Ein Jahr Freiwilligendienst im Ausland – und plötzlich ist alles anders
15. April 2025
Zwölf Monate lang arbeitete Thea Neumeyer als Freiwillige in einem Kinder- und Jugendprojekt in Argentinien. Es ist eine Erfahrung, von der sie wahrscheinlich noch ihren Enkeln erzählen wird, sagt sie. Möglich machte es ein Austausch-Programm des Ökumenewerks der Nordkirche.
Ihre erste WG liegt in der 12-Millionen-Stadt Buenos Aires, anfangs braucht sie zwei Stunden zur Arbeit. Wenn die Polizei die Straßen abriegelt, um die Massenproteste gegen die Regierungspolitik im Zaum zu halten, geht manchmal auch gar nichts mehr. Es ist laut, wuselig, manchmal auch bedrückend. Ein Kulturschock. Und doch eine der besten Erfahrungen ihres Lebens, sagt Thea Neumeyer.
Raus aus der Komfortzone
Im Nachhinein frage sie sich manchmal, wie sie das alles gemacht habe. Sie war schließlich erst 18 Jahre alt, als sie sich über das Ökumenewerk der Nordkirche für das Freiwilligen-Projekt der Iglésia Evangélica del Rio de la Plata bewarb und nach Argentinien reiste. Die dortige evangelische Kirche bietet Kindern und Jugendlichen einen geschützten Ort, an dem sie ihre Freizeit verbringen können, während ihre Eltern arbeiten.
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Was ihr in Buenos Aires begegnete, war so anders als in ihrem Zuhause in Neubrandenburg, dass sie die erste Zeit ständig müde gewesen sei, berichtet Thea Neumeyer. Vor allem die politische und wirtschaftliche Situation macht ihr zu schaffen. „Da sind Mütter zu uns ins Projekt gekommen und haben gesagt: ‚Hey, könnt ihr mein Kind nehmen? Ich muss jetzt noch einen vierten Job anfangen‘“, erinnert sich die heute 20-Jährige.
Arbeiten am Limit
Auch im Projekt selber habe sie den hohen wirtschaftlichen Druck gespürt. „Niemand von meinen Kolleginnen hat dort Vollzeit gearbeitet. Es ist generell so, dass Argentinier meistens mehr als einen Job haben“, erklärt sie. Aber: „Vor allem in den sozialen Einrichtungen verdient man viel zu wenig Geld, um das Vollzeit zu machen“, erzählt sie.

Für sie bedeutet dies umgekehrt eine hohe Verantwortung gegenüber den Kindern und Jugendlichen. Plötzlich ist sie zusammen mit einer anderen Freiwilligen diejenige, die jeden Tag verlässlich da ist, um etwa 30 Kinder des Viertels in Empfang zu nehmen und abends wieder zu verabschieden. Dazwischen bietet sie Workshops an, mit denen die Kinder vor und nach der Schule ihre Freizeit gestalten können.
Ganz andere Bedingungen als in Deutschland
Auf den Straßen begegnet ihr Armut. „Das war manchmal ganz schön hart. Man kann sich nicht in die Situation hineinversetzen. Wie viele Kinder dort betteln“, erzählt sie. Auch offene Wunden und andere unbehandelte Verletzungen seien keine Seltenheit. „Man muss immer Geld bezahlen, um ins Krankenhaus zu gehen.“
Thea Neumeyer wird durch das Ökumenewerk intensiv auf ihren Aufenthalt vorbereitet, sie bezieht ein festes Einkommen, hat eine Krankenversicherung und ein Netzwerk von Ansprechpartner:innen, an die sie sich bei Schwierigkeiten wenden kann. Ihre argentinischen Kolleg:innen bekommen die Inflation dagegen mit aller Härte zu spüren. „Ich habe deutlich mehr Geld bekommen als meine Kolleg:innen. Auch eine Erfahrung. Es ist ein totales Privileg und es ist total verrückt“, sagt die angehende Studentin. „Ich war nicht stolz drauf.“
Freiwilligendienst lässt sie wachsen
Heute ist Thea Neumeyer 20 – und klingt reifer als man es von jemanden erwarten würde, der sich gerade erst fürs Studium eingeschrieben hat. Sie ist sich bewusst, dass ihr Engagement vor Ort in erster Linie ihr selbst gedient hat. „Wir gehen dahin, weil es ein Lehrdienst ist. Also: Ich nehme am meisten von diesem Freiwilligendienst mit“, sagt sie. Die Kinder und Eltern, die sie dort kennenlernte, seien noch immer in der gleichen Situation. Aber sie selbst sei in dieser Zeit sehr gewachsen.
Wenn sie heute zurückblicke, sei sie vor allem dankbar für den Perspektivwechsel, den ihr der Auslandsaufenthalt gebracht habe. „Ich sehe alles jetzt mit anderen Augen, man lernt eine neue Sprache, neue Kultur, neue Menschen kennen. Ich habe ja nicht nur von Argentinien gelernt, ich habe von den Erfahrungen anderer Freiwilliger gelernt, die in Uruguay waren oder in Paraguay. Ich habe viele Sachen erfahren aus Tansania oder Kenia, weil man natürlich mit den Freiwilligen vier, fünf Seminare zusammen hat und dann natürlich auch eine WhatsApp-Gruppe und sich ganz viel austauscht. Es sind Leute, die deine Situationen und Sorgen und was man an Herausforderungen hat, nachvollziehen können.“
Sie erhält eine "riesengroße Familie"
Nach diesen intensiven Erfahrungen bleibe das Netzwerk aus Freiwilligen eine feste Gemeinschaft, zu der sie auch jetzt noch Kontakt hält. „Das wird immer eine besondere Gruppe an Menschen sein“, sagt Thea Neumeyer und ergänzt. „Ich könnte jetzt eine Deutschlandreise machen und in jeder großen Stadt eine Unterkunft finden.“
Was bleibe, sei „eine riesengroße Familie“ und ein anderes Lebensgefühl. Dazu gehöre, dass sie nun mit offenen Augen durch die Welt gehe und „ein bisschen mehr dankbar ist für die eigene Situation.“