Interview mit Pastor Florian-Sebastian Ehlert zur Ethik in der Pflege

Der Pflegealltag bedeutet, Konflikte aushalten zu müssen

Florian-Sebastian Ehlert schult Pflegekräfte und medizinisches Personal in der Erörterung von ethischen Fragen. Denn ihr Job stellt sie immer wieder vor Situationen, in denen es keine leichten Lösungen gibt.
Florian-Sebastian Ehlert schult Pflegekräfte und medizinisches Personal in der Erörterung von ethischen Fragen. Denn ihr Job stellt sie immer wieder vor Situationen, in denen es keine leichten Lösungen gibt. © Julia Krause, Nordkirche

16. Mai 2024 von Julia Krause

Fachkräfte bemängeln schon lange, dass Pflegeideal und Pflegealltag mitunter sehr weit auseinanderklaffen. Doch wie hält man diesen Konflikt aus? Pastor Florian-Sebastian Ehlert ist Trainer für Ethikberatung im Gesundheitswesen und Pastoralpsychologe in der Arbeitsstelle Ethik im Gesundheitswesen des Kirchenkreisverbands Hamburg. Er schult Pflegekräfte im Umgang mit ethischen Fragen und hilft so, Stress zu reduzieren.

Anlässlich des Internationalen Tags der Pflege gingen in dieser Woche bundesweit Menschen auf die Straße, um für eine bessere Pflege-Situation zu demonstrieren, die den Bedürfnissen von Pflegenden und Patienten gerecht wird. 

Pflegekräfte stehen oft vor Dilemmata

Pastor Florian-Sebastian Ehlert weiß, wie schwierig die Lage im Pflegesektor ist. In seinem Job als Ethiktrainer und Pastoralpsychologe begegnet er oft Menschen, die mit ethischen Konflikten konfrontiert sind.

Manchmal sind sie hin- und hergerissen zwischen medizinischer Fürsorgepflicht auf der einen und dem Autonomie-Wunsch des Patienten auf der anderen Seite. Manchmal fehlt schlicht die Zeit, um auf jemanden näher einzugehen. Im Interview erzählt er, warum eine Schulung in ethischen Fragen so wichtig ist.

nordkirche.de: Herr Ehlert, in dieser Woche demonstrierten zum Tag der Pflege gerade in Hamburg viele Menschen gegen den Pflegenotstand, den Pflegende, Bewohner:innen und Angehörige erleiden. Wie sieht denn die Situation in der Pflege aktuell aus?

Florian-Sebastian Ehlert: Man kann sagen: Die Pflege besteht oft nur darin, jemanden satt und trocken zu halten. Das ist der Minimalstandard, der in der Regel erfüllt werden kann. Und mehr geht kaum. Beziehungsarbeit, Animation zur Bewegung und dergleichen bleiben auf der Strecke.

Dazu berichten Pflegende, dass es ein Rennen gegen Windmühlen ist. Man kommt mit der Arbeit nicht hinterher. Und das hat insofern eine ethische Dimension, weil es immer auch moralischen Stress erzeugt. Das Ungenügende oder das Unzureichende muss ja irgendwie ertragen werden, damit müssen Leute umgehen können.

Hinzu kommt, dass Pflegende zu diesem Stress wenig Anerkennung erhalten. Pflegende engagieren sich trotz der Belastungen und holen das Mögliche heraus. Wer erkennt das eigentlich an? Um auf diesen Konflikt in der Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, ist der Tag der Pflege wichtig.

Demografischer Wandel verstärkt das Problem extrem

In den vergangenen Jahren wurde oft bemängelt, dass finanziellen Anreize fehlen, um Fachkräfte in der Pflege zu binden. Dieser Aspekt scheint aktuell nicht mehr so sehr im Mittelpunkt zu stehen. Der Fachkräftemangel ist aber weiterhin unbestritten.

Ja, das große Problem ist der Personalmangel: Krankenhäuser können jetzt schon mitunter Patienten nicht mehr in Heime verlegen, weil das Personal fehlt. Das gleich gilt für die ambulante Pflege. Es gibt bei Weitem nicht mehr genug Pflegekräfte.

Und es wird nicht besser: Jetzt gehen die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand und fehlen damit an Fachkräften. In absehbarer Zeit werden diese Jahrgänge selbst pflegebedürftig. Im Grunde müsste jeder Schulabgänger heute einen Pflegeberuf wählen, um das aufzufangen.

Die Abbrecherquote von Auszubildenden in der Pflege ist nach wie vor überdurchschnittlich hoch. Sie liegt bei etwa 30 Prozent…

Die Gründe dafür sind vielschichtig. Sie haben aber auch eine ethische Dimension: Denn nach meiner Erfahrung treten viele Auszubildende ihren Werdegang mit einem bestimmten Ethos an: Sie wollen Menschen helfen.

Und eine Pflegeschüler:in, die dann auf Station kommt, erlebt, dass das, was in der Theorie gelehrt wird, in der Praxis nicht stattfindet. Sie erlebt eine Mangelverwaltung. Das ist ernüchternd und hochgradig frustrierend.

Ethischer Diskurs schafft Entlastung

Abgesehen von einer größeren gesellschaftlichen Anerkennung ihrer Leistungen, was wünschen sich die Beschäftigten in der Pflege für ihren Berufsalltag?

Der Zeitfaktor spielt immer eine große Rolle. Wenn man mit Pflegenden spricht, sagen sie: Gib uns mehr Zeit. Gleichzeitig ist der Bedarf nach ethischer Reflexion immens.

Denn viele Pflegekräfte stehen Tag für Tag vor ethischen Dilemmata. Es würden helfen, wenn es einen Raum gäbe, in dem solche Dinge besprochen werden können. Selbst wenn es oft keine einfache Lösung gibt, schafft es Entlastung, auf diese Weise Realitäten ins Auge zu blicken.

Zur Person

Floran-Sebastian Ehlert studierte Theologie in Hamburg und Aaarhus (Dänemark). Auch nach dem Studium blieb er dem Norden treu und arbeitete als Pastor in Hamburg und im Kreis Herzogtum-Lauenburg. Im Klinikum Reinbek St. Adolf-Stift sowie in der Asklepios-Klinik Hamburg-St. Georg war er viele Jahre als Krankenhausseelsorger tätig.

Im Jahr 2020 wurde er Leiter der Arbeitsstelle für Ethik in Gesundheitswesen beim Kirchenkreisverband Hamburg sowie Referent in der pastoralpsychologischen Aus- Fort und Weiterbildung in der Nordkirche. 

Zu seinen Aufgaben gehört die Schulung von Fachkräften aus den Bereichen Medizin und Pflege sowie die Beratung von Unternehmen beim Aufbau ethischer Kompetenzen. Zudem wird er auch als Moderator zu ethischen Konfliktfällen gerufen.  

Sie waren lange Krankenhausseelsorger, bevor sie Ethiktrainer wurden und in dieser Funktion nun medizinisches und pflegerisches Personal schulen. Was gab den Ausschlag dafür?

Ich kam ins Krankenhaus und hatte null Ahnung von Ethik. Damals war das nicht Teil der Ausbildung. Aber es hat mich interessiert. Denn Ethik hat ja nicht nur mit Empathie und Fürsorge zu tun, sondern hat auch mit Rationalität, mit Argumenten, mit Reflexion. Mich hat das fasziniert, weil es eben auch immer um was geht. Nicht selten um Leben und Tod. Heute kann ich einen Beitrag dazu leisten, dass Mediziner und Pflegende in sehr herausfordernden Situationen qualitativ hochwertige Entscheidungen treffen können. Das finde ich befriedigend.

Argumentation eröffnet Verhandlungsprozess 

Wie kann man sich das genau vorstellen?

Eine große Rolle spielt die Argumentationsfähigkeit im Miteinander. Eine Medizinerin denkt anders als eine Pflegerin. Jede Berufsgruppe hat eine bestimmte Denk- und Sprachlogik. Teil meines Jobs ist es, dass alle eine Sprache finden, die nicht nur die persönliche Betroffenheit ausdrückt, sondern die diese Betroffenheit in eine Sprache übersetzt, die von anderen gehört werden kann.

Der sprachliche Diskurs eröffnet Verhandlungsprozesse – im Kleinen wie im Großen. Letztlich geht darum, die verschiedenen Berufsgruppen miteinander ins Gespräch zu bringen, damit sie in sehr komplexen, schwierigen Situationen die verschiedenen Aspekte erkennen und zu einem Konsens finden.

Vielen Dank für das Gespräch!

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