17. Juli 2019 von
Lena Modrow
Wie streiten wir uns konstruktiv? Dieser Frage geht ein Seminar am 30. und 31. August im Christian Jensen Kolleg (CJK) in Breklum mit ganz praktischen Übungen nach. Mit dabei: zwei bundesweit renommierte Experten.
Der Vormarsch des Populismus ist nur eines der Probleme, warum sich die Fronten zwischen Menschen, die verschiedene Weltanschauungen vertreten, zunehmend verhärten. Nicht nur im Netz geht es darum, seinen eigenen Standpunkt gegenüber Andersdenkenden zu behaupten.
Erlernen von Gesprächsstrategien
Aber wie? Beim Seminar „Mit Andersdenkenden diskutieren lernen - Eine Sprachschule für die Gegenwart“ zeigen die beiden Trainer Romy Jaster und David Lanius in praktischen Übungen, wie man souverän auf Äußerungen reagiert, die man nicht teilt. Dabei geht es um das Erlernen von unterschiedlichen Gesprächsstrategien, die helfen, die Diskussion in eine konstruktive Richtung zu lenken. Dabei bringen die Trainer auch ihre zehn Regeln für eine gute Debatte ein.
Zehn Regeln für eine gute Debatte
1. Versuchen Sie, wirklich zu verstehen
Hören Sie zu, wenn Ihr Gegenüber spricht, und versuchen Sie zu verstehen, worum es ihm im Kern geht. Fassen Sie zusammen, was bei Ihnen angekommen ist. Sie können zum Beispiel sagen: „Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann ist Ihre Sorge, dass …“ oder „Ihr Punkt ist also, dass …“ Nur so können Sie sicherstellen, dass Sie wirklich verstanden haben, was dem anderen wichtig ist. In der Theorie der gewaltfreien Kommunikation nennt man dieses Vorgehen „aktives Zuhören“.
2. Bleiben Sie beim Thema
Menschen neigen in Diskussionen dazu, an entscheidenden Stellen abrupt das Thema zu wechseln oder in schneller Abfolge verschiedene Meinungen zu äußern. Das führt dazu, dass Streitpunkte aus dem Blick geraten, bevor Sie ihnen auf den Grund gegangen sind. Machen Sie das Parolenspringen nicht mit. Moderieren Sie das Gespräch und haken Sie nach: „Das scheint mir ein neuer Punkt zu sein. Können Sie mir erst noch erklären, was Sie gemeint haben mit …“
3. Stellen Sie so viele offene Fragen wie möglich
Stellen Sie Ihrem Gegenüber offene Fragen. Sie signalisieren damit den aufrichtigen Wunsch, die Position des Gegenübers zu verstehen, und schaffen sowohl auf der Sach- als auch auf der Beziehungsebene eine gute Grundlage für die weitere Diskussion. Die wichtigste Frage für eine gelingende Debatte ist: „Warum glauben Sie, dass …?“
4. Finden Sie Gemeinsamkeiten
In jedem Gespräch und mit jedem Gegenüber lassen sich Gemeinsamkeiten finden. Machen Sie deutlich, worin Sie mit Ihrem Gegenüber übereinstimmen. Sie schaffen damit ein gutes Klima für die weitere Diskussion und finden heraus, an welchem Punkt Ihre Auffassungen auseinandergehen. Womöglich liegen Ihre Positionen weniger weit voneinander entfernt, als Sie ursprünglich dachten.
5. Belehren Sie Ihr Gegenüber nicht
Wer belehrt, demonstriert höhere Erkenntnis und ruft beim Gegenüber Abwehr hervor. Vermeiden Sie es, zu moralisieren. Fragen Sie lieber nach und stellen persönliche Bezüge her: „Ist es Ihnen selbst schon einmal widerfahren, dass …?“
6. Begründen Sie Ihren Standpunkt
Ihre Meinung ist wichtig. Aber durch das bloße Aufeinanderprallen von Meinungen ist noch nichts gewonnen. Um miteinander ins Gespräch zu kommen, ist es entscheidend, warum Sie dieser Meinung sind. Begründen Sie Ihren Standpunkt und laden Sie Ihr Gegenüber ein, das Gleiche zu tun. Bloße Meinungsbekundungen und Polemisierungen bringen das Gespräch nicht weiter.
7. Interpretieren Sie wohlwollend
Stürzen Sie sich nicht auf die offensichtlichen Schwächen in den Argumenten Ihres Gegenübers. Versuchen Sie, jedes Argument in seinem bestmöglichen Sinn zu interpretieren und auf die stärkste Version des Punktes einzugehen – selbst wenn Ihr Gegenüber nicht in der Lage ist, das Argument in Perfektion zu entwickeln. In der Argumentationslehre nennt man diesen Grundsatz „Prinzip des Wohlwollens“.
8. Üben Sie sachliche Kritik
Korrigieren Sie falsche Informationen. Decken Sie voreilige Schlüsse und Pauschalisierungen auf. Weisen Sie auf lückenhafte oder widersprüchliche Stellen in der Argumentation hin. Gehen Sie mit Ihrer Kritik jedoch sparsam um und vermeiden Sie, wenn möglich, offene Konfrontation.
9. Deeskalieren Sie
In Diskussionen kochen häufig Emotionen hoch. Achten Sie darauf, dass Ihr Gegenüber sein Gesicht nicht verliert, wenn Sie Kritik üben. Bringen Sie gelegentlich Witz oder Ironie ein und sprechen Sie Ihre Gefühle und die des Gegenübers an. Sagen Sie so etwas wie „Ich merke, dass Sie/mich dieses Thema sehr wütend macht.“ Wichtig ist in jedem Fall: ruhig bleiben.
10. Wechseln Sie die Perspektive
Oft scheitern Diskussionen nicht nur an unterschiedlichen Meinungen, sondern an entgegengesetzten Wertvorstellungen. In solchen Fällen kann es helfen, die Perspektive des Gegenübers einzunehmen und zu überlegen, wie Sie argumentieren können, wenn Sie die Wertvorstellungen Ihres Gegenübers zugrunde legen. Wenn Ihrem Gegenüber der Schutz der Familie ein besonders hohes Gut ist, können Sie versuchen, vor diesem Hintergrund für Ihre Position zu argumentieren. Im wissenschaftlichen Diskurs nennt man dieses Vorgehen „reframing“. Wichtig ist dabei, authentisch zu bleiben und die eigenen Grenzen nicht zu überschreiten.
Brexit und Präsidentschaftswahlkamp in den USA veränderten die Debattenkultur nachhaltig
Romy Jaster von der Humboldt Universität Berlin und David Lanius vom DebateLab des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben gemeinsam 2017 das Forum für Streitkultur gegründet. Denn in dieser Zeit wurde ihnen deutlich, dass sich mit der öffentlichen Debatte um die Brexit-Abstimmung in Großbritannien, dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA und dem Aufstieg der AfD in Deutschland die Streit- und Debattenkultur nahezu global verändert.
Beitrag zu funktionierender Demokratie
Die beiden Forscher sehen ihre Arbeit als Beitrag zu einer funktionierenden Demokratie: „Wir brauchen öffentliche Debatten, die auch Menschen einbeziehen, die nicht die Überzeugungen und Wertvorstellungen der politischen Mitte teilen“, schreiben sie auf ihrer Seite. „Menschen, die sonst faktisch ausgegrenzt sind.“ Im Seminar greifen die Trainer auf Methoden aus Rhetorik, Psychologie, Linguistik und Argumentationstheorie zurück und wenden das Gelernte direkt auf aktuelle Beispiele und politische Alltagssituationen an.
Anmeldung
Das Seminar findet vom 30. August (15 Uhr) bis 31. August (15 Uhr) im Christian Jensen Kolleg (Kirchenstraße 4-13, 25821 Breklum) statt. Die Teilnahme kostet 79 Euro inklusive Übernachtung und Verpflegung, 50 Euro ohne Übernachtung.
Anmeldung unter info@christianjensenkolleg.de oder 04671 9112-0.
Veranstaltet wird das Seminar von der Evangelischen Akademie der Nordkirche, dem Kirchenkreis Nordfriesland und dem Christian Jensen Kolleg (CJK). Die Moderation übernehmen Yvonne Berner, Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises Nordfriesland und Nora Steen, Leiterin des CJK.