24. Juli 2023 | Hauptkirche St. Trinitatis Altona

Gedenken zum 80. Jahrestag der Zerstörung der alten Mitte Altonas

24. Juli 2023 von Kirsten Fehrs

Begrüßung

An diesem Abend jährt sich zum 80. Mal der Beginn der verheerenden alliierten Bombenangriffe auf Hamburg, bekannt unter dem Namen „Operation Gomorrha“. In der ersten Angriffsnacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 wurde auch die alte Mitte Altonas, das Gebiet rund um die Hauptkirche St. Trinitatis, zerstört. In dieser und den folgenden Nächten starben in Hamburg über 35.000 Menschen, hunderttausende verloren ihre Wohnungen und ihre Hoffnung auf ein Leben in Frieden. Angesichts dieses besonderen Gedenkjahres, in dem wieder Krieg in Europa herrscht, erinnern wir an die Ursachen und Folgen der ‚Operation Gomorrha‘ in Hamburg. – Eine wache Demokratie braucht eine wache Gedenk- und Erinnerungskultur- ich bin dankbar, dass Sie heute Abend den Weg hierher gefunden haben.

Gebet

Wir sind hier, um zu gedenken. Und um zu beten. Denn wer betet, findet sich nicht ab mit Krieg, Not und Terror. Wer betet ersehnt die Veränderung, damit den Worten Taten folgen. Ganz wie Bonhoeffer es einst fasste in dem Begriff „Beten UND Tun des Gerechten“. So eines Sinnes und Geistes beten wir:

Jesus Christus,
du hast gezeigt und gelebt, was es heißt, Feinde zu lieben, Versöhnung zu stiften und Schritte des Friedens zu gehen. Du hast gepredigt: Selig sind, die Frieden stiften
Wir bringen unsere Klagen im Vertrauen auf deine heilsame Gegenwart vor dich:
Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, zu besitzen, was nicht ihr eigen ist.
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet.
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen.
Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Heimatlosen und Flüchtlinge.
Unseren mangelnden Einsatz gegen alle, die Rassismus und Hass verbreiten.
Unser Nicht-mehr-Sehen-Wollen, wenn die Nachrichten uns Armut und Elend, Krieg, Leiden und Tod immer wieder neu vor Augen führen.
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf dich.
Wir bitten dich, begleite mit deinem Geist alle Menschen, die zum friedlichen Dialog, zu Verhandlungen in Kriegsgebieten aufrufen.
Sei mit deiner tröstenden Gegenwart bei allen, die unter Diktatur und Machtmissbrauch leiden und sich nach Frieden sehnen.
Für uns selbst bitten wir dich, lass uns nicht stumm sein, wo wir reden müssen, lass uns nicht wegschauen, wo wir genau hinsehen sollen, lass uns die Stimmen nicht überhören, die uns von Unrecht berichten und zum Handeln für Gerechtigkeit aufrufen.
Amen.

Impuls

„Father Forgive“. Als der englische König Charles III noch ungekrönt im März diesen Jahres Hamburg besuchte, gehörte es zu seinen wichtigsten Terminen, das Mahnmal St. Nikolai zu besuchen. Um gemeinsam mit dem Bundespräsidenten und dem Ersten Bürgermeister die Coventry-Litanei mitzubeten. In dem kurzen Gespräch, das ich mit ihm führte, merkte ich sofort, dass es ihm ein echtes Herzensanliegen war. In diesem Moment ein ganz nahbarer König, dem wirklich daran lag, ein Zeichen der Versöhnung zu setzen. Eben als Engländer, dessen Nation gemeinsam mit den Amerikanern vor 80 Jahren mit der Operation Gomorrha Hamburg in Schutt und Asche legte. Nikolai, Hamm, Rothenburgsort, St. Pauli – überall brannte die Luft, schrien Verwundete, starben Menschen im Flammenmeer. Und ja auch hier in Altona. Am 24. Juli nachts begann der Feuersturm und vernichtete direkt nebenan unzählige Leben und ganze Straßenzüge. Die Kibbelstraße und Kibbeltwiete etwa, wiedergefunden jüngst bei den Grabungen nebenan. Trümmer der Schuld, die 1943 so grausam auf Deutschlands Hamburg zurückschlug.
Und da stand ich nun, sprach die Litanei auf Deutsch und Englisch - eben als Deutsche, deren Nation einst den Krieg begann und im Rassen- und nationalen Wahn eine grauenvolle Schneise der Vernichtung durch die Weltgeschichte zog. Wie 1940 in London - und in Coventry. So, dass dort kein Stein auf dem anderen blieb. Sterben, Verwüstung, infernalische Hitze und Hetze, hier wie dort – Vater vergib. Nur zwei Worte. Und nur drei Sätze zwischen dem König und mir, kurz, klar, zugewandt, unprätentiös. Und genauso war diese Geste, ohne pathetisch werden zu wollen: völkerverbindend.

Father forgive. Zwei Worte, die eigentlich den Cantus firmus bilden inmitten all der Klagen, die wir eben hörten im Gebet. Das habsüchtige Streben der Menschen und Völker, unser Neid auf das Glück der anderen, unser mangelndes Mitgefühl für die Not der Flüchtlinge, Rassismus und der eigene Hochmut – all diese Klagen gehören in die Coventry Litanei. Entstanden nach dem deutschen Bombenhagel, der die Kathedrale in Coventry 1940 dem Erdboden gleichmachte. – Vater vergib! Father forgive! So hatte es der damalige Dompropst, Richard Howard, mit Kreide an die verkohlten Wände der Kathedrale geschrieben. Er wollte nicht, dass sich Hass und Feindschaft in den Herzen der Menschen seiner Stadt breit machen. Er wurde gefragt, ob es nicht eigentlich heißen müsste: Vater, vergib ihnen. Also den Deutschen. Aber Richard Howard blieb dabei. Für ihn zeigte sich in der Grausamkeit des Weltkrieges, an der Zerstörung und den Toten auf allen Seiten, wie weit sich Menschen von dem entfernen, was Gott ihnen zugedacht hat. Mitleidlosigkeit, Gier, Hass zerstören das Zusammenleben – bis heute.
Eine Mahnung, die mich in diesen Tagen, in denen der Krieg zum täglichen Schreck geworden ist und die Friedensnobelpreisträgerin Europa in ihren Grundfesten erschüttert hat, besonders erreicht. Ein Angriffskrieg, der abgrundtiefer Menschenverachtung und dem grenzenlosen Vernichtungswillen eines despotischen, russischen Systems entspringt – alles, alles soll brennen und der Garaus gemacht werden:  Menschen, Weizen, Krankenhäuser, Kinder. Krieg – er sollte doch nie mehr sein?!
Fakt ist, dass sich eine Schneise des Leids durch Europa zieht. Die ja auch uns belastet. Wir erleben viel Unsicherheit, Aggression, Inflation, soziale Spannung – unsere Demokratie hat es schwer im Moment. Deshalb, um ihretwillen, müssen wir aufhorchen. Wach werden. Hinschauen. Erinnern. Beten. Den Frieden suchen. 2023. Unbeirrbar – ganz gleich, wie in den Kriegen der Welt derzeit der Friedensidee Feuerstürme entgegenschlagen. Innigst Frieden erbitten und zu dir, Herr, tragen, was mir auf der Seele liegt – ich leihe mir Worte des 25. Psalms:
Zu dir, Herr, trage ich,
was mir auf der Seele liegt.
Mein Gott, auf dich vertraue ich. Lass mich keine Enttäuschung erfahren!
Sonst triumphieren meine Feinde über mich.
Es wird ja keiner enttäuscht, der auf dich hofft. (...)
Lass mich nach deiner Wahrheit leben und lehre mich!
Denn du bist es, Gott, der mir hilft.
Gedenke an deine Barmherzigkeit und Güte, Herr!
Denn schon seit Urzeiten besteht sie.
Aber an meine Vergehen sollst du nicht denken –
Denk so an mich, wie es deiner Güte entspricht! Du meinst es doch gut mit mir Herr.
Gut und gerecht ist der Herr.
Darum weist er den Sündern den Weg. (...)

Wach bleiben – und aufmerksam für den Willen Gottes. Das ist die eindringliche Bitte dieses Psalms. Und denk dabei an mich, in Güte, Gott, trotz aller Vergehen. So fleht der Beter um Versöhnung, wissend, dass er Schuld trägt. Eben: Vater vergib!
Beim Feuersturm Gomorrha inmitten des heißen Juli vor 80 Jahren, es waren gerade Sommerferien!, kamen über 35.000 Kinder, Frauen und Männer ums Leben. Es wurden 120.000 verletzt und 900.000 mussten flüchten. Und – auch das gehört heute in den Blick des Gedenkens - 10.000 KZ-Häftlinge aus Neuengamme mussten die Leichen bergen – mit furchtbaren traumatischen Folgen.
Gomorrha 1943 bleibt eine tiefe Wunde in der Geschichte Hamburgs – und Altonas. Wie gut, dass an diesem Ort, genau auf diesen Trümmern von Krieg und Vernichtung und unendlicher Traurigkeit, Neues entsteht. Und dass heute dieser Ort auch ein Gedenkort ist. Um zu erinnern, auch etwa dass damals auf dem jüdischen Friedhof Menschen Schutz fanden vor den Flammen – ausgerechnet! Der jüdische Friedhof als Schutzort, der den Deutschen einen Moment Stille gab und Halt, was für eine Geschichte in der Geschichte. Es ist gut, wie an diesem Ort auf versöhnliche Weise die Hoffnung wieder Herberge findet - und der Kreislauf von Gewalt, die wiederum Gewalt gebiert, hier komplett unterbrochen wird. Gedenken also - und Gedenken dabei auch der Barmherzigkeit! Es geht darum, neue Anfänge zu denken, in die die Verwundbarkeit hineingewoben ist. So wie es damals neue Anfänge gab nach 1945. Neue Anfänge mit einer neu begründeten Demokratie. Die Trümmer wurden beseitigt – zuerst die zerstörten Gebäude, und viel, viel später erst die Reste des alten Denkens. Es wurde aufgebaut, aufgearbeitet, manches gar geheilt. Und zugleich wissen wir, mit jedem Gedenken, an allen Orten der Stadt: Die zerstörten Menschenleben kann niemand zurückbringen, die fürs Leben gezeichneten Körper und Seelen der Überlebenden auch nicht. Aber die Erinnerung, sie eröffnet im Wissen darum neue Weite. So wie hier! Für mich ist dieses neue Trinitatis-Quartier in Altona ein wunderbarer Ort des Aufbruchs und der Hoffnung. Ein Ort der zeigt: Freude, Teilhabe und Frieden brauchen Solidarität und die Erinnerung, dass so vieles wieder gut werden kann. Gut also, Gottes Barmherzigkeit zu gedenken – aufmerksam und friedenssehnsüchtig. Amen

Friedensgebet (nach Franz von Assisi)
O Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,
dass ich Liebe übe, wo man sich hasst,
dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt,
dass ich verbinde, da, wo Streit ist,
dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht,
dass ich den Glauben bringe, wo der Zweifel drückt,
dass ich die Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält,
dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert,
dass ich Freude mache, wo der Kummer wohnt.
Herr, lass du mich trachten:
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;
nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.
Denn wer da hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen;
und wer stirbt, erwacht zum ewigen Leben. Amen.

Anzünden einer Friedenskerze

Segenswort

Frieden sollt ihr bringen, wohin ihr auch kommt.
In Frieden sollt ihr gehen, wenn ihr scheidet.
Gott segne eure Herzen und Münder, dass ihr spürt und sagt, was dem Frieden dient.
Gott segne eure Augen und Hände, dass ihr seht und tut, was den Frieden mehrt.
Gott segne euren Weg. Ein Weg des Friedens soll es sein.

Datum
24.07.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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