1. Januar 2024 | Hauptkirche St. Michaelis

Krippenandacht an Neujahr

01. Januar 2024 von Kirsten Fehrs

Predigt über 1. Korinther 16,14

Liebe Neujahrsgemeinde,

als sich im Mai 2018 Herzogin Meghan und Prinz Harry das Ja-Wort gaben, war weniger die Liebe dieser beiden das Thema der folgenden Wochen, sondern die mitreißende Traupredigt von Michael Curry, dem Bischof der amerikanischen Episkopalkirche. „Die Liebe“, sagte er darin, „besitzt eine gewaltige Macht. Sie allein hat die Kraft, zu helfen und zu heilen, wenn nichts anderes mehr hilft. Sie allein hat die Kraft, uns zu erheben und zu befreien. Und sie allein hat die Kraft, uns zu zeigen, wie wir leben sollen.“

Millionen Menschen sahen und hörten zu, und es waren diese Liebesworte, die die Herzen erreicht (und das Brautkleid von Meghan nahezu in den Schatten gestellt) haben. – Kein Wunder.

Natürlich lag dies am Charisma von Curry, aber auch am Charisma der christlichen Liebe überhaupt. Genau diese Liebe, die ja gerade vor einer Woche wieder auf die Welt gekommen ist. Um der Hoffnung buchstäblich Beine zu machen. Jesus, du mein liebstes Leben, singt die Kantate dazu. Mit diesem Zauber, dem sich wohl kaum jemand entziehen kann. Mit Krippe, Ochs und Hirten, Stroh und Stern – und Zimbelstern, wo wir schon dabei sind – all dies, um zum Leuchten zu bringen, dass es eben kein Weihnachtskitsch ist, der das Fest ausmacht. Sondern eine sagenhaft innige Liebesgeschichte. Eine Liebesgeschichte zwischen Gott und uns Menschen. Ja eine umstürzende Liebe, die Kraft hat, uns zu erheben und zu befreien.

Deshalb ist diese Jahreslosung so stark: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Denn sie ist eine Macht, nichts weniger. Der Afroamerikaner Bishop Curry spielte mit diesen Worten auf eine der berühmtesten Predigten an, die Martin Luther King 1957, mitten im Kampf gegen Rassismus, gehalten hatte. Sie hatte den Titel: „Love your enemies“ – Liebe deine Feinde. „Wir müssen die Macht der Liebe entdecken, die heilende Kraft der Liebe. Und wenn wir sie entdecken, dann werden wir aus dieser alten Welt eine neue machen können. Liebe ist der einzige Weg.“

Love is the only way – was für eine Botschaft in diesen Tagen, wo Ausweglosigkeiten uns doch so sehr gefangen halten. Wie ein gordischer Knoten kommen mir all die Kriege und Konflikte dieser Tage vor, so verworren, unlösbar. Und ratlos fragen sich doch alle Friedensfreunde, wer oder was da erlösen könnte. Wer da mit wem wie reden sollte, damit aus Feinden, wenn schon nicht Freunde, aber so doch wenigstens Gegner, im besten Fall versöhnte Gegner werden. So weit weg erscheint dies in der Ukraine, in Syrien, in Nigeria – und natürlich im Nahen Osten. Wie ein Teufelskreis folgt auf Terror Krieg und wieder Gewalt – alles auf Kosten der Zivilbevölkerung, auch ja im Heiligen Land, in Israel und Gaza, an so vielen Orten. Es ist doch eine einzige humanitäre Katastrophe. Und keiner hat sie, die Frauen, Männer, Alten und Kinder, die dies durchleiden, vorher gefragt.

Vor kurzem habe ich in einer Justizvollzugsanstalt gepredigt. Hinter den Mauern, hinter denen schuldig gewordene Menschen ihre Strafe verbüßen, und für die das Weihnachtsfest, das Fest der Liebe, eine unglaubliche Sehnsucht nach etwas Heilem in sich trägt. Eine tiefe Sehn-Suche nach Liebe – eben, weil sie fehlt. Lieblosigkeit, Gewalt und Aggression, das alles ist eher an der Tagesordnung. Und so kamen viele in den Gottesdienst. Beeindruckt hat mich vor allem der Gefangenenchor. Wirklich, liebe Gemeinde, 15 harte Jungs, die mit enormer Power, aber auch großer Emotion ihre Lieder sangen. Kirchenlieder waren auch darunter. Und anderes. Ein Lied besonders. Geradezu mit Inbrunst sangen sie es als ihr Glaubensbekenntnis. Es stammt von Udo Jürgens, geschrieben 1968:

„Ich glaube, dass den Hungernden zu speisen
Ihm besser dient als noch so kluger Rat
Ich glaube, Mensch sein und es auch beweisen
Das ist viel nützlicher als jede Heldentat
Ich glaube, dass man die erst mal fragen müsste
Mit deren Blut und Geld man Kriege führt
Ich glaube, dass man nichts vom Krieg mehr wüsste
Wenn wer ihn will, ihn auch am meisten spürt
Ich glaube, dass die Haut und ihre Farben
Den Wert nicht eines Menschen je bestimmt
Ich glaube niemand brauchte mehr zu darben
Wenn auch der geben wird, der heut nur nimmt
Ich glaube diese Welt müsste groß genug
Weit genug, reich genug für uns alle sein
Ich glaube dieses Leben ist schön genug, bunt genug
Grund genug sich daran zu erfreuen.“

So der Gefangenenchor. – Oder mit unserer Losung gesprochen: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das ist eine Haltung. Eine Glaubenshaltung. Die in sich die Kraft der Tat birgt. Und der Verwandlung. Da geht es nicht um romantische Liebe. Sondern um eine Liebe, die eine Meinung hat, Partei für die ergreift, die am Rand sind. Liebe, die nicht immer auf Gegenliebe stößt. Paulus selbst weiß das nur zu gut, als er diesen Satz (und viele andere Sätze) der Gemeinde in Korinth schreibt. Er selbst ist gerade in Ephesus und hört, dass sich die da in Korinth wieder einmal in den Haaren haben. Überraschend findet er das nicht, aber so unglaublich ermüdend. Wie oft hat er ihnen schon gesagt: „So bleiben diese drei doch das Wichtigste: Glaube, Hoffnung, Liebe – aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Blöd nur, dass die Korinther vor allem danach schauen, wer unter ihnen der Größte ist ...

Paulus weiß, wie vielfältig-heterogen diese Gemeinde ist, wie ja letztlich jede Gemeinde, und dass dies eigentlich auch genau in Gottes Sinne ist. Denn alle gehören sie, gehören wir an die Krippe des Jesuskindes, das uns mit offenen Armen empfängt, so wie heute. All die Liebesehnsüchtigen und Aufgewühlten, die Angeheiterten und Abgehängten, die Armen und Andächtigen und die Reichen auch.

Und so sieht Paulus die da in Korinth genau vor sich. Sieht wie sie Gottesdienst feiern und singen und loben, und wie sie einander seinen Brief vorlesen. Wie die Hafenarbeiter eng neben den Bankiers kauern, wie die feine Dame die Prostituierte neben sich ein bisschen scheel anguckt, wie das teure Parfüm der jungen Philosophen sich nicht recht durchzusetzen vermag gegen den Schweiß der Sklaven. „Die Liebe erträgt alles und sie erduldet alles.“ Nun ja. Wer‘s glaubt.

Ja, genau – wer‘s glaubt. Wer‘s glaubt, ist in Hoffnung. Gerade in jener Zeit damals und in diesen Tagen heute, wo Krisen und Spaltung die Menschen oft so unsagbar ungnädig machen. Bleiben wir in Hoffnung, auch wenn etliche sich fern einer Kultur bewegen, die man noch als demokratisch bezeichnen kann. Nämlich mit dem nötigen Respekt und Achtung gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden. Mit ganz normaler Höflichkeit auch und Anstand und schlicht: Menschlichkeit.

Genau das ist aber die Haltung, aus der wir leben und unbedingt jetzt leben sollten, entgegen all dem, was einen auch so beängstigen kann: Bleiben wir in Hoffnung. Indem wir alles uns Mögliche tun, damit die Liebe Gottes Gestalt gewinnt. Unsere zum Beispiel. Als Nächsten-Liebe, klar. Denn diese Liebe gilt ja immer einem anderen. Und sie besitzt wirklich, das kennen wir doch selbst, Power. Sie kann eine Mutter zur Löwin für die eigenen Kinder, den Ehepartner zum hingebungsvollen Trösterfreund, sie kann die Lehrerin zur Gefährtin des Sitzengebliebenen, kann Christenmenschen zu Befreiern von in Traurigkeit Gefangenen machen. Denn ja, Bischof Michael Curry hat mit Martin Luther King nicht umsonst die Herzen erreicht: Liebe ist eine Macht, die macht, dass man es machen will wie Gott selbst: Mensch werden. Eine Nächste dem Nächsten. Und dem Fernen auch.

Bleiben wir in der Hoffnung, liebe Gemeinde, trotz oder gerade wegen allem. Und so schaue ich mit Hoffnung und zugleich echter Dankbarkeit auf all die Tausenden Engagierten in Zivilgesellschaft und Kirche. Menschen, die sich vom Leid der Welt anrühren, aber nicht schrecken lassen. Es ist für mich ein klares Zeichen der Zuversicht, wenn ich sehe, wie viele, auch Ehrenamtliche, auch in unserer Kirche, sich konsequent um die Schwächeren in unserer Gesellschaft kümmern, wie sie in Flüchtlingshilfe und im humanitären Engagement klar Flagge zeigen, wie sie sich mit Herz und Hand an die Seite derer stellen, die auf Hilfe angewiesen sind: ob in Pflegeheim, Hospiz, der Jugendhilfe – oder jetzt gerade beim Sandsäcke schleppen im Hochwassergebiet nebenan. Sie alle halten die Welt zusammen. Sie machen den Unterschied. Aus Liebe.

Und diese Nächstenliebe, sagt Paulus, ist geboren aus einer Kraft, die uns selbst auch geschenkt ist: der Liebe Gottes, die unermesslich groß ist wie Meer und Himmel zusammen. Sie gilt ausnahmslos jedem Menschen in seiner ganzen ihm zugehörigen Würde.
Das sollt ihr im Herzen bewegen, das ganze neue Jahr hindurch, liebe Geschwister. Dieses große Ja Gottes ist unverbrüchlich. Inmitten auch der eigenen Brüche und Bruchkanten, die das Leben immer hat. Ja, selbst wenn du ‘nen Bruch gebaut hast. Da ist und bleibt das Zutrauen, dass du auch anders kannst – aus Liebe.

Dafür steht dieses Krippenkind, mitten unter uns, mit seiner Menschenfreundlichkeit. In seinem Licht bleibt Würde kein Konjunktiv. Liebe wird eine Tatsache. Bleiben wir in dem Glauben dieser Hoffnung, liebe Geschwister, dass wir alle im nächsten Jahr mehr von dieser Liebe sehen und spüren in der Welt. Als Zuneigung zu den Schwächsten, Gerechtigkeit für die Unterdrückten, Friedensfindigkeit fürs Klima, Empathie für die Anderslebenden, ich möchte nicht aufhören, daran mitzutun. Und daran zu glauben, dass „diese Welt groß genug, weit genug, reich genug für uns alle ist.“

Glauben, hoffen, lieben wir das Leben. Denn „dieses Leben ist Grund genug sich daran zu erfreuen!“ Von Herzen wünsche ich Ihnen ein lebensfrohes, hoffnungskluges, segensreiches neues Jahr 2024. Begleitet vom Frieden Gottes, höher als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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