Bachwochenjubiläum: Der Zauber liegt in der Gemeinschaft
11. Juni 2021
Die Idee zur ersten Bachwoche entstand in einem Strandkorb auf Hiddensee. In diesem Jahr feiert die Veranstaltung ihr 75. Jubiläum. Die Nordkirche hat Musiker, Besucher und langjährige Wegbegleiter gefragt, was sie an ihr besonders schätzen. Hier kommen ihre ganz persönlichen Impressionen.
Im letzten Jahr noch fand die Bachwoche wegen der Pandemie ausschließlich digital statt. In diesem Jahr gibt es ein hybrides Format aus digitalen und Präsenz-Angeboten. Die Freude über die Darbietungen ist groß – auch wenn die Zahl der Teilnehmenden aus Sicherheitsgründen begrenzt werden musste. So dürfen im Greifswalder Dom bis zu 200 Personen den Klängen lauschen. Gleichzeitig werden die Konzerte aber auch auf die Domwiese übertragen sowie im Internet auf Youtube. Auch auf große Konzerte muss vorerst noch verzichtet werden, so dass es dieses Jahr eine "kleine Bachwoche" ist.
Claudia Lohse-Jarchow: "Wie ein Stück Schokolade"
Besucherin Claudia Lohse-Jarchow findet das Format genau richtig. Als Rollstuhlfahrerin schätzt sie das "luftige" Konzept dieser Bachwoche, das ihr mehr Raum bietet: "Ich bin seit 20 Jahren in Greifswald, und seit 20 Jahren gehe ich auch regelmäßig in die Morgenmusiken und kleineren Konzerte der Bachwoche. Ich bin keine, die fünf Veranstaltungen am Tag besucht, so eine Woche vollgestecktes Programm mit so vielen großen Konzerten ist mir dann oft zu viel oft. Dieser geistliche Rahme in der Morgenmusik oder in den Abendgebeten mit Abendmahl waren mir immer das Wichtigste. Diese Bachwoche unter Pandemiebedingungen finde sei sehr geistlich, sehr auf den Punkt, ich mag auch die kleineren Ensemble viel lieber", erklärt sie.
"Es geht ja auch darum, wie gehen wir mit Konsum um? Und wenn es nur noch darum geht zu konsumieren, dann finde ich das schade. Das ist etwas, was in diesem Jahr ganz deutlich wird natürlich auch durch den langen Verzicht: Die Bachwoche ist einfach wie ein Stück Schokolade und nicht eine ganze Tafel. Ich fände das sehr schön, wenn das ein heilsamer Impuls für die nächste Bachwochen sein könnte."
Günter Matheisen: "Nicht verreisen, da ist Bachwoche"!
Schon seit 1962 dabei ist Günter Matheisen. Zwischen 1974 und 1989 sorgte er als Domtechniker für den glatten Ablauf der Bachwoche. Heute engagiert sich der 84-Jährige immer noch ehrenamtlich beim Festival geistlicher Musik, betreut dort etwa den Informationstisch und verkauft Souvenirs und Programmhefte.
"Die Bachwoche gehört für mich zum Jahresablauf: Das geht los mit der Friedensdekade, Allianzgebetswoche. Und der Juni ist praktisch die Zeit der Bachwoche. Es gehört zum Jahresprogramm, ist fest eingeplant. Man weiß schon, aha, nächstes Jahr im Juni nicht vereisen, da ist Bachwoche. Es gibt Leute, die sich dafür Urlaub nehmen, wenn sie zum Beispiel aus Baden-Württemberg kommen. Viele singen dann auch im Domchor mit", sagt Matheisen.
"Ich habe 1962 die Bachwoche zum ersten Mal kennengelernt. Für mich war die Bachwoche ein großes Erlebnis, weil ich ja von Berlin her ein ganz anderes Konzertleben gewohnt war. Ich kam hierher und sah, wie hier die Musik gemacht wird, wie das ganze drumherum sich gestaltete und ich habe das so empfunden, dass das hier eine Familienveranstaltung ist. Der Mann dirigierte, die Frau saß am Cembalo und eines der Kinder stand am Pult und wendete die Partitur um, weil Kirchenmusikdirektor Hans Pflugbeil nur einen Arm hatte, der hat alles mit links gemacht, den rechten Arm hatte er im Krieg verloren. Er hat sich aber nicht beirren lassen und hat trotzdem weitergemacht und ist nicht verzweifelt an seiner Verletzung sondern hat sich aufs Dirigieren verlegt", so Matheisen.
Jochen A. Modeß: "Die Leute halten zusammen"
Die persönliche Begegnung und Gemeinschaft stehen auch für Professor Jochen A. Modeß, Leiter der Bachwoche von 1994 bis 2018, im Vordergrund: "Ich freue mich sehr, dass ich hier bin und dass viele nette Menschen mir wieder begegnen. Und ich genieße das, dass ich zuhören darf und auch ein bisschen mitspielen darf. Das, was den Zauber der Bachwoche ausmacht ist schon das, was man früher immer mit Bachwochenfamilie beschrieben hat, also dass viele Menschen immer wieder kommen und so eine Bachwochengemeinde bilden, nicht nur aus Greifswald sondern auch von auswärts. Das ist schon eine tolle Gemeinschaft, die sich da entwickelt. Und dass die Musik von Bach so trägt, dass sie immer wieder Menschen begeistert, das ist schon toll", erklärt er.
Zu den Besonderheiten der Bachwoche sagt Modeß: "Es gibt so Stücke, die dann über die Jahre und Jahrzehnte durchlaufen so wie die Kantate heute Morgen 'Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit'. Die hat mich viel begleitet, schon als Schüler habe ich sie erstaunlicherweise im Schulchor gesungen. Und dieses Stück, das ich sehr liebe, ist heute wieder aufgeführt worden, das hat mich schon gerührt. Wenn man die Bachwoche lange genug miterlebt, ist das wie der Soundtrack zum Leben. Motive, die wiederkommen und die man in einem anderen Alter neu hört. Das Stück habe ich mehrfach hier aufgeführt in verschiedenen Motiven und ich weiß, dass Anneliese Pflugbeil das sehr geliebt hat. Das ist schon so ein Stück Bachwochengeschichte auch.
"Wie der Soundtrack zum Leben"
Der große Vorteil der Greifswalder Bachwoche ist, dass hier so eine unglaubliche Tradition dahinter steht. Wenn man das jetzt neu beginnen wollte, weiß ich nicht, wie das gehen könnte. Es ist hier sehr verwurzelt und ist ja auch eine Tradition, die ich wahnsinnig gerne aufgenommen habe. Man sieht es ja: Gegen alle möglichen Widerstände auch pandemischer Natur klappt irgendetwas und die Leute halten zusammen und tragen es weiter."
Hans-Jürgen Wulf: "Ein herausragendes geistliches Festival"
Die geistliche Tradtion ist auch Landeskirchenmusikdirektor Hans-Jürgen Wulf aus Hamburg besonders wichtig. "Das ist die dritte Bachwoche, die ich gemeinsam mit Frank Dittmer und Professor Matthias Schneider leite. Das Besondere ist die Verzahnung von Liturgie und Konzert, regionaler Verankerung und überregionaler Ausstrahlung, der langen Tradition und der treuen Fangemeinde, die dieser Bachwoche beiwohnt und ihr zuhört und immer mit großer Begeisterung einlässt auf neue Programme und thematische Ideen. Das ist eines unserer herausragenden geistlichen Festivals, die wir haben, und ich glaube, wir können da stolz darauf sein, dass diese Tradition fortgeschrieben wurde mit der Nordkirche. Wir haben Landesposaunentage, wir haben Chorfeste und eine Facette dieser integrierenden Großveranstaltungen ist die Greifswalder Bachwoche. Das sind alles gemeinsame Bausteine für das Zusammenwachsen und die geistliche Identität der Nordkirche", sagt er.
"Wir mussten uns so streng wie möglich an die Auflagen halten, die für das Musizieren gelten auch im Gottesdienstlichen Kontext, weil wir ja niemanden gefährden wollen und gleichzeitig wollen wir das geistliche kirchenmusikalische Profil aufrecht erhalten. Deshalb haben wir uns entschlossen, in ganz kleinen, reduzierten Besetzungen aufzutreten, in der Regel mit einem Solistenquartett und einzelner Streicherbesetzung mit den vorgeschrieben Abständen plus Plexiglastrennwänden, so dass man auf relativ große Entfernung miteinander musiziert und mit ganz neuen Balanceverhältnissen, weil die Besetzung anders ist. Aber wir verstummen nicht. Die Tatsache, dass wir überhaupt Musik machen können, macht uns glücklich."