Pfarrer sucht Geschichten, die unter die Haut gehen
23. Juni 2023
Pfarrer Michael Simonsen trägt ein kleines Stück Michel unter seiner Haut: Genau genommen ist es ein Abbild der Bronzestatue „Erzengel Michael besiegt den Satan“, die das Westportal der Hamburger Kirche St. Michaelis ziert. Das Tattoo ist ihm wichtig, weil es das Ringen um den richtigen Weg symbolisiert. Per Instagram sucht er nun andere sinnhafte Tattoo-Storys für eine Ausstellung.
Seit fünf Jahren ziert der Erzengel Michael den linken Unterarm von Michael Simonsen. Der gebürtige Hamburger, der mittlerweile als Pfarrer in Poing bei München arbeitet, ließ sich die Tätowierung 2018 unter die Haut stechen. Sieben Stunden dauerte die Prozedur in einem Berliner Tattoo-Studio.
Kampf zwischen Gut und Böse
Seitdem ist das Bildnis sein ständiger Begleiter – und so etwas wie sein persönliches Leitmotiv. Es mache präsent, was ihm auch im Seelsorge-Alltag immer wieder begegnet: der Kampf zwischen Gut und Böse, die Suche nach dem „richtigen“ Handeln und die Frage, wie man im Leben seine hellen Seiten mit den dunklen in Einklang bringen kann. „Diesen Themen durch das Tattoo Präsenz zu verleihen, war und ist für mich wichtig“, sagt der Pfarrer.
Die Motive und Geschichten von Körperbildern interessieren den Theologen, der eine Zusatzausbildung in systemischer Lebensberatung hat. Mithilfe von Tattoos zwei Kulturen zusammenzubringen – die von Kirche und Spiritualität mit der von Jugend- und Körperkultur – findet er reizvoll. Deshalb hat Simonsen jetzt via Instagram einen Aufruf gestartet: Gesucht sind Tattoo-Storys, die unter die Haut gehen – und aus denen nächstes Jahr eine professionell fotografierte Ausstellung werden soll.
Tattoos erzählen von einschneidenden Ereignissen
Dafür hat Simonsen sich eine eigene Mailadresse bei der bayerischen Landeskirche besorgt: An tattoo@elkb.de können Interessierte ein Foto ihres Tattoos und die Kurzgeschichte dazu senden. „Vom fingernagelgroßen Herz bis zum Ganzkörpertattoo ist alles erwünscht“, sagt der Initiator. Berührungsängste hat er dabei keine. „Das ist wie in der Seelsorge: Wer immer sich von dem Angebot angesprochen fühlt, ist willkommen“, sagt der Pfarrer.
Er wolle mit einem nicht-bildungsbürgerlichen Impuls aus der Kirche überraschen und mit der geplanten Ausstellung einen „intimen Einblick gewähren in Themen, die Menschen unter die Haut gehen“. Schließlich seien es oft die einschneidenden Ereignisse wie Geburt und Tod und Lebensthemen wie Trauer, Liebe oder Hoffnung, die Menschen dazu bewegen, sich ein Tattoo stechen zu lassen.
Tattoos haben im Christentum Tradition
Dass Kirche und Tattoo zusammenpassen, davon ist Simonsen überzeugt. Schon die koptischen Christen im Orient hätten sich durch ein tätowiertes Kreuz auf der Unterseite des Handgelenks von ihrer Umgebung abgesetzt. Und die Tradition der Pilgertattoos geht je nach Quelle bis ins 16. oder sogar 13. Jahrhundert zurück: Während Jakobspilger eine Muschel aus Santiago de Compostela mitbrachten, ließen sich die Jerusalem-Pilger nach ihrer Ankunft ein Jerusalem-Kreuz oder einen Stern von Bethlehem unter die Haut ritzen – als Nachweis ihrer Pilgerfahrt.
Auch Simonsen hat die älteste Tätowierstube der Heiligen Stadt besucht. Sein zweites Tattoo zeigt die hebräischen Worte aus dem Buch Jesaja, Kapitel 55: Ihr sollt in Freuden ausziehen und in Frieden geleitet werden. „Das ist ein bisschen der Gegenpol zum Erzengel“, sagt der Pfarrer und lacht. Gut möglich, dass der Bibelvers nicht Simonsens letztes Tattoo bleibt. „Als Exil-Hamburger wäre ein Segelschiff schon noch schön“, verrät er.