Zweigstelle Greifswald des Landeskirchlichen Archivs der Nordkirche

Archivar: "Sobald man eine kirchliche Akte öffnet, taucht man in Lebenswelten ein"

Richard Nölleke ist Archivar in der neu eröffneten Zweigstelle Greifswald des Landeskirchlichen Archivs der Nordkirche.
Richard Nölleke ist Archivar in der neu eröffneten Zweigstelle Greifswald des Landeskirchlichen Archivs der Nordkirche.© Annette Klinkhardt, Nordkirche

05. Oktober 2023 von Annette Klinkhardt

Alles andere als verstaubt ist das Forschen in Archiven für Richard Nölleke. Seit April 2023 ist er Archivar im Landeskirchlichen Archiv der Nordkirche. Der 36-Jährige ist zuständig für die Zweigstelle Greifswald des Landeskirchlichen Archivs der Nordkirche, die Anfang Oktober öffnet. Annette Klinkhardt hat mit ihm gesprochen:

Annette Klinkhardt: Stimmt das Image, dass Archivarbeit etwas Staubtrockenes ist?

Richard Nölleke: Einerseits ja: Wir arbeiten mit Papierakten, und die setzen in der Lagerung Staub an. Das ist aber rein äußerlich. Sobald wir die Akten öffnen, tauchen wir in Lebenswelten ein, haben die lebendige Geschichte vor uns. Einzelne Personen nehmen Gestalt an, und wir sehen oftmals auch die übergreifende Historie.

Konkret heißt das: Ich lese aus den Akten, wie viel Kirchengemeinden für gewisse Aufgabengebiete ausgegeben haben, beispielsweise an Honorierung. Die eine Gemeinde konnte sich einen Pastor leisten, die nächste nicht. Daran erkenne ich, welche Gemeinden finanzstark waren. Wenn man das über einen längeren Zeitraum verfolgt, kann man Rückschlüsse ziehen auf die soziale Stellung von Pastoren oder verfolgen, wie sich der kirchliche Verwaltungsapparat entwickelt hat.

Richard Nölleke studiert Akten in der Archivzweigstelle Greifswald.
Richard Nölleke studiert Akten in der Archivzweigstelle Greifswald.© Annette Klinkhardt, Nordkirche

Wie schwer ist es, die Kirchenakten zu entziffern?

Die pommerschen Bestände des Landeskirchlichen Archivs stammen zum größten Teil aus den Jahren nach 1945 und sind somit in der deutschen Einheitsschrift verfasst. Allgemein habe ich kein Problem, Sütterlin zu lesen. Auch Kirchenbücher aus dem 17. und 18. Jahrhundert kann man in der Regel gut entziffern.

Wie kamen Sie dazu, Archivwissenschaften zu studieren?

Ich stamme aus Nordrhein-Westfalen. Nach der Schule habe ich acht Jahre lang beim Rettungsdienst gearbeitet und zweitweise parallel dazu Theologie studiert. Ab 2013 war ich Vorsitzender des Hennefer Mandolinenorchesters und habe mich in dieser Position auch um das Notenarchiv gekümmert. Nach einigen Jahren Dauerstress im Rettungsdienst mit vielen langen Schichten habe ich mich zunehmend nach einem Ausgleich gesehnt. Bei der beruflichen Umorientierung kam mir in den Sinn, wieviel Spaß mir die Tätigkeit mit dem Notenarchiv gemacht hat, und ab 2019 habe ich dann an der FH Potsdam Archivwissenschaften studiert.

Warum wollten Sie für ein kirchliches Archiv arbeiten?

Kirche hat in ihren Archiven viele wertvolle Schätze und bildet in ihrer Überlieferung das kirchliche Leben in der Gesellschaft ab. Das hat mich gereizt. Bekannt sind natürlich die Kirchenbücher. Aber weitaus spannender für die Entwicklung der Kirche sind die Protokolle der Gremien, etwa der Landessynoden, in denen die Arbeit und die Themen, mit denen sich Kirche zu verschiedenen Zeiten befasst hat, abgebildet werden. Das sind zum einen geistlich-theologische Themen, aber durchaus auch ganz weltliche. Ein Beispiel: Die Evangelische Landeskirche Greifswald, wie sich die pommersche Landeskirche nennen musste, plant eine Veranstaltung in einem öffentlichen Gebäude und muss sich dazu mit dem Rat des Bezirks Rostock in Einvernehmen setzen. Wenn man in diese einzelnen Themen eintaucht, wird greifbar, wie schwierig es für die Kirche in vielen Belangen gewesen sein muss in der DDR. Als Westkind finde ich das besonders interessant.

Manchmal könnte man sich aus heutiger Sicht fragen, über welche Banalitäten sich Menschen aufgeregt haben oder wundert sich über Entscheidungen. Gleichzeitig liest man, wie lange manche Themen die Kirche beschäftigt haben. Akten bilden immer den jeweiligen Zeitgeist ab. Da wird man auch demütig.

Durch diese Glastür geht es zur Archivzweigstelle in Greifswald.
Durch diese Glastür geht es zur Archivzweigstelle in Greifswald.© Annette Klinkhardt, Nordkirche

Um welche Akten handelt es sich bei dem pommerschen Archivgut?

Insgesamt umfasst das Archivgut der pommerschen Landeskirche 700 Meter. Das sind zum allergrößten Teil Unterlagen ab 1945. Dazu gehören Akten des Greifswalder Konsistoriums, neben denen der Bischofskanzlei, der Synode und der Kirchenleitung. Der Verwaltungsapparat hatte zeitweise rund 150 Mitarbeitende. Insgesamt sind rund 6500 Akten verzeichnet, allein 5600 zum Konsistorium. Zum Ende der Pommerschen Evangelischen Kirche mit Gründung der Nordkirche 2012 finden sich so zahlreiche spannende Dokumente. .

Nach einem Wasserschaden im Bischofshaus 2014 wurden sie gesichtet und diejenigen, die in einem guten Zustand waren, direkt in Schwerin untergebracht. Dazu gehörte der Großteil der Akten des Konsistoriums, also der kirchlichen Verwaltungsbehörde. Die anderen wurden erst einmal vom Schimmel befreit und aufgearbeitet. Akten aufarbeiten heißt, sie werden wieder so hergestellt, dass man sie nutzen kann und ihr Zustand nicht schlimmer wird.

Was passiert nun mit den pommerschen Akten, die sich im Standort Schwerin des Landeskirchlichen Archivs direkt neben dem Dom befinden?

Die Akten, die in Schwerin sind, werden erschlossen und technisch bearbeitet. Erschlossen heißt, es findet eine Beschreibung des Akteninhalts statt, so dass die interessierte Öffentlichkeit sie in unserer Datenbank finden kann. Wenn Akten nur im Regal liegen, kann man sich auch ein Stück Stein ins Regal legen.

Wir konnten bereits rund die Hälfte aller pommerscher Akten, die wir in Schwerin haben, erschließen. Darunter befindet sich ein spannender Bestand, nämlich die Akten der Kirchenleitung von Bischof Horst Gienke oder auch die Akten über die evangelische Studentengemeinde in den 1980er Jahren.

Wer interessiert sich Ihrer Erfahrung nach für solche Akten?

Wir hatten jetzt gerade eine Nutzerin der sächsischen Landeskirche, die ihre Dissertation schreibt. Dabei handelt sich um eine Arbeit, die verschiedene Landeskirchen miteinander vergleicht. Für die Studierenden der Kirchengeschichte sind wir natürlich eine sehr gute Quelle, gerade zu den Fragen, was die Kirche intern bewegt hat. Natürlich gibt es auch einige emeritierte Forscherinnen und Forscher, aber durch die Nähe zur Universität Greifswald dürfte der Altersdurchschnitt ziemlich ausgewogen sein.

Wie kann ich als Interessierte Einblick in solche Akten nehmen?

Der gesamte erschlossene Bestand kann digital bestellt und im neuen Lesesaal am Karl-Marx-Platz 16 eingesehen werden.

Zunächst kann man das Rechercheportal der Nordkirche nutzen: https://portal.archiv-nordkirche.de. Dafür muss man sich nicht anmelden. Über dieses Archivportal kann man über eine Baumstruktur bis in die einzelnen Akten hineinklicken. Die Bestellung einzelner Akten erfolgt über lkank@archiv.nordkirche.de Gerne helfe ich dabei auch in unserem neuen Lesesaal in Greifswald. Ich bitte um Voranmeldung, damit wir genug Zeit für einzelne Forschungsanliegen haben.

Wie gehe ich vor, wenn ich mit Ihrer Hilfe zu einem kirchengeschichtlichen Thema forschen möchte?

Wir beraten ganz passgenau und individuell je nach Forschungsstand. Wichtig ist: Ist das ein Thema der Landeskirche? Wenn es Thema einer einzelnen Kirchengemeinden war, empfehlen wir das Kirchenkreisarchiv im Regionalzentrum kirchlicher Dienste in Greifswald.

Wenn das geklärt ist, bitten wir, in einer E-Mail lkank@archiv.nordkirche.de das Anliegen zu beschreiben. Bei einem allgemeinen Forschungsinteresse oder im Anfangsstadium einer Dissertation können wir gut inhaltlich beraten, was dazu an Akten interessant sein könnte.

Oder jemand ist schon weiter. Er schreibt etwa eine Arbeit über Jugendweihe und hat im Archivportal recherchiert und gesehen, dass der Pastor sich in dieser Akte damit auseinandersetzt. Dann suche ich diese Akte heraus und bringe sie mit in den Lesesaal in Greifswald zum Studium. Der Lesesaal ist zweimal im Monat geöffnet,dienstags von 10 bis 17 Uhr und mittwochs von 9 bis 17 Uhr.

Ist das bei Archiven so üblich, dass man auf Akten warten muss?

Es gibt ganz wenige Archive, wo man die Akten noch am Tag der Bestellung vorgelegt bekommt. Zunächst muss geprüft werden, ob die Akte mit einer Schutzfrist belegt und in welchem Zustand sie sich befindet. . Wenn die Akte nicht in einem vorzeigbaren Zustand ist, muss mit Kopien gearbeitet werden.

Kann ich auch als Laie vorbeikommen? Etwa als Schülerin?

Wir haben eine sehr niedrige Schwelle. Wenn man ein berechtigtes Forschungsinteresse bekundet, kann man Einsicht in die Akten nehmen. Eine wichtige Ausnahme sind allerdings Akten mit Schutzfristen. Gerade im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten gilt laut Archivgesetz der Nordkirche: Klassische Geschäftsakten haben zehn Jahre Schutzfrist. Akten mit personenbezogen Daten dürfen bis zehn Jahre nach dem Tod der betroffenen Person nicht öffentlich eingesehen werden.

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