2. Juli 2023 | St. Johannis Altona

Walk with me, Lord - Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis zum Festgottesdienst 150 Jahre St. Johannis Altona

02. Juli 2023 von Kirsten Fehrs

Predigt von Bischöfin Kirsten Fehrs zu Jesaja 11,1-10

Happy birthday, liebe St. Johanniskirche!

Zum Glück feierst du und genierst dich nicht, auf deine stattlichen Jahre zu schauen, sondern freust dich des Lebens. Zum Glück feierst du, denn sonst könnte ich ja gar nicht meine Glück- und Segenswünsche loswerden.

Zumal, liebe Geburtstagsgemeinde, St. Johannis ja wieder einmal mit diesem Gottesdienst und der Jazzmesse zeigt, dass sie eine Brücke ist. Eine Brücke, die Herkunft mit Zukunft, Traditionelles mit Unkonventionellem, Kultur mit Engagement verbindet, das Beten mit dem Tun des Gerechten.

Glückwunsch zu 150 Jahren bewegtem Leben, liebe St. Johanniskirche. Dankbar und staunend könnten wir Geschichten ohne Ende über dich erzählen. Wie du warst und wurdest, was du jetzt bist, im Wandel der Zeiten: von der Garnisons- zur Funktionskirche, von der Gemeinde- zur Kulturkirche, von konservativ-militärisch-staatstragend bis hin zu plural-divers, interreligiös und inter-, ach, sowieso kulturell, politisch und seelsorglich, sozialraumorientiert und crossover-erprobt in jeder Hinsicht …

Glückwunsch! Auch weil Menschen unterschiedlichster Herkunft, Nationalität und Religion hier zusammenfinden. Da sie solch Gemeinschaft suchen und immer wieder ergriffen sind von diesem Raum und der Schönheit von Klang, Tanz, Wort und Kunst. Die sich unterbrechen lassen wollen, ja ihre Sehnsucht hier verorten, nach Inspiration und Kraft für die Seele. Und nach Kon-spiratio, dem Miteinander Einatmen des Geistes der Weisheit und des Friedens.

150 bewegte Jahre, gewiss bisweilen mit Stillstand, Ab- und Umwegen, ja Sackgassen. Aber immer wieder bist du mit Gott „auf den grünen Zweig gekommen“ wie es unser Predigttext so schön nahelegt. Immer wieder stärkte dich Segen und Lebenskraft von der Ewigen – der Psalm erinnert, dass wir das nicht vergessen sollen.

Bloß nicht vergessen: „Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais!“ Jesaja spricht seine Worte mitten hinein in die schlimmste Krisenzeit Israels. Das Land ist erobert, der Tempel zerstört, viele Menschen verschleppt, der Glaube zerbrochen. Mitten da hinein lässt Gott Jesaja das Unwahrscheinlichste ankündigen, das man sich vorstellen kann: Ihr werdet wieder auf einen grünen Zweig kommen! Denn „es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.“

Hoffnung, vergesst die nicht! Hoffnung auf Erlösung, auf das Neuwerden. Es wächst, ruft Jesaja den Menschen zu. Gott lässt es wachsen wie den grünen Zweig, der sich aus einem trockenen Stamm hervorschiebt: grün, zart und am Anfang noch zerbrechlich, aber voller Leben! Eure Erlösung ist auf dem Weg – auch, wenn ihr euch das jetzt überhaupt nicht vorstellen könnt!

„Und glaube ja nicht, dass der Garten im Winter seine Ekstase verliert. Er ist still. Aber die Wurzeln sind aufrührerisch ganz tief da unten.“ Der persische Mystiker Rumi hat das gesagt, heute für uns. Auch wenn er noch so tot aussieht, der übriggebliebene Stumpf, da geht noch was. Da geht was vor sich, was für menschliche Augen nicht gleich sichtbar ist. Da geschieht etwas gegen den Augenschein – und zwar keineswegs Kleines.

Sondern ein unfassbar kostbares Friedensreich findet seinen Weg mitten hinein in unsere raue abgestumpfte Wirklichkeit: Denn Gottes Geist wohnt da in den widerständigen Wurzeln. Da unten! Da unten ist Gottes Geist, der unsere Herzen und Sinne bewohnen will und uns sehnsüchtig machen. Er trägt schon alles in sich, was in die Freiheit wachsen und großwerden will, Gottes Friedens-DNA.

Und dieses alte Johannisgemäuer mit seiner wechselvollen Geschichte kann genau davon erzählen: von den Wunden und der „abgehauenen“ Sehnsucht. Und wie der Gottesgeist schon vertrieben schien, mindestens abgestumpft, hier in der Hochburg der Hitler-treuen Christen in Altona samt Kriegerskulptur auf dem Vorplatz. Mit diesem nationalistischen Heldenkult und Massenhochzeit unter Hakenkreuzflagge. Gruselig. Erzählen kann sie von Kriegsschäden, aber auch von verzweifelnder Brandstiftung, von Schmerz und Rissen allein durch ihre Straßenlage und die nahegelegene Sternbrücke …

Aber mitten aus diesen Stümpfen und Rissen hat sich das Grün immer wieder Bahn gebrochen, fällt Licht ein in diese Kirche, wirbeln Schönheit und Geist durch Raum und Mensch. Wie ein geistvolles Stoßlüften durch Herz und Kopf hindurch.

Ob Jazzgottesdienst, Bundesjugendballett, Straßenfest, Streitkulturort oder Kirchenasyl – hier ist ein heller Ort. Hier sind die Türen weit und die Herzen offen, eine überaus evangelische Gemeinde halt, die sie selbst wird durch die Kultur des Dialogs. Hier wird gedacht, gelacht, gedankt und gebetet. Diverser und sozialer geht‘s ja kaum. Eine Kulturkirche im Dreiklang mit der Kirche der Stille, der Friedenskirche und der Weitung in die Neue Mitte Altona hinein.

Ein Neues wird hervorgehen „aus dem Stamm Isais“. Das Neue, das anders ist als das Alte. Denn das, was war, kann – und muss! – so nicht mehr wieder hergestellt werden, sagt die Ekstase. Nein, Neues soll dabei rausspringen.

„Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart“, so besingen wir das Jesajawort zu Weihnachten – und haben doch gleich das Kind im Sinn, zart und hilflos in der Krippe. Und mit ihm die verrückte Hoffnung, dass da etwas ganz Neues anfängt, was uns rettet. Dass eben die Welt nicht zum Teufel geht, sondern zur Krippe. Um der Liebe Einlass zu gewähren, dass sie den Hass überwinde.

„Das Blümelein, so kleine, das duftet uns so süß. Mit seinem hellen Scheine, vertreibt‘s die Finsternis.“ So hoffnungsfroh hineingeboren ist die Gottesliebe, mitten unter uns – die, wir ahnen es, doch mit Dornenkrone und Kreuz enden wird.

„God is in the roses“ Gott ist in den Rosen, so heißt es in einem anderen Rosenlied. Es ist von Rosanne Cash, der Tochter des Countrysängers Johnny Cash. „God is in the roses, the petals and the thornes.“ Gott ist in den Rosen, in den Blütenblättern und in den Dornen. Gott ist da, wo es unfassbar schön ist, und Gott ist da, wo es unsagbar weh tut. „Wir bluten und wir sind zerrissen“, singt Rosanne weiter. „Aber Gott ist in den Rosen. Und in den Dornen.

Genauso gleichzeitig, wie Stumpf und Spross, wie Geist und Ungeist, wie dieser Raum seine ambivalente Geschichte in sich trägt, genauso gleichzeitig ist Gott da. Und bleibt. „He‘s walking with us.“ Um uns zu retten, bisweilen vor uns selbst. Deshalb senkt er den Traum des Friedens in unser Herz, dass er wachse. Allem Zerstörerischen in diesen Tagen zum Trotz.

Widerständig, wie die Wurzeln, ist Gottes Grünkraft. Und sie lebt hier. An diesem hellen Ort. Weil hier gesungen wird, und das so wunderbar! Weil hier Herzen aufgehen und sich der Kopf zerbrochen wird, wie es besser wird mit dieser zerschundenen Welt. Ja, wie man dem Frieden auf die kriegserschütterte Welt helfen kann.

Mit aller Kraft. Denn: Der Wolf ist wieder da. So hat jüngst der Bischofskandidat für den Sprengel Schleswig und Holstein, Friedemann Magaard, seine beeindruckende Vorstellungsrede eröffnet. Der Wolf ist wieder da – tatsächlich. An den Deichen Eiderstedts reißt er aufs Brutalste Schafe. Mich als Dithmarscherin hat das erreicht. Schafe sind sozusagen meine Wegbegleiter von Kind an. Und abgesehen davon, dass sie eher ein bisschen doof sind, signalisieren sie vor allem Schutzbedürftigkeit. Sie sind ein einziges Plädoyer für den sicheren Ort. „Und da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. [...] Und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. Man wird weder Bosheit noch Schaden tun; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn. Und es wird geschehen zu der Zeit, dass die Wurzel Isais dasteht als Zeichen für die Völker.“

Friede den Völkern. Von und mit dieser Vision lebe ich. Wie offenkundig viele, auch hier unter uns. Diese Vision trägt durch Kriegszeiten, und hält den Mut wach, immer wieder in der aufgerüsteten Sprache dieser Zeit den Gegenakzent zu setzen. Laut zu sagen, dass Waffen, so geliefert sie sind und so wehrhaft sie die Leidenden machen mögen, nicht das Einzige bleiben dürfen.

Und hier, an diesem Ort, wird diese Stimme erhoben. Sie, die nicht allein mahnt, sondern versteht. Die versteht, dass es Träumende geben muss, die auch in Kriegszeiten die Hoffnung nicht verlieren. Sie, die auf die Liebe setzen in Zeiten des Hasses, auf größere Gelassenheit in Zeiten der kurzen Zündschnüre. Die sagen: Stoppt die Schießwütigen, hört lieber auf die Liebeswütigen. Stoppt die rechten Stinkstiefel, die Schläger – und hört auf die unschlagbar Freundlichen, die auf den Brücken der Mitmenschlichkeit stehen.

Davon spricht dieser Traum des Jesaja. Mitten in dieser Kirche mit ihrer wechselvollen Geschichte: Hoffnungs- und Friedlosigkeit können sich wandeln! Ganz konkret! Denn stellt euch vor, hier, wo es 1933 diese Massenhochzeit unter Hakenkreuzflagge gab, wurde 1998 auch eine der ersten Entscheidungen für die Trauung gleichgeschlechtlicher Paare getroffen.

Stellt euch vor, hier, wo durch Brandstiftung 1994 Turm und Orgel zerstört wurden, konnte eine einzigartige Kuhn-Orgel gebaut werden, die mit ihrem französisch-romantischen, aber auch so kraftvollen Klang (Wir haben es eben erlebt!) zugleich ein ökumenisches Crossover bedeutet.

Stellt euch vor, hier, wo einst militärische Strenge und Kriegsverherrlichung herrschten, ist ein weiter Raum kreativster Gottesdienst- und Weltkultur entstanden.

Für diese Verwandlungen braucht es Menschen, die mit einem prophetischen Traum unterwegs sind. Die mit dem Geist der Wahrheit und der Erkenntnis auf einen grünen Zweig kommen wollen. Die daran glauben, dass aus den tiefen und widerständigen, schon tot geglaubten Wurzeln das Friedensreich Gottes wachsen und sich entfalten wird.

Danke euch allen, die ihr teilweise schon lange als Ehren- und Hauptamtliche, als Pastorinnen und Pastoren diesen Geist lebt, die ihr Mut und freudigen Hoffnungstrotz in die Stadt und diesen Stadtteil eintragt. Danke euch allen, die ihr mit so vielfältigen Talenten diesen Ort zu einem hellen und weiten Raum macht. So dass hier, wie in der ganzen Kirchengemeinde Altona-Ost, die Kultur des Lebens Lust hat, Gott einen guten Mann – oder eine gute Frau oder divers – sein zu lassen.

Hier in diesen durchbeteten Mauern, kulturgeprägt und verbindend, mit ihrer Schönheit und dem Weltschmerz, mit Rosen und Dornen. Herzlichen Glückwunsch, liebe Johanniskirche, du Lern- und Kraftort der Verwandlung! Bitte, bleib behütet und uns lang erhalten – damit Friede werde, höher als alle Vernunft. Er bewahre Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Datum
02.07.2023
Quelle
Kommunikationswerk der Nordkirche
Von
Kirsten Fehrs
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