07. Juni 2022 | Pauluskirche Kiel

Predigt im Ökumenischen Gottesdienst vor der konstituierenden Sitzung des Landtags in Schleswig-Holstein

07. Juni 2022 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

Predigttext: Weisheit 9,1-12

I

Sonnenaufgang über der Kieler Förde – auch an trüben und regnerischen Tagen ein wunderbares Ereignis! Auch, weil jeder neue Tag daran erinnert, dass es in unserem Leben, dass es für alles Leben immer wieder die Möglichkeit für neue Anfänge gibt, dass unsere persönliche wie gemeinsame Geschichte ein für Gestaltung offener Prozess ist.

Anfang und Neubeginn. Aufbruch. Planen und Gestalten. Genau darum wird es auch heute gehen, bei der konstituierenden Sitzung des Schleswig-holsteinischen Landtages. Es geht um neue Perspektiven, in dabei sicher auch um das, was wir gerade besungen haben:

…mit unserer Kraft zu suchen, was den Frieden schafft.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, liebe Landtagsabgeordnete, Sie alle suchen nach Perspektiven. In erster Linie: für die Menschen in unserem Bundesland. Denn Sie wurden in ein wichtiges Amt in unserer parlamentarischen Demokratie gewählt: in das Amt eines, einer Abgeordneten im Landtag! Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich!

Mit Ihrer Wahl in den Landtag sind viele Erwartungen verbunden — Erwartungen derer, die Sie gewählt haben sowie die Erwartungen und Ansprüche, die Sie an sich selbst haben. Und nicht zuletzt sind da natürlich die politischen Vorhaben, die Sie umsetzen möchten. Sicher haben Sie in den letzten Wochen viele Glückwünsche, vielleicht auch gute Ratschläge erreicht. Und vielleicht fragen Sie sich auch: Was kann begleiten und stärken in diesem verantwortungsvollen Dienst für die Menschen in Schleswig-Holstein?

 

II

Im biblischen Buch der Weisheit heißt es

Gott, du hast Himmel und Erde erschaffen! Du hast uns Menschen durch deine Weisheit bereitet, dass wir die Dinge leiten in Heiligkeit und Gerechtigkeit und aufrichtig Recht sprechen.

Die Dinge leiten - und zwar so: heilig, gerecht, aufrichtig. Ein hoher Anspruch, der hier mit Leitungsaufgaben und Führungspositionen verbunden wird! Genau genommen geht es um eine Haltung, als Führungspersönlichkeit ebenso wie im alltäglichen Miteinander. Heilig, gerecht, aufrichtig unter Gottes Himmel und auf seiner Erde - das heißt auch:

Verantwortlich entscheiden und handeln für das gegenwärtige und künftige Leben auf diesem Planeten. Am besten, so sagt es die Bibel im Buch der Weisheit, gelingt das in der Orientierung am Gott der Barmherzigkeit.

Nochmals: ein hoher Anspruch! Genau deshalb bittet die Person, die unseren Text vor Jahrtausenden aufgeschrieben hat, dazu um Beistand:

Gott, gib mir die, die an deiner Seite sitzt: die Weisheit!

Das ist nichts anderes als die Bitte um eine gute Freundin, denn genau das ist die Weisheit in der Bibel: eine gute Freundin Gottes.

Ich habe da gleich ein Bild vor Augen: Gott und die Weisheit, vielleicht untergehakt wie gute Freundinnen. Oder wie sie wie gute Freunde die Köpfe zusammenstecken und sich beraten. Sich freundlich, respektvoll und anerkennend zunicken und unterstützen. Ob man so ein Miteinander auch bei Koalitionspartnern erwarten kann, kann ich natürlich nicht beurteilen…

Gott und die Weisheit - wenn man mit diesen beiden im Team unterwegs ist, was braucht man da noch mehr?! Mich bezaubert an dieser biblischen Vorstellung besonders, dass die Weisheit als Frau vorgestellt wird. Sie ist kein alter weiser Mann, der mit Denkerstirn wortgewaltige Sinnsprüche von sich gibt, sondern eine bewegliche, eine jugendliche und agile Frau mit geradezu unerschöpflicher und ansteckender Energie. Von ihr wird in der Bibel auch erzählt, dass sie in Gottes Gegenwart spielt. Was so viel heißen soll wie: die Weisheit sorgt für neue Spielräume, wo alles festgefahren ist. Sie eröffnet neue Perspektiven, wo andere sagen: das haben wir doch immer schon so gemacht.

Neue Spielräume und Perspektiven, die Aufgeschlossenheit für innovative Problemlösungen, die Bereitschaft, etwas auszuprobieren, und in all dem ins Gelingen verliebt sein -  von dieser Haltung können wir wohl alle eine gute Portion gebrauchen. Wir brauchen sie, um die Herausforderungen unserer Gegenwart und Zukunft anzugehen und zu meistern. Die Freundschaft von Gott und der Weisheit erinnert uns dabei auch: wir brauchen Zusammenarbeit, Kooperation, die Suche nach dem, was über unterschiedliche Positionen hinweg verbindet, und weniger Profilierung durch und über das, was uns trennt. Ich wünsche Ihnen von Herzen die hoffnungsmutige Energie und die Kraft, wie sie sich in der biblischen Kooperation von Weisheit und Gott zeigt.

 

III

Was aber genau ist eigentlich weise? Auch dazu hören wir etwas in unserem Text. Es ist zunächst die Erkenntnis, Zitat:

Ich bin schwacher Mensch, und ein Menschenleben ist kurz.

Weisheit bedeutet, um die eigenen Grenzen zu wissen. Darum, dass unsere persönlichen wie unsere gemeinsamen Ressourcen begrenzt sind, unsere Lebenszeit, unsere finanziellen Mittel, unsere natürlichen Ressourcen. Dabei geht es auch darum, um es mit einem berühmten Buchtitel zu sagen, die „Grenzen des Wachstums“ zu respektieren und gerade darin neue Perspektiven für ein friedliches und gerechtes Miteinander auf Erden zu sehen.

 

VI

Gemeinsam für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt eintreten – das ist weise. Und es gehört in genau diese Kirche. Denn diese Pauluskirche war von Anfang an ökumenisch gedacht. Als sie vor 140 Jahren eingeweiht wurde, war sie nicht evangelisch oder katholisch, sondern eine Simultankirche, die allen Gläubigen offen stehen sollte. Was wir heute Morgen erleben: Als Menschen verschiedener Konfessionen feiern wir gemeinsam Gottesdienst, als Menschen verschiedener Religionszugehörigkeiten bitten wir um und wünschen einander Frieden und Segen – das gehört mit zur Gründungsidee dieser Kirche.

Miteinander unterwegs, einander Frieden und Gottes Segen wünschen - das zeigt uns auch, dass wir nicht allein sind, dass wir Verantwortung nicht allein tragen und die dabei entstehen Fragen und Herausforderungen jeweils nicht mit uns selbst ausmachen müssen. Denn Gott und die Weisheit eröffnen einen Beziehungsraum — einen Raum, in dem wir Menschen mit einem Gegenüber rechnen können. Ein Gegenüber, dem wir uns anvertrauen können. In Gebet und Fürbitte, mit dem, was uns glücklich macht wie mit dem, was uns beschwert.

 

V

Segen und Weisheit Gottes - beides wünsche ich Ihnen heute. Beides möge für Sie in Ihrem persönlichen Leben wie in Ihrer Arbeit als Abgeordnete unterstützend und heilsam sein. Gut, wenn Sie so die uns allen von Gott geschenkten Lebensmöglichkeiten ergreifen und nutzen:

für Mitmenschlichkeit und Barmherzigkeit, die nicht nur denen gelten, die uns besonders nahestehen, sondern allen Menschen. Für die Bewahrung der Schöpfung, damit das Leben auf der Erde auch für unsere Kinder und Kindeskinder lebenswert und wundervoll — voll der Wunder — sein kann. Für ein soziales Miteinander, das allen Menschen gleichermaßen Teilhabe ermöglicht. Für Frieden und Gerechtigkeit. Gut, wenn Sie sich so ihrem Auftrag als Abgeordnete stellen, Freiheit in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Mit Gottes Segen und seiner guten Freundin, der Weisheit, an Ihrer Seite.

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