"Der Raub": Neues Sachbuch erinnert an Schicksale jüdischer Unternehmer am Neuen Wall
07. März 2025
Der Neue Wall war einst Sitz vieler jüdischer Unternehmen, die weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt waren. Heute erinnert hier kaum mehr etwas an die Menschen, die zu Hamburgs Reichtum und Reputation als Handelsmetropole beigetragen haben. Ein Projekt der Evangelischen Akademie der Nordkirche will das ändern. In diesem Monat ist das Buch "Der Raub" erscheinen. Es schildert exemplarisch, wie jüdische Unternehmer enteignet und verfolgt wurden und in der Nachkriegszeit mühsam um Entschädigung rangen.
Mehr zum erinnerungskulturellen Projekt Neuer Wall der Evangelischen Akademie der Nordkirche
Nur 580 Meter ist die Einkaufstraße Neuer Wall in Hamburg lang. Sie ist eine der besten Adressen der Hansestadt: Die Geschäfte sind exklusiv, das Ambiente am Alsterfleet mondän. Die aufwendig restaurierten Altbauten vermitteln den Eindruck, als ob Geld und Werte hier von einer Unternehmer-Generation zu nächsten weitergegeben werden.
Buch beschreibt Geschichte von 13 Unternehmern
Was man nicht sieht, ist der brutale Bruch mit dieser Tradition vor nicht einmal 100 Jahren: In den 1930er Jahren gab es 40 Geschäfte in dieser kurzen Straße, dessen Inhaber von den Nationalsozialisten enteignet und verfolgt wurden, weil sie „nicht-arisch“ waren.

13 dieser Schicksale hat der Journalist und Historiker Cord Aschenbrenner im Auftrag der Evangelischen Akademie der Nordkirche recherchiert und in einem Sachbuch mit dem Titel „Der Raub“ beschrieben. Es ist ein dokumentarisches Werk ohne Schnörkel, das aber gerade in seiner nüchternen Klarheit unter die Haut geht.
Ab 1933 ist es ein Leben im Alarmzustand
Da ist etwa die Familie Robinsohn, die ein florierendes Modehaus am Neuen Wall mit 750 Angestellten nebst einer eigenen Frauen-Zeitschrift führt. Leo und sein Bruder Max gelten als progressiv. Sie richten eine Wohlfahrtskasse für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein, sind Mitglied in der DDP, gründen einen Debattierzirkel und beauftragen die bekennende Frauenrechtlerin Frieda Radel mit der Leitung ihrer Zeitschrift.
Anfang der 1930er Jahre übergeben sie das Ruder der Firma nach und nach an ihren Sohn bzw. Neffen, Hans Robinsohn. Die Zeiten für jüdische Unternehmer sind zu diesem Zeitpunkt schon schlecht. Sie sind stetig wachsenden Anfeindungen ausgesetzt, Lieferungen werden nicht mehr zugestellt, Kundinnen bleiben aus. Spätestens seit 1933 leben sie in einem dauernden Alarmzustand, so zeigen es die Recherchen Aschenbrenners.
Novemberpogrome machen völlige Entrechtung deutlich
Was die Familie nicht glauben kann, ist, dass sich ihre Situation innerhalb kürzester Zeit in einen Zustand völliger Rechtlosigkeit wandelt. Und so harren sie trotz ihrer finanziellen Möglichkeiten in Deutschland aus. Bis zu den Novemberpogromen 1938 trotzen sie täglich Hass und Hetze und zunehmenden Eingriffen der NS in ihr Geschäftsleben.
Das Buch „Der Raub. Enteignung und Verdrängung der jüdischen Geschäftsleute am Neuen Wall in Hamburg“ ist im März 2025 im Wachholz-Verlag erschienen und kostet 24 Euro. 248 Seiten. ISBN: 978-3-529-08716-5
Doch was dann geschieht, ist ein Gewaltexzess. Hans Robinsohn schildert ihn später so: „Am Morgen des 10. November 1938 wurde mir telefoniert, dass im Geschäft allerhand zerstört sei. Ich fuhr dann hinein und musste feststellen, dass es bei uns aussah wie nach einer Artilleriebeschießung – man wunderte sich nur, dass noch die Mauern standen. Durch sämtliche Schaufenster und deren Rückwände waren um 4 Uhr ca.50 Leute eingedrungen und hatten innerhalb einer Stunde eine Verwüstung ohnegleichen angerichtet“, so Robinsohn. „Alles Glas, Tische, Schränke, Lampen und Vitrinen zerschlagen; die Splitter lagen etwa 25 Zentimeter hoch vom Boden. Alle Schränke und Tische waren umgestürzt, die Fahrstuhltüren eingeschlagen; die Waren heruntergerissen und ausgeschüttet, dann zertreten, zerschrammt und zerdrückt.“
Überlebende kämpfen mit Verlust ihrer Gesundheit
Unter diesem Eindruck gibt Hans Robinsohn sich geschlagen und flieht, um einer Verhaftung durch die NS-Schergen zu entgehen. Max und Leo Robinsohn bleiben, verlieren die Firma und werden schließlich inhaftiert.

Andere Unternehmer am Neuen Wall flüchten schon vor den Novemberpogromen. Doch die jahrelangen Repressalien, der Verlust des gesamten Vermögens und die Angst um all jene, die nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden konnten, kostet vielen die Gesundheit. In den Anträgen an das Amt für Wiedergutmachung schildern mehrere Familien, welche körperlichen und seelischen Schäden die Enteignung hinterlassen hat.
Nazis sorgen für Verlust von Beruf und Vermögen
Cord Aschenbrenner hat hunderte dieser Akten durchforstet und ist dabei zum Teil auf eine Fortsetzung des Unrechts gestoßen. Besonders eindrücklich schildert er dies am Beispiel von Waldemar Horwitz.
Der Exportkaufmann unterhält rege Beziehungen nach Japan und erhält bis 1937 Aufträge in Millionenhöhe. Sein Geschäft ist zwar unter ständiger Beobachtung der Nazis, operiert als dringend gebrauchter Devisenbringer aber zunächst weiter. Erst nachdem die Nazis seiner Frau Alice, einer angesehenen Kinderärztin, die Kassenzulassung entziehen, bereitet das Paar seine Auswanderung in die USA vor. Nebst dem Verlust seines kompletten Vermögens bedeutet das in den Jahren 1937/38 eine lebensgefährliche Erfahrung, die ihn nie mehr ganz loslassen wird.
Wiedergutmachungsamt zeigt sich kleinlich
In der Folge leidet Horwitz unter Gallenkoliken, Kammerflimmern und Depressionen. Das Amt für Wiedergutmachung zeigt sich davon unbeeindruckt. Mehr noch: Es rechnet, so belegen es die Recherchen Aschenbrenners, auch sein einstiges Vermögen klein und erniedrigt ihn mit einem in die Länge gezogenen Verfahren. Einsicht oder gar echte Anerkennung des widerfahrenen Unrechts erfährt das Ehepaar hier nicht. Vielmehr legen Formulierungen wie „hat es vorgezogen Deutschland zu verlassen“ nahe, dass die Eheleute aus freien Stücken auswanderten.
Erinnerung soll erhalten bleiben
Es sind diese zweiten Demütigungen in der Nachkriegszeit, die einen beim Lesen des Buches besonders beschämen und die deutlich machen: Dieses Unrecht ist noch lange nicht aufgearbeitet. Und so soll „Der Raub“ nach den Plänen der Evangelischen Akademie der Nordkirche auch nur ein Puzzleteil der öffentlichen Erinnerungsarbeit. Geplant sind ebenso eine interaktive Website sowie öffentliche Gedenktafeln, die am Neuen Wall an die jüdischen Geschäftsleute erinnern, die diese Flaniermeile groß gemacht haben.
Denn ohne Projekte wie das der Evangelischen Akademie würde das Geschehene für nachfolgende Generationen nicht mehr begreifbar. „Die Erinnerung ist fast völlig erloschen. Das finde ich beklemmend“, sagt Cord Aschenbrenner.
Mehr zum Projekt erfahren Sie hier: https://www.akademie-nordkirche.de/projekte/neuer-wall