Bischof Jeremias: „Hier geschieht Hilfe direkt, unbürokratisch und zupackend“
12. Mai 2022
"Nicht hinter dicken Kirchenmauern, sondern mitten im Leben, am Bahnhof" fand heute (12. Mai) das Jahresfest der Bahnhofsmissionen der Nordkirche statt. So beschrieb es Bischof Tilman Jeremias in Schwerin.
Rund 100 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer der 15 Bahnhofsmissionen aus ganz Norddeutschland stellten auf dem Schweriner Bahnhofsvorplatz ihre Angebote vor. Eröffnet wurde die Veranstaltung vom Schweriner Oberbürgermeister Rico Badenschier und dem Vorsitzenden der Bahnhofsmissionen in der Nordkirche, Heinrich Deicke.
Bahnhofsmission bald auch in Ludwigslust
In einem gemeinsamen Gottesdienst mit dem Landespastor des Diakonischen Werks MV Paul Philipps dankte Tilman Jeremias allen ehrenamtlich Engagierten und dem Träger, der Stiftung Sozial-Diakonische Arbeit – Evangelische Jugend: "Wie schön, dass es hier in Schwerin diese großartige Arbeit der Bahnhofsmission gibt. Ein Bahnhof mit all seinem Gewusel und seiner Hektik braucht Orte der Ruhe und Menschen, die Zeit haben für Unterstützung und ein gutes Wort. Ludwigslust wird bald mit der Eröffnung folgen, andere Bahnhöfe in unserem Bundesland hoffentlich auch."
"Ausnahmslos jede und jeder ist willkommen"
Das Angebot der Bahnhofsmission führe mitten hinein in den Kern christlicher Nächstenliebe: „Keine Hürden und Barrieren, ausnahmslos jede und jeder ist willkommen, Hilfe geschieht direkt, unbürokratisch, zugewandt und zupackend“, so der Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Nordkirche.
25 Ehrenamtliche in Schweriner Bahnhofsmission
Marie-Claire Heuer ist zuständig für die 25 Ehrenamtlichen der Schweriner Bahnhofsmission und freut sich, dass das Jahresfest des Verbands der Bahnhofsmissionen in der Nordkirche nach Stationen in Kiel und Hamburg erstmals in Schwerin gefeiert wird.
2014 wurde die Schweriner Bahnhofsmission ins Leben gerufen: „Wir haben uns als Jugendhilfeträger damals bewusst für diese Form des Engagements entschieden, weil wir meinen, der Bahnhof ist am Puls der Zeit und bildet die gesamte Gesellschaft ab.“
Voneinender lernen
Marie-Claire Heuers Büro ist direkt am Bahnhof. Ihr liegt daran, dass die rund 25 Ehrenamtlichen ihre Arbeit gerne tun und nicht in überfordernde Situationen geraten. Deshalb gibt es in Schwerin für die Frauen und Männer in den blauen Westen nur Schichten zu zweit. „Vieles kann man von den Kolleginnen und Kollegen lernen. So sind manche am Anfang unsicher, wie sie Menschen mit Behinderung ansprechen sollen, andere haben Berührungsängste, wenn es um Obdachlose geht.“
Rund 7000 Kontakte, so die Statistik, hatten die Ehrenamtlichen der Schweriner Bahnhofsmission im Jahr 2019, also vor den Coronabeschränkungen – das reicht vom "Hallo, kann ich Ihnen helfen" über das Suchen nach Bahnverbindungen und die Unterstützung einer Reisegruppe von Menschen mit Behinderung beim Umsteigen bis hin zum Blick auf ein amtliches Schreiben.
Nach drei Probediensten gibt es den Ausweis der Bahnhofsmission und die blaue Weste. Die Ruheständler, die sich bei der Bahnhofsmission engagieren, haben meist mehrere Ehrenämter, beobachtet Marie-Claire Heuer.
Bahnhofsmission verändert Blick auf das Leben
Eine von ihnen ist Cornelia Dührsen. Die 72-Jährige ist überzeugt: "Wir haben so viele Möglichkeiten der Teilnahme und Teilhabe und man kann an so vielen Stellen ein Schräubchen drehen, dass man sich eigentlich nicht beschweren darf."
Nachdem sie 2015 syrische Flüchtlinge bei der Erstaufnahme in Sternbuchholz unterstützt hatte, kam sie über eine Ehrenamtsmesse zu ihrem Amt bei der Schweriner Bahnhofsmission. Was ihre Sicht auf das Leben komplett verändert hat: „Ich wohne auf dem Dorf und bin gut geerdet durch unseren Chor und die Mitarbeit an der Ortschronik. Aber das ist nochmal eine ganz andere Sache, ich habe dadurch begriffen, dass das Leben anders ist als man sich das im Hamsterrad vorstellt. Man merkt, dass diese Schicht der Menschen, die mit unserem Tempo, mit dem schnellen Wechsel von Anforderungen nicht mitkommt, viel breiter ist als wir denken.“
Seit fünf Jahren macht sie ein- bis zweimal die Woche Frühschichten bei der Bahnhofsmission und pendelt dafür extra in die Landeshauptstadt. Für ihre Tätigkeit bildet sie sich ständig weiter: „In einem Workshop haben wir gelernt, wie wir Blinde und Sehbehinderte gut begleiten können. Dann gab es Kurse zur Deeskalation und Problemlösung, bei denen es darum ging, ruhig zu bleiben und nichts persönlich zu nehmen."
Dann setzt man sich hin und hört zu
Die Schweriner Bahnhofsmission ist von Montag bis Freitag von 9 bis 18 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Besonders gut gefällt der 72-jährigen ehemaligen Journalistin die große Bandbreite an Kontakten: "Morgens kommt ein Anruf, wir brauchten eine Einstiegshilfe für die Mutter, die über 80 ist und umsteigen muss. Jede Woche kommt eine Pendlerin zu uns rein, die auf ihren Bus wartet und immer etwas spendet. Wir haben auch einige wohnungslose Gäste, die es schwer haben im Leben. Leute mit finanziellen oder persönlichen Sorgen wollen erzählen. Dann setzt man sich einfach hin und hört zu und weiß nichts besser. Momentan bin ich gerade froh über mein Schulrussisch, was mir im Kontakt mit den ukrainischen Geflüchteten hilft."
Sehr selten einmal komme es vor, dass eine Begegnung sie stark mitnehme. „Dann gehe ich zu Hause zweimal ums Feld, und dann geht’s wieder."
"Wir ziehen alle am selben Strang"
Die blaue Weste der Bahnhofsmission trägt Cornelia Dührsen mit Stolz: "Wir mögen die alle, sie erinnert uns daran, dass wir für eine Sache stehen. Wenn wie heute beim Jahrestreffen zwischen 80 und 100 blaue Westen aus 15 Bahnhofsmissionen im Norden hier in Schwerin ankommen, ist das unglaublich schön. Wir ziehen alle am selben Strang, sind für dieselben Probleme da und unterstützen unsere Gäste."