Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche zum Versuch der Abschiebung aus Kirchenasyl
20. Dezember 2023
Die versuchte Abschiebung aus einem Kirchenasyl in Schwerin am Donnerstag (20. Dezember 2023) ist von der Flüchtlingsbeauftragten der Nordkirche, Pastorin Dietlind Jochims, scharf kritisiert worden.
Zur Person:
Dietlind Jochims, Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche
+49 171 411 8333
dietlind.jochims@flucht.nordkirche.de
Schwerin – Als „beschämend und mit den Grundsätzen der Menschenrechte unvereinbar“ hat die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche), Dietlind Jochims, die versuchte Abschiebung zweier erwachsener Kinder einer Familie aus Afghanistan aus einem Kirchenasyl in Schwerin verurteilt.
„Hier wurde der Schutzraum einer schwer traumatisierten Familie, die in ihrer Heimat mit dem Tod bedroht wurde, verletzt“, so Dietlind Jochims. Das Kirchenasyl wurde seit vergangenem Freitag gewährt und – wie es gängige Praxis ist – allen zuständigen Behörden zur Kenntnis gegeben. Die Familie ist mit einem spanischen Visum über den Iran in die EU eingereist und hat einige Zeit in Schleswig-Holstein gelebt. Erst vor wenigen Tagen hat sie Kirchenasyl beantragt und in Schwerin erhalten. Der Abschiebungsversuch ging von den Kieler Behörden aus.
Bischöfin Steen: Den Schutzraum Kirchenasyl achten
Die Bischöfin im Sprengel Schleswig und Holstein, Nora Steen, betonte: „Solch eine bedrohliche und eskalierende Situation wie heute Morgen in Schwerin hat diese Familie massiv retraumatisiert und ist unzumutbar. Ich bitte alle zuständigen Behörden, den Schutzraum Kirchenasyl zu achten.“
Als Frauenrechtlerin in Afghanistan massiv bedroht und gefährdet
Nach Informationen der Flüchtlingsbeauftragten handelt es sich bei den Betroffenen um eine sechsköpfige Familie aus Afghanistan. Zwei der Kinder sind noch minderjährig. Die Mutter ist eine bekannte Frauenrechtlerin und Journalistin, die in ihrer Heimat massiv bedroht wurde.
Über das Aufnahmeprogramm für Afghanistan des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes sei der Familie eine Aufnahme in Deutschland zugesichert worden. Die Visumserteilung verzögerte sich allerdings.
Da das Leben der Familie zusehends gefährdet war und sich auch deren Gesundheit verschlechtert hatte, flohen die Menschen in den Iran. Von dort aus gelangten sie mit einem spanischen Visum nach Europa.
Verstoß gegen Zusicherungen und die Prinzipien der Menschenrechte
„Der Familie war eine Aufnahme in Deutschland zugesagt worden. Es ist ein Armutszeugnis für die Behörden, dass die Visa-Formalitäten viel zu schleppend angesichts der Lebensgefahr für die Familie bearbeitet worden sind“, kritisiert Dietlind Jochims. Bei dem Versuch von heute (Donnerstag, 20. Dezember) morgen, die beiden volljährigen Kinder von der Familie zu trennen und abzuschieben, sei gegen Zusicherungen der Behörden und die Prinzipien der Menschenrechte verstoßen worden:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat selber festgehalten, dass eine Familientrennung hier vermieden werden soll. Außerdem ist das Kirchenasyl gebrochen worden, was dem bekundeten Respekt für diesen Schutzraum widerspricht.
Hintergrund zum Kirchenasyl
Aus dem Archiv: "Nach der Flucht endlich an einem sicheren Ort"
Bevor ein Kirchenasyl gewährt wird, lässt sich die Kirchengemeinde gut beraten und jeden konkreten Einzelfall genau prüfen. Ein Kirchenasyl wird vom Kirchengemeinderat beschlossen– die Entscheidung wird also direkt vor Ort gefällt.
Dabei gilt, dass mit dem Kirchenasyl Zeit für eine erneute Überprüfung gewonnen werden soll, weil die berechtigte Annahme besteht, dass es sich um einen besonderen Härtefall handelt.
Meist handelt es sich um so genannte ՙDublinfälleՙ, bei dem ein Asylantrag bereits in einem anderen europäischen Land gestellt wurde, bei einer Rückkehr dorthin aber Repressalien oder Gewalt für die geflüchtete Person zu befürchten sind. Hier bedeutet der positive Ausgang eines Kirchenasyls, dass Deutschland für die Prüfung der Asylgründe zuständig wird.
Der Staat toleriert das Kirchenasyl, bei dem Kirchengemeinden Geflüchteten Wohnraum bieten und sie versorgen, obwohl er grundsätzlich von seinem Zugriffsrecht Gebrauch machen und abschieben kann. Um gemeinsam zu guten humanitären Lösungen kommen zu können, wurde 2015 eine Verfahrensabsprache zwischen BAMF und den Kirchen getroffen.