Kirche am Urlaubsort in St. Peter-Ording: Was fürs Herz und was fürs Handy
05. August 2024
Gar nicht so einfach, im Urlaub runterzukommen, oder? Die Gedanken kreisen weiter um den Alltag zuhause. Kleine Sorgen, große Sorgen und auch freudige Erwartungen an den Urlaub sind im Reisegepäck. Diakonin Andrea Streubier hat in Sankt Peter-Ording offene Ohren für die Feriengäste und bietet Begegnungsorte an – auch mit Einheimischen.
„Die Kinder fordern das ein“, sagt Julia Fritz aus Duisburg. Sie sitzt mit ihren beiden Töchtern vor Ausmalbildern mit Leuchtturm und Seehund, Stiften in bunter Vielfalt und Glitzerperlen.
Kirche am Urlaubsort: Hier finden Sie alle Kontakte
Im Urlaub bestehen Lotta und Anika darauf, am Mittwoch ins evangelische Gemeindezentrum in St. Peter-Ording zu kommen, sagt auch ihr Vater.
Jeden Mittwoch öffnen sich hier die Türen für das Marktcafé. Der Wochenmarkt liegt direkt hinter dem Deich, einmal die Treppe rauf und runter.
Geschirr klappert, Menschen umarmen sich zur Begrüßung und plaudern bei Kaffee, Laugenbrothäppchen und frischen Erdbeeren. Manchmal gibt es sogar Krabben, wenn Küster Marco Hofnauer morgens fischen war.
Gegen 11 Uhr steigt der Lärmpegel, wenn fast kein Stuhl im hellen Saal mehr frei ist.
Seit 30 Jahren Gastgeberin mit Herz und Seele
Gastgeberin dieses Treffens von Urlauber:innen und Einheimischen ist seit 30 Jahren Andrea Streubier. Die Diakonin ist Herz und Seele der Kirche am Urlaubsort, strahlt, organisiert ihr Team von Mitarbeiter:innen und spricht mit einzelnen Menschen oder Grüppchen.
Kirche am Urlaubsort in St. Peter-Ording: Weitere Termine, Infos und Impulse auf dieser Website
„Manche sprechen mich nach den Veranstaltungen an, einige reden lieber im Gewühl, manche lieber draußen am Strand“, sagt sie. Zuhören, seelsorgerische Begleitung, spirituelle Spaziergänge am zwölf Kilometer langen Sandstrand, Impulse und gemeinsames Erleben sind die Pfeiler ihrer Arbeit als Diakonin.
Erst aufs Klo, dann einen Kaffee
Die Idee für das Café sei entstanden, weil Marktbesucherinnen und -besucher ins Familienzentrum kamen, die schnell mal aufs Klo mussten, erzählt sie. Aus einzelnen Einladungen auf einen Kaffee ist inzwischen ein Treffen mit sechzig bis hundert Menschen geworden.
Der Ü-60-Rat trifft sich hier, Menschen, die sich jung fühlen und etwas gemeinsam auf die Beine stellen möchten. Mittendrin berät Thomas Kuhn am langen Kaffeetisch bei Problemen mit dem Handy.
„Handy oder Herz kaputt“, sagt jemand in der Runde scherzhaft. Wer Kummer oder Sorgen hat, spricht Andrea Streubier oder jemanden aus ihrem Team an.
Beziehungsprobleme und immer häufiger die Hilfsbedürftigkeit der alten Eltern sind zwei der Themen, die oft an die Diakonin herangetragen werden.
Auch Trauer und Krankheit bewegt die Menschen dazu, sich an sie zu wenden. „Wir haben fünf Reha-Kliniken hier vor Ort, auch eine onkologische“, erklärt die Seelsorgerin.
Papa im Überraschungspaket
Die Menschen hier teilen kleine und große Probleme miteinander und viele auch eine lange Geschichte mit schönen Erinnerungen.
Christiane Nöh war 1984 als Baby zum ersten Mal in St. Peter-Ording und dann jeden Sommer zusammen mit ihren Eltern und ihrer Schwester. „Wenn die Eltern auf dem Wochenmarkt waren, haben wir hier gemalt und gespielt“, sagt die junge Frau.
Vom Strand ging es zur Gute-Nacht-Geschichte, bei Erzählfesten wurden Geschichten erfunden und beim Theaterspielen Fernsehsendungen nachgespielt.
Einmal wurde ihr Vater in einem riesigen Paket als Geburtstagsüberraschung für ihre Schwester „geliefert“. Eva Nöh sagt:
Wir haben unser Programm in den Ferien mit den Veranstaltungen der Urlaubskirche abgestimmt. Das war ein Treffpunkt für Familien, die sich hier Jahr für Jahr wiedersahen.
Treue Fans der Gute-Nacht-Geschichten
Die Gute-Nacht-Geschichten am historischen Backhaus haben treue Fans, auch wer zufällig vorbeikommt, ist zum Singen, Spielen und Zuhören eingeladen.
„So sind wir zur Kirche am Urlaubsort gekommen“, sagt Julia Fritz. „Frau Streubier hat uns angesprochen, als wir vorbeigingen, seitdem kommen wir immer wieder.“
Vormittags, mittags oder abends – das Programm ist über den Tag und die Woche verteilt. „5 vor 12: Anker für die Seele am Kirchenschiff“ – benannt nach dem Beginn der Veranstaltung – bietet eine kleine Unterbrechung am Ordinger Hauptstrand mit den Tourismus-Seelsorger:innen.
Das Team konzentriert sich auch bei den Familiengottesdiensten am Sonntag darauf, dass es für alle – auch für die Kinder – bestimmt nicht langweilig wird.
Wintersuppe afghanisch oder ukrainisch
Andrea Streubier ist nicht nur Ansprechpartnerin für Gäste, sondern auch für Einheimische, „die vom Tourismus leben, aber manchmal auch darunter leiden“.
Deshalb gibt es auch eine „Winter-Gemeinde“, die sich von November bis März donnerstags zum Suppe essen trifft. Geflüchtete aus der Ukraine und Afghanistan haben sich begeistert beim Gemeindezentrum gemeldet, weil sie gerne dafür kochen möchten, erzählt sie.
Im Team mit Ehrenamtlichen
Im Sommer unterstützen ein festes und ein wechselndes Team Diakonin Streubier. Aus der Gemeinde melden sich Hilfsbereite und gestalten regelmäßig oder punktuell die Sommerkirche mit.
Wer Interesse hat, bei der "Kirche am Urlaubsort" mitzuarbeiten, findet hier Informationen
Auch viele Menschen mit Zweitwohnsitz auf Eiderstedt sind dabei. Wer von weiter weg anreist und sich in den Ferien engagieren möchte, kann sich als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter für eine oder mehrere Wochen bewerben.
Engagement für die Sommerkirche in den Ferien
Diakon Sebastian Pesch und seine Frau Petra aus Langwedel organisieren, kochen, spielen, reden und gestalten die Andachten in diesem Jahr gemeinsam mit Andrea Streubier.
Diakonin Greta Brakemeier aus Detmold hat ihre Kinder Smilla und Kolja mitgebracht, die mit ihrer Mutter zusammen das Team mit ersichtlichem Spaß unterstützen.
Aber auch Lehrer:innen, Erzieher:innen in der Ausbildung, Studierende, Schüler:innen verbinden hier ihre Ferien mit kirchlichem Engagement. Wohnen können sie im evangelischen Gemeindezentrum.
Evangelische und katholische Gemeinde arbeiten zusammen
Die Kirche am Urlaubsort in Sankt Peter-Ording ist wie ein großer bunt gewebter Teppich. Kommune, Tourismuszentrale, evangelische und katholische Kirchengemeinde arbeiten Hand in Hand. Eine katholische und drei evangelische Kirchen sind über den langgestreckten Ort verteilt.
Die kleine Kirche St. Nicolai steht bereits 300 Jahre hinter dem Deich in St. Peter Süd. „Das feiern wir das ganze Jahr über, vor allem auch mit Kindern“, sagt Andrea Streubier. Das Gewölbe der Kirche ist mit Sternen bemalt, der perfekte Ort für die „Andachten unterm Sternenhimmel“ am Freitagabend.
Ein festes Programm für Senioren, Erwachsene und Kinder verbindet die Menschen miteinander. Zwischendurch entstehen neue Ideen und Initiativen – etwa ein Musikmobil, Theatergruppen, Krabbenpul-Wettbewerbe, gemeinsames Brotbacken, Meditationen oder eine Ad-hoc-Kirche am Wasser.
„Sonne, Strand und Meer und ich lauf hin und her“
Einige Gäste kommen nur einmal, aber viele über Jahrzehnte immer wieder. Alle kennen Andrea Streubier, der offensichtlich die Ideen und die Energie niemals ausgehen.
„Sonne, Strand und Meer und ich lauf hin und her“, reimt sie auf ihrem Anrufbeantworter. Sie sagt, in ihrer ersten Ausbildung als Speditionskauffrau hat sie gelernt zu organisieren.
Die Theologie und umfangreiche Kenntnisse über Pädagogik, Sozialwissenschaften und Sozialarbeit kamen als Knowhow im Studium im Rauhen Haus, der evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie, dazu.
Sonnenuntergangsgedanken im Strandkorb
Abends lädt sie einmal in der Woche zu „Sonnenuntergangsgedanken“ am Südstrand ein, zusammen mit der katholischen Gemeinde. Die Sonne ist schon fast untergegangen.
In Strandkörben gemeinsam den Abend genießen
Strandkörbe werden zu einem Halbkreis zusammengeschoben, erst sind es vier – wer weiß schon, wie viele Menschen heute kommen –, dann werden es fünf, sechs, sieben, sodass Platz ist für 16 Menschen. Anfang August waren sogar einmal hundert Gäste in den Strandkörben.
Auch Gabriele Weiter aus Speyer kommt mit dem Rad angesaust. Schon in der dritten Generation komme sie hierher, sie war bereits als Kind hier und morgen reise ihr Enkelkind an.
Angst vor „Syltisierung“
Immer mehr Dauergäste hätten Angst, sich den Urlaub in St. Peter-Ording nicht mehr leisten zu können, erzählt Andrea Streubier. „Es gibt eine leichte ‚Syltisierung‘", sagt die Diakonin und meint damit die steigenden Preise für Ferienwohnungen, Kurkarten und Essen. 28 Euro für eine Scholle und 7,50 Euro für eine Flasche Wasser nennt sie als Beispiel.
Auch für die Einheimischen sei das ein Problem, da nicht nur in St. Peter-Ording, sondern auch im Umland die Preise drastisch gestiegen seien. Für die dringend benötigten Fachkräfte seien Wohnungen oder gar Häuser viel zu teuer.
Statt sechs oft nur noch zwei Wochen Urlaub
Früher seien Familien bis zu sechs Wochen geblieben. „Die Menschen brauchen aber mindestens eine Woche, um runterzukommen“, sagt die Diakonin. Jetzt hätten sie meistens nur noch ein bis zwei Wochen Urlaub, die sie sich leisten können – zeitlich und finanziell.
Sie packt die Gitarre aus. Smilla und Kolja verteilen Zettel mit den Liedtexten. Heute sind genug Menschen gekommen, um einen Kanon zu singen. Die Texte für die Gedanken zum Tagesausklang hat Andrea Streubier selbst geschrieben. Die Teammitglieder tragen sie abwechselnd vor.
„Wir bieten keine Lösungen an, sondern hoffen, dass die Menschen mit einer Fragestellung oder einem Ansatz für den eigenen Weg aus dem Gespräch und unseren Andachten herausgehen,“ sagt Andrea Streubier mit Blick auf Strand und Meer. "Der Himmel, die Weite und unsere christlichen Werte helfen, den Blick zu weiten."