„Es ist etwas Gutes draus geworden!”
06. Juni 2022
Wie lief die Fusion zur Nordkirche aus pommerscher Sicht? Und wo steht die Nordkirche heute? Ein Gespräch mit Altbischof Hans-Jürgen Abromeit und seinem Amtsnachfolger Bischof Tilman Jeremias.
Am Zusammenkommen der Nordkirche waren der mecklenburgische Landesbischof Andreas von Maltzahn und sein pommerscher Amtskollege Hans-Jürgen Abromeit wesentlich beteiligt. Seit 2019 ist Tilman Jeremias ihr gemeinsamer Nachfolger.
Zusammen stark
Geplant war, die drei miteinander ins Gespräch zu bringen, doch Andreas von Maltzahn begann gerade seinen Jahresurlaub. So blieb es bei einem Treffen zweier Theologen, die durch ihr Amt zu Greifswaldern geworden sind.
Gefragt, was ihnen spontan bei dem Wort „Nordkirche“ einfällt, meint Tilman Jeremias sofort: „Ein faszinierendes Projekt, Landeskirchen zusammenzubringen, Stärken zusammenzulegen. Und das auf Augenhöhe, kein Anschluss – diesen Geist spüre ich schon.“ Aber es sei auch ein großes Wagnis gewesen, das noch lange nicht abgeschlossen sei. "Hilfreich war und ist dabei, dass es bei allen Unterschieden ein gemeinsamer norddeutscher Kulturraum ist.“
Nordkirche lebt von Vielfalt
„Es war ein harter Weg bis zur Gründung der gemeinsamen Kirche“, beton Hans-Jürgen Abromeit. „Das hatte ich nach dem euphorischen Auftakt zu den konkreten Verhandlungen nicht erwartet. Aber es ist etwas Gutes daraus geworden, dafür bin ich dankbar“, meint er. Denn die Nordkirche erweise sich auch in diesen schwierigen Zeiten als stabiler Hintergrund für das Leben und Arbeiten in den Gemeinden.
Die Nordkirche sei inzwischen etabliert und werde als Einheit wahrgenommen – dabei machten die trotzdem bestehenden Diff erenzen vor allem zwischen dem West- und dem Ostteil auch ihren Reichtum an Vielfalt aus.
Geistliche Zentren
Dies unterstreicht Abromeit am Beispiel der Aus- und Fortbildung im Predigerseminar und im Pastoralkolleg in Ratzeburg, wo schon früher Nordelbien und Pommern zusammengearbeitet hatten. So habe eine Vikarin aus dem Westteil der Nordkirche, nachdem sie in Pommern im Vikariat gewesen sei, für den Probedienst als Pastorin ebenfalls in Pommern um eine Stelle gebeten. Denn sie habe gemerkt, so die Begründung, dass dort die gemeinden vom Gottesdienst her leben – das habe ihr gefallen.
Auch Jeremias erzählt von einer Hamburgerin, die als Vikarin nach Rostock kam und dort bleiben wollte. Und auch er setzt darum beim Zusammenwachsen der Nordkirche auf solche Begegnungsräume wie in Ratzeburg, „das zu einem Kraftort für diese Kirche geworden ist“. Solche geistlichen Zentren würden gebraucht – da sei seit der Schließung des Ansverus-Hauses bei Hamburg „noch Luft nach oben“.
Föderal, aber mit einem gemeinsamen Geist
Ein wichtiger Grund dafür, dass das Experiment Nordkirche gut gestartet sei, so Hans-Jürgen Abromeit, sei auch das föderale Element in der Verfassung und die sich daraus ergebende „große Kraft der Kirchenkreise“. Zwar habe die Nordkirche eine gute Größe für langfristige Entwicklungen, aber wichtig sei eine Ausgewogenheit zwischen einem gemeinsamen Geist und der Gestaltung kirchlichen Lebens in den Regionen und dessen Wertschätzung auf allen Ebenen. „Das war damals bei den Verhandlungen zur Fusion gegeben“, sei heute aber teilweise versunken. Dies müsse wieder stärker zum Zuge kommen.
Und dann wird Abromeit konkret: So habe die pommersche Kirche 2012 das „Haus der Stille“ in Weitenhagen bei Greifswald in die Fusion eingebracht – und es sei damals versichert worden, dass die Nordkirche auch eine halbe Pfarrstelle für die Arbeit dort fi nanziere. Das sei nun „als Relikt von früher“ infrage gestellt.
Es braucht noch Bewegung nach Osten
Traurig mache ihn auch, dass entgegen von Zusicherungen damals das Projekt eines gemeinsamen Pommernarchives von Kirche und Land MV von der Nordkirche gekippt worden sei. Und schließlich solle die von der Nordkirche in Rechtsnachfolge der pommerschen Kirche gestellte Pfarrstelle am Greifswalder Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) auslaufen.
Von einigen „schmerzhaften Erfahrungen“ bei allem Gelungenen spricht auch der jetzige Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern Jeremias: So sei die Weite des Ostteils der Nordkirche von Hamburg oder Kiel aus nicht immer im Blick, für manche seien eigentlich vorgesehene Treffen auch in Greifswald doch zu weit. Auch die personelle Decke sei im Ostteil dünner. Hier wünsche er sich mehr Bewegung von West nach Ost, zumal auch im ehemaligen Nordelbien Stellen abgebaut würden. Denn Mecklenburg-Vorpommern sei „Laboratorium für die Zukunft der Kirche“.
Pommern als Laboratorium
Davon ist auch Altbischof Abromeit überzeugt. So habe eine gerade erschienene Studie des IEEG über das Wachsen und Schrumpfen von Kirchengemeinden in Untersuchung der vorliegenden Gemeindegliederstatistiken und in 27 qualitativen Interviews festgestellt, dass im bundesweiten EKD-Schnitt die Zahl der Gemeindeglieder von 2002 bis 2020 etwa um ein Virtel zurückgegangen sei, in Pommern diese Zahl aber bei einm Drittel liege.
Trotz des zahlenmäßigen Rückgangs ließe sich aber viel, auch wachsendes geistliches Leben feststellen. Und sein Nachfolger pflichtet ihm bei: „Wir probieren hier aus, was es heißt, wenn die Freiburger Studie einen weiteren großen Mitgliederverlust der Kirchen in den nächsten Jahrzehnten voraussagt.“ Fragen wie: Was lassen wir weg? und: Wie gestalten wir Abschiede? seien zwar wichtig für eine Art Trauerbewältigung und müssten ihren Platz haben.
Öffnung zur Gesellschaft
Um als Kirche weiterhin anziehend zu sein, brauche es jedoch einen Blickwechsel, sind Tilman Jeremias und Hans-Jürgen Abromeit überzeugt, hin zu gelingenden Projekten, zu dem, was Freude macht, ohne die abnehmenden Kräfte zu leugnen.
„Wir haben ja schon großartige Ansätze in der Jugendarbeit wie etwa die Teamerausbildung oder die Tage ethischer Orientierung. Ich schätze in unserer Region an vielen Orten eine gelassene Zusammenarbeit mit nichtkirchlichen Playern wie den Kommunen, Vereinen oder auch mit Grundschulen, in denen die Gemeindepädagoginnen neue Wege in der Christenlehre gehen. Was in der Debatte um Zahlen und Statistiken gerne untergeht: Die Christinnen und Christen in unserer Region, die ich kennenlerne, sind häufig mit einem großen, ja unerschütterlichen Gottvertrauen gesegnet“, so Tilman Jeremias.
Lebendig sei Gemeinde überall dort, wo sie sich in die Gesellschaft hinein öffne über die Diakonie, in Schulen. So habe eine Gemeinde nach einem Pastorenwechsel eine Umfrage unter den Einwohnern gemacht: Was könnte die Kirche dir geben?“, erzählt Abromeit.
Bei diesem Blickwinkel sei auch die Vielfalt der Dienste und Werke in der Nordkirche an etlichen Stellen hilfreich. Zwar seien manche dieser Institutionen weit weg von der Basis meint Tilman Jeremias, „aber dort, wo es Hand in Hand auch mit den Diensten und Werken in den Kirchenkreisen geht, ist es gut“.
Interne Kommunikation verbessern
Doch damit solche hilfreichen Angebote die Gemeinden überhaupt erreichen, brauche es in der großen Nordkirche eine verbesserte interne Kommunikation, „die alles zusammenhält“, so der amtierende Bischof im Sprengel. Ebenso geschehe an vielen Orten an der Basis ganz viel Positives, das wert sei, in der Weite der Nordkirche bekannt zu werden.
Ein Erfolgsmodell
Und als Fazit wiederholen beide, was schon angeklungen war: Die Nordkirche sei im Großen und Ganzen ein Erfolgsmodell – wichtig sei aber, nach zehn Jahren das wiederzubeleben, was damals ihr Entstehen überhaupt ermöglicht hat: viel Austausch, viele Gespräche, ein echtes Interesse aneinander gerade bei unterschiedlichen Situationen und Sichtweisen.