GEM.EINSAM: Das Verhältnis zwischen Ich und Wir
19. April 2023
Kunst und Kultur in der Nordkirche auf einen Blick: GEM.EINSAM heißt die Kunstschau am 20. Mai in der Lübecker Innenstadtkirche St. Marien.
An dem Tag gibt es Tango, Musik, Gespräche und Workshops im thematischen Spannungsfeld zwischen Gemeinschaft und Einsamkeit. Zahlreiche Künstler:innen, die am 2. Kunstwettbewerb der Nordkirche teilgenommen hatten, werden ihre Arbeiten präsentieren.
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Dr. Anna Luise Klafs ist Studienleiterin Kunst und Kirche im Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche. Sie hat das Projekt "Kulturhimmel" initiiert, durch das schon zahlreiche Kunstaktionen in Gemeinden entstanden sind.
Hier erzählt im Interview, woher das Wortspiel kommt und wie sich Gemeinschaft und Einsamkeit in Kunst und Religion bedingen.
GEM.EINSAM ist das Motto der Kunstschau der Nordkirche am 20. Mai in St. Marien Lübeck. Wie sind Sie auf dieses Wortspiel gekommen?
"Zunächst spielt GEMEINSAM auf die Geschichte der Nordkirche an: Wir sind eine fusionierte Kirche und eine Kirche zwischen Ost und West. Viele gelebte Geschichten treffen hier aufeinander, die zu einer gemeinsamen Geschichte werden können.
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Aber auch das EINSAM ist mir wichtig: Denn dort, wo Gemeinschaft ist, stellt sich auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ich und Wir, zwischen Alleinsein und Zusammensein. Das eine geht nicht ohne das andere, und ich glaube, dass diese Frage sowohl in der Kunst als auch in der Religion immer wieder verhandelt wird."
Der Trend ist lange bekannt: Immer mehr Menschen sind in unserer medial so hoch vernetzten Welt einsam. Beobachten Sie diesen Trend in der Kunstszene auch?
"Interessanterweise weniger. Corona ist ein gutes Beispiel: Natürlich gab es während der Pandemie auch das Phänomen, dass Künstler:innen von Beruf und Berufung abgeschnitten und damit in die soziale Isolation getrieben wurden, aber in der Mehrheit habe ich etwas anderes erlebt:
Künstler:innen, die mir gespiegelt haben, dass sie die Zeit der Muße und Einsamkeit genutzt, ja sogar genossen haben.
Denn ein kreativer Prozess ist immer auch mit Einsamkeit verbunden. Das in sich schauen, in sich hineinhören und ausdrücken, was ich dort wahrnehme, das ist essenziell für Kunst. Und ich würde hinzufügen:
Auch für das Christentum ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Stille, mit dem Alleinsein wichtig: Das Gebet, die Exerzitien, ein Schweigekloster.
Wieviel Einsamkeit braucht gute Kunst, damit sie Gemeinschaft stiften kann?
"Die Frage ist natürlich zuerst, ob Kunst von vornherein dem Zweck unterstellt ist, Gemeinschaft stiften zu müssen. Ich denke, das ist ein wesentlicher Unterschied zur christlichen Religion, die immer auch auf eine Vergemeinschaftung, auf die Gemeinde ausgerichtet ist.
Das ist bei der Kunst natürlich nicht so. Aber vielleicht kann man es so formulieren: Eine Künstler:in, die sich ohne Angst der Einsamkeit aussetzt, kann auch für eine Gemeinschaft ein Beispiel sein: Ein Beispiel dafür, dass ich in der Einsamkeit mir selbst begegne und dass das durchaus kreative Prozesse losstoßen kann."
Die Kunstschau ist anlässlich des 10jährigen Jubiläums der Fusion von mecklenburgischer, pommerscher und nordelbischer Kirche entstanden.