Bischöfin Fehrs: „Trotz allem ist immer wieder ein neuer Anfang möglich“
21. Dezember 2023
In Hamburg wird die Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel nahezu liebevoll „Santa Fu“ genannt. Eine umgangssprachliche Bezeichnung, die die harten Lebensbedingungen jener Männer, die hier zumeist Langzeit-Haftstrafen verbüßen, überhaupt nicht widerspiegelt. Zum 3. Advent feierte Bischöfin Kirsten Fehrs dort zwei Gottesdienste.
Die Bischöfin predigte in zwei aufeinanderfolgenden Gottesdiensten in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel und der Sozialtherapeutischen Anstalt vor Strafgefangenen.
Gefängnisseelsorge in der Nordkirche: www.kirche-am-anderen-ort.de/#Seelsorge
Bischöfin Fehrs: „Schon vor 35 Jahren, als ich selbst in der Gefängnisseelsorge unterwegs war, haben mich die Weihnachtstage immer besonders berührt. Weil sich natürlich alle nach etwas Gutem, Schönem gesehnt haben – nach Kerzenschein, gutem Essen und Familie".

Wir haben uns in der Seelsorge so manches ausgedacht, damit wir diese Sehnsucht alle miteinander gut überstehen. Das hat ein wenig getröstet. Und irgendwie auch Hoffnung gegeben, dass alles noch gut werden kann. Denn die Advents- und Weihnachtszeit ist für Menschen hinter Gittern besonders hart und herausfordernd. Bischöfin Kirsten Fehrs
Gesungenes Glaubensbekenntnis
In diesem Sinne sollten beide Gottesdienste die Inhaftierten in einer emotional besonders schwierigen Zeit stärken. Neben Bischöfin Fehrs wirkten Gefängnisseelsorger Pastor Friedrich Kleine und Kantor Yotin Tiewtrakul mit einem Gefangenenchor an den Gottesdiensten mit.
Gänsehautmoment hinter Gittern
„Es war mitreißend, diese Männer dort aus voller Kehle singen zu hören. Wie sie gesungen haben – sagenhaft!“, zeigte sich die Bischöfin anschließend beeindruckt. Das gesungene Glaubensbekenntnis nach einem Lied von Udo Jürgens habe sie zu Tränen gerührt. „Mich hat dieser Text mit seiner unglaublichen Aktualität emotional voll erwischt, wenn es heißt: ‚Ich glaube, dass man die erst fragen müsste, mit deren Blut und Geld man Kriege führt. Ich glaube, dass man nichts vom Krieg mehr wüsste, wenn wer ihn will, ihn auch am meisten spürt.‘ Das war ein absoluter Gänsehautmoment.“

Pastor Kleine, der die Männer in ihrem Alltag seelsorglich betreut und regelmäßig Gottesdienste mit ihnen feiert, freute sich über die positive Resonanz: „Für alle Beteiligten waren es zwei sehr beeindruckende Advents-Gottesdienste und eine willkommene Abwechslung für die Männer hier in Santa Fu.“
Hoffnung auf einen neuen Anfang
Die Predigt der Bischöfin und amtierenden Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschäftigte sich mit einer Bibelstelle im Evangelium nach Matthäus. Hier wird der Prophet Johannes, ein Vorläufer Jesu, von Herodes ins Gefängnis geworfen – und erlebt vermutlich exakt jenes Wechselbad der Gefühle, das die Männer in Santa Fu nur zu gut kennen.
„Warten, darauf dass es gut wird – das genau meint auch Advent. Da soll endlich was Gutes in unserem Leben ankommen. Menschlichkeit. Licht. Noch mehr Licht. Liebe. Und das Gefühl, dass Gott noch etwas Gutes mit mir vorhat, auch wenn nicht alles bisher so optimal gelaufen ist in meinem Leben.“
„Hoffnungstrotz“ im Advent
„Hoffnungstrotz nenne ich das gern“, so die Bischöfin weiter. „Trotz allem ist doch jedem Menschen immer wieder ein neuer Anfang möglich. Und auf diesen neuen Anfang – darauf, dass Gott Mensch wird, dass die Hoffnung Beine bekommt, darauf warten wir nun schon drei Wochen.“
„Langsam können wir ihn erkennen, den kleinen Raum, in dem der Anfang seinen Anfang nahm. Dieser Raum, der nach Stroh riecht, der nur einen Stern braucht, ein Kind, eine Krippe – die Engel, die Hirten und der Esel auch. Und wir – wir sind mittendrin. Wir alle gehören dazu, gehören an diese Krippe Gottes und mit uns die Zuversicht, dass das Gute in jede kleine Welt kommt. Auch in deine.“
Drei Fragen an… Gefängnisseelsorger Pastor Friedrich Kleine
Nordkirche: Was bedeutet die Advents- und Weihnachtszeit für Strafgefangene?
Friedrich Kleine: Für viele Gefangene ist diese Zeit eine seelisch belastende. Zu keiner anderen Zeit ist so deutlich zu spüren, dass man eingesperrt und von Freunden und Angehörigen getrennt ist. Viele Inhaftierte haben ja auch Kinder, mit denen sie nicht zusammen feiern können. Da liegen die Nerven bei einigen Gefangenen ziemlich blank.
Um mit dieser Situation umzugehen, gibt es unterschiedliche Strategien. Einige freuen sich, wenn der geschmückte Weihnachtsbaum auf dem Stationsflur steht und Advent gefeiert wird. Andere lassen diese Zeit, so gut sie eben können, an sich vorbeiziehen und wollen möglichst wenig damit zu tun haben.
Meine Aufgabe ist es, gerade in dieser heiklen Zeit präsent zu sein und jedes Gesprächsanliegen erfüllen zu können. Deshalb bin ich auch zwischen Weihnachten und Silvester immer in den Anstalten verfügbar.

Was ist Ihnen in Ihrer Arbeit wichtig?
Mir ist wichtig, nah bei den Menschen zu sein, jeden einzelnen Inhaftierten anzunehmen und allen gleich wertschätzend und freundlich zu begegnen, unabhängig davon, was wer getan hat. Das ist übrigens die Grundhaltung aller Gefängnisseelsorgerinnen und -seelsorger.
Und für die Ausübung dieser seelsorglichen Tätigkeit ist unsere Schweigepflicht von immenser Bedeutung. Alles, was mit mir oder meinem katholischen Kollegen besprochen wird, unterliegt dem Beichtgeheimnis. Das ist ein hohes Gut und unser Alleinstellungsmerkmal. Alle anderen Mitarbeitenden in den Anstalten sind berichtspflichtig und das wissen die Gefangenen natürlich. Dadurch können sie mit uns ganz offen reden und es werden uns manchmal Dinge anvertraut, die sonst niemand erfährt.
Erhalten die Inhaftierten zu Weihnachten eigentlich Geschenke?
Leider wurde in der Vergangenheit immer wieder versucht, mit Geschenkpaketen unerlaubte Dinge in die Anstalten zu schmuggeln. Deshalb sind Pakete von Freunden oder Angehörigen verboten.
Aber: Es gibt diese wunderbare Organisation Schwarzes Kreuz, die sich aus christlicher Motivation um Strafgefangene kümmert und zu Weihnachten Pakete, die nach klar definierten Vorgaben gepackt wurden, in Gefängnisse schickt. Die Aktion heißt Weihnachtsfreude im Gefängnis. Von diesen Paketen sind in diesem Jahr wieder 15 bei mir angekommen. Außerdem gibt es den Verein Hilfspunkt in Aumühle, der Tüten mit Schokolade, Kaffee und Tabakwaren inklusive eines kleinen Weihnachtsgrußes zur Verfügung stellt. Das waren in diesem Jahr noch einmal 60 Tüten. Diese Geschenke kann ich an besonders bedürftige Gefangene verteilen. Das löst immer große Freude aus.