und das Erlernen eines Berufs. „Ich kannte nicht alle Geräte. Die älteren Menschen erinnerten sich ‚Ach ja, das sind ja …‘ habe ich ein paar Mal gehört.“
Station 8: Burning Tree von Talia Keinan
„Spannung und ein Gefühl der Gefahr liegen in der Luft, denn die Motte wird von den Flammen angezogen, die sie verbrennen werden. In der unendlichen Dunkelheit der Nacht beobachtet Talia das mikrokosmische Drama, das sich zwischen der Motte und der Flamme abspielt“, heißt es im Begleittext der NordArt zu diesem Kunstwerk. Dr. Henningsen beschreibt ein ganz anderes Erleben: „Dadurch, dass wir fast alle in diesen abgeschlossenen kleinen Raum gegangen sind, hatte das etwas sehr Beruhigendes. Die Flämmchen flackern nur sehr zart.“
Zur Bedeutung von Kunst in der Religion
„Ich denke, dass Religiosität sich in ganz unterschiedlichen Formen darbietet, musikalisch, im gesprochenen Wort, im geschriebenen Wort, in der skulpturalen Kunst, in der gemalten Kunst“, sagt Michael Bruhn zur Bedeutung von Kunst in der Religion und für den individuellen Glauben. „Menschen haben einen unterschiedlichen Zugang zu diesen verschiedenen Formen. Dadurch gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten, Glaubensinhalte darin zu finden und sich darin zu vertiefen.“