Christen und Juden diskutieren über deutsche Erinnerungskultur
07. März 2019
Damit so etwas nie wieder passiert... Hohe Vertreter der evangelischen und katholischen Kirchen haben am Donnerstag gemeinsam mit Rabbinern über die deutsche Kultur der Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur diskutiert.
"Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte". Mit dieser Aussage hat AFD-Chef Alexander Gauland im vergangenen Juni heftigste Empörung über alle Partei- und Religionsgrenzen hinweg ausgelöst.
Aber wie soll eine künftige Gedenk- und Erinnerungskultur in Deutschland angesichts der Gräuel der nationalsozialistischen Diktatur aussehen - auch mit Blick darauf, dass es schon bald keine Zeitzeugen mehr geben wird?
Diese Frage stand im Zentrum des diesjährigen Treffens von Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz, des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), der Allgemeinen und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands am 7. März in Frankfurt am Main.
Erinnerungskultur ein unverzichtbarer Teil der politischen Kultur
Angesichts einer von Rechtspopulisten lautstark vorgetragenen Kritik an der deutschen Kultur der Erinnerung an die nationalsozialistische Diktatur stimmten Rabbiner und Kirchenvertreter darin überein, dass die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus unverzichtbar zur politischen Kultur Deutschlands und Europas gehört.
Der Erfolg der Demokratie in Deutschland sei auch einer Gedenkkultur zu verdanken, die weder das Unrecht der Vergangenheit noch das antisemitische und menschenverachtende Erbe der NS-Zeit verschweigt.
Gemeinsames Erinnern ist wichtig
Die Einschätzung, dass die Erinnerungskultur überfrachtet sei, finde sich schon in den 1950er Jahren.
Dies betonte der neue Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschlands (ARK), Andreas Nachama, der auch die Ausstellung Topographie des Terrors in Berlin leitet. „Genau deswegen“, so Nachama weiter, „ist unsere gemeinsame Erinnerungsarbeit notwendig.
Die Lehre aus der Geschichte ist: Völkermorde sind geschehen, also können sie wieder geschehen. Unsere Aufgabe – aller, die heute leben – ist es doch, dafür zu sorgen, dass so etwas möglichst nie wieder geschieht.“
Bedford-Strohm: Gemeinsam mit jüdischen Geschwistern gedenken
Der Ratsvorsitzende der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, hob die Bedeutung „der jüdisch-christlichen Überlieferung für eine öffentliche Erinnerungskultur“ hervor.
„Indem die Kirche gemeinsam mit den jüdischen Geschwistern öffentlich für das Gedächtnis der Opfer der Geschichte eintritt, indem sie verhindert, dass die Opfer von Ungerechtigkeit den endgültigen Tod durch das Vergessen erleiden, schafft sie die Voraussetzung für ein Erinnern, das gerade durch die Würdigung und Anerkennung vergangenen Leidens neues Leiden verhindert.“
Neymeyr: Kirche muss Erbe antijüdischer Vorurteile überwinden
Dem stimmte der katholische Bischof Ulrich Neymeyr (Erfurt), Vorsitzender der Unterkommission für die religiösen Beziehungen zum Judentum der Deutschen Bischofskonferenz, ausdrücklich zu. Er erinnerte an die Vergebungsbitte von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 und fügte hinzu, dass der kritische Blick auch auf kirchliche Traditionen gerichtet werden müsse, um das Erbe antijüdischer Vorurteile zu überwinden.
„Da haben wir in der Kirche noch einen weiten Weg vor uns – auch in der Verkündigung und Katechese, denn viele Katholiken haben noch falsche Vorstellungen vom Judentum.“
Soussan: Juden nicht auf Opferrolle festlegen
Einen kritischen Akzent setzte der Frankfurter Rabbiner Julian-Chaim Soussan von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Zwar wolle er die Bedeutung der Erinnerungskultur für die Demokratie keineswegs schmälern.
Allerdings dürften Juden in der öffentlichen Wahrnehmung nicht auf eine Opferrolle festgelegt werden. Es gelte vielmehr, den Reichtum der jüdischen Tradition und die Lebendigkeit des gegenwärtigen Judentums stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern.