Christlich-jüdischer Dialog macht Hoffnung, dass Konflikte überwunden werden können
23. März 2022
Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Mecklenburg-Vorpommern hat in Schwerin ihren zehnten Geburtstag gefeiert. Überschattet wurde die Feier vom Krieg in der Ukraine. Die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften mache dennoch Hoffnung, dass der Hass überwunden werden könne, so Landesrabbiner Yuriy Kadnykov.
Zu den Festrednern gehörte auch Bischof Tilman Jeremias, der selbst Mitglied des Vereins ist. „Ich kann hier nicht sprechen, ohne immer das unsagbare Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer in Kopf und Herz zu haben. Die meisten Menschen der jüdischen Gemeinden in unserem Bundesland haben Wurzeln in Russland oder der Ukraine, sorgen sich um Angehörige, Freunde und Bekannte“, so der Bischof.
„Jahrhunderte währendes jüdisches Leben wie in Odessa ist in existenzieller Gefahr. Und dennoch ist es gerade angesichts dieses barbarischen Krieges gut, dass wir heute hier zusammen sind und eine zehnjährige Geschichte der Verständigung feiern", so der Bischof.
Wir können auch Differenzen aushalten
In seiner Festrede wies er auch auf die jüdischen Wurzeln des christlichen Glaubens hin. „Man kann gut Jüdin oder Jude sein ohne den Austausch mit Christen. Man kann aber niemals Christin oder Christ sein, ohne sich der jüdischen Wurzeln des eigenen Glaubens bewusst zu sein und ohne sich den jüdischen Hintergrund Jesu, des Apostels Paulus oder der Evangelien klar zu machen“, erklärte Jeremias.
Neben gemeinsamen biblischen Glaubensgrundlagen wie dem an einen Schöpfergott oder die zehn Gebote gelte es, Differenzen klar zu benennen und auszuhalten: „Gott hat sich ein Volk erwählt aus allen Völkern, ein kleines Volk, das er liebt. ‚Ich bin dein Gott, du bist mein Volk‘– dieser Bund Gottes mit Israel gilt ewig. Wir als Kirche tun gut daran, zu akzeptieren, dass solch wesentliche Passagen der Hebräischen Bibel, also des Alten Testaments, nicht uns zugesprochen sind, sondern dem jüdischen Volk.“
Gute Zusammenarbeit ist Hoffnungszeichen
„Als Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit wollen wir zeigen: Wir sind da, in der Mitte der Gesellschaft und zwar in einem Land, in dem die meisten Menschen areligiös sind. Trotz der Differenzen, die Juden und Christen seit Tausenden Jahren haben, bauen wir auf Gemeinsamkeiten auf“, so Yuriy Kadnykov, der Landesrabbiner der jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern.
„Das ist ein ganz wichtiger Punkt gerade jetzt, wo jede Minute Bomben fallen und Menschen sterben. Es kann ein gutes Zeichen sein, wenn wir auch in diesen schwierigen Zeiten, in denen Abneigung und Hass herrschen, zusammenarbeiten und zusammen etwas aufbauen. Das ist eine Botschaft für die Zukunft und eine gewisse Hoffnung“, sagte der Rabbiner, der selbst von der Krim stammt.
Nächstenliebe statt Nächstenhass
Die derzeitigen Konflikte würden auch in die jüdischen Gemeinden getragen, erzählt er: „Die Konfliktlinien gehen zum Teil auch durch die Familien, weil fast alle Verwandte haben in Russland und der Ukraine. Wir versuchen, die Lage zu entspannen, indem wir ihnen erklären, dass sie mit jeder Berichtserstattung kritisch umgehen sollen, so wie wir kritisch umgehen mit unseren biblischen Texten.
Aufeinander zugehen und Unrecht zugeben
„Wenn wir statt Nächstenliebe Nächstenhass ausüben, bringt das nichts. Die große Arbeit, die jetzt vor uns liegt, ist, Menschen zu einem Zwiegespräch zu bringen, anstatt Fahnen in egal welcher Farbe zu schwenken. Der erste Schritt ist, zuzugeben, wo man unrecht hat. Das ist nicht der erste Krieg in unserer 4000-jährigen Geschichte. Die Synagogen und Kirchen bleiben bestehen, und das sind die Orte, wo die Menschen sich sicher fühlen sollen, egal welchen Pass sie haben.“
Vorsitzende der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit ist seit 2014 Maria Schümann. 1954 geboren habe sie in der katholischen Kirche noch gelernt, dass die Juden Gottesmörder seien. In der DDR sei das Verhältnis zum Judentum ambivalent gewesen: „Offiziell war die DDR nicht judenfeindlich: In der Schule wurden die Juden als Antifaschisten proklamiert. Auf der anderen Seite galt Israel als imperialistisch. Ich bin aufgewachsen mit dem Bild im Hinterkopf, dass Juden Ausländer in Deutschland sind.“
Wir brauchen einen Dialog des Alltags
Sie freut sich über die gute Vernetzung der Gesellschaften im Norden: „Seit vier Jahren sind wir über eine Regionalkonferenz verbunden und haben besonders enge Kontakte zum Lehrhaus in Hamburg, nach Lübeck und nach Kiel.“ Gerade verschiebe sich der Schwerpunkt der Vereinsarbeit weg vom rein Theologischen: „Wir merken zunehmend, dass wir einen Dialog des Alltags brauchen. So passiert ganz viel, wenn Menschen aus unserer Region erstmals eine Synagoge besuchen und diese große Gastfreundschaft in den jüdischen Gemeinden erleben.
Gerade jüngere Leute bräuchten Angebote, bei denen sie anpacken und mitmachen können. Da passt es gut, dass der Dachverband mit dem diesjährigen Jahresthema ‚Fair Play – jeder Mensch zählt‘ den Sport in den Mittelpunkt gestellt habe. „Die vielleicht wichtigste Erfahrung aus dem Fest- und Gedenkjahr ‚1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland‘ ist, dass es ein ganz lebendiges vielfältiges jüdisches Leben in Deutschland gibt. Das gilt es auch in unserer Region zu entdecken.“