Festgottesdienst 50 Jahre "Brot für die Welt"
07. Dezember 2008
Es ist genug für alle da – so lese ich es auf dem Plakat zur 50. Jahresaktion von „Brot für die Welt“. Es ist genug für alle da – so lese ich es – eine Wahrheit. Aber eine durchkreuzte Wahrheit:
Liebe Schwestern und Brüder,
liebe „Brot für die Welt“-Gemeinde heute in Rendsburg!
I
Es ist genug für alle da – so lese ich es auf dem Plakat zur 50. Jahresaktion von „Brot für die Welt“. Es ist genug für alle da – so lese ich es – eine Wahrheit. Aber eine durchkreuzte Wahrheit: auf dem Plakat mit dem Kreuz aus Essbestecken. Ich denke an die Kontinente der Erde, wenn ich auf diese Essbestecke schaue: Der Holzlöffel mag für Afrika stehen, die Stäbchen für Asien, das blanke silberne Messer für Europa und Nordamerika, die billige, angerostete Gabel aus leichtem Metall mag hinweisen auf Lateinamerika. Das alles zusammen bildet unsere Welt ab, auf der alle Menschen ihr tägliches Brot brauchen. Es ist genug für alle da – aber: Gott, sei´s geklagt, auf der reichen Erde hungern Millionen von Menschen, immer noch und immer wieder: Es ist genug für alle da – aber leider: bei einigen ist viel da, ist zuviel da. Und bei anderen, bei vielen anderen ist zuwenig da, ja nichts ist da.
Liebe Gemeinde, in dieser Spannung zwischen Wahrheit und Realität leben wir. Haben Anteil daran: an der Wahrheit und an dem Kreuz.
„Auf Erden ist den Völkern bange und viele Menschen vergehen vor Furcht, denn bei ihnen sind die Kräfte der Himmel ins Wanken gekommen.“ – so haben wir eben gehört aus dem Evangelium.
Genau darum ist der Ruf, ja der Schrei nach Brot für die Welt so wichtig!
II
Dieser Schrei nach Brot für die Welt war damals wichtig, bei der Geburtsstunde von „Brot für die Welt“ vor nun 50 Jahren in Berlin: Die Menschen in West- und in Ostdeutschland waren damals voller Dank für die erfahrene Hilfe, die sie bekommen hatten von den Völkern, mit denen wenige Jahre zuvor noch Krieg war. Wir haben vorhin gesehen, wie Lob und Dank in diese Kirche getragen wurden: Ein Care-Paket von damals, eine der ersten Spendendosen mit der nach Brot ausgestreckten dürren Hand, ein Säckchen mit Reis. Und der Schrei nach Brot für die Welt ist auch heute unverändert wichtig und nötig. Wegen der Wahrheit und wegen der Realität. Und wegen des Kreuzes damit.
Darum ist es gut so, dass „Brot für die Welt“ zu Advent und Weihnachten gehört wie Adventskranz und Weihnachtsbaum. Heil und Hilfe gehören zusammen. Daher ist es in vielen christlichen Gemeinden ein so guter Brauch, dass am Heiligen Abend die Kollekten in den Gottesdiensten für „Brot für die Welt“ gesammelt werden. Lasst uns daran in den Gemeinden festhalten, liebe Schwestern und Brüder! Und lasst uns der möglichen Versuchung nicht erliegen, die darin liegt, dass wir die zum Glück immer wieder erstaunlich hohen Kollekten in den Weihnachtsgottesdiensten für etwas anderes als für „Brot für die Welt“ verwenden!
„Was du einem der Geringsten getan hast, das hast du mir getan“, sagt Jesus. Nichts weniger geschieht, wenn wir geben, was wir im Überfluss haben für die, die nichts haben. Und wenn wir für die fernen Hungernden und Darbenden geben, dann haben wir Dank „Brot für die Welt“ auch die Not vor der Tür im eigenen Land im Blick. Denn Brot für die Welt will nicht ablenken, sondern hinlenken unseren Blick auf die ganze, eine Welt, von der wir ein Teil sind.
Unsere Zuwendung gilt den Ärmsten der Armen. „Brot für die Welt“ steht in vielen Ländern unserer Erde für Zuversicht und Lebenshoffnung. Wir wissen, dass aus Hungerregionen nur selten blühende Landschaften werden. Doch die Spenden an Brot für die Welt ermöglichen Millionen Menschen ein menschenwürdiges Leben.
Uns geht es heute besser als den Berlinerinnen und Berlinern vor fünfzig Jahren. Den Dank dafür können wir zeigen. Gerade im Advent. Denn im Advent sagt sich Gott an, „der die Hungrigen füllt mit Gütern…“ – so singt Maria im Magnifikat.
Im Licht des Advents spüren wir die Güte Gottes. Im Licht der Klarheit Gottes sehen wir die Spuren der Hoffnung. Nach diesen Spuren halten wir Ausschau; zu ihnen wollen wir auch selbst beitragen. Die Treue zu Gott und das Mitgefühl mit meinem Nächsten sind unteilbar. Wenn ich darauf vertraue, dass genug für alle da ist, dann öffnen sich meine Hände. So zieht die Freude über die Ankunft unseres Heilands Jesus Christus auch in mein Herz ein.
Die wichtigste Aufgabe jeder christlichen Gemeinde liegt darin, die Freudenbotschaft mit der Treue und Zähigkeit eines Esels zu den Menschen zu tragen. Ja, so wie damals Jesus auf dem treuen und zähen Esel einzog in Jerusalem – mit der jubelnden Menge am Wegesrand: „Hosianna, gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn!“ Diese Freudenbotschaft des Advents verändert die Mutlosen und die Verzagten, denn: „Seht auf, erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!“
Seit meiner Kindheit begleitet mich „Brot für die Welt“. Zuerst waren da die kleinen orangefarbenen Dosen, zuhause auf dem Tisch, beim Bäcker. Als Nachkriegskind kannte ich Hunger nur aus Erzählungen. Ich selber wuchs auf in der Fülle. Die Dosen mit den Bildern hungernder Kinder darauf waren für mich die erste Begegnung mit dem mir fremden Teil der Welt: sie öffneten mir den Blick über die eigene Grenze hinaus. Dass das Teilen zu unserem Leben gehört, habe ich mit diesen Dosen, die später aus Pappe gefaltet wurden, gelernt. Aber dabei ist es ja nicht geblieben: früh schon, mit der Wiederentdeckung der „Hungertücher“ oder Meditationstücher z.B. haben „Brot für die Welt“ wie auch „Misereor“ den Zusammenhang hergestellt zwischen dem Hunger in der Welt und den Kriegen; zwischen Armut und Ungerechtigkeit; zwischen Krankheit und Ausbeutung; zwischen Brot und Menschenrechten. „Brot für die Welt“ ist nicht milde Gabe. Sie ist auch Aufklärung über die Zusammenhänge, über Wurzeln des Kreuzes über der Wahrheit. Aus der akuten Nothilfe ist langfristige Entwicklungsarbeit geworden: Empowerment – Hilfe zur Selbsthilfe ist angesagt und an vielen überschaubaren Projekten zu sehen.
„Brot für die Welt“ steht auch dafür, dass der christliche Glaube nicht bei sich selbst bleibt: er mischt sich ein, widerspricht: Brot ist Menschenrecht auf Frieden, Gerechtigkeit, Gesundheit und Bildung – überall auf der Welt. Wer will, dass alle Menschen satt werden, muss zugleich den ungerechten Strukturen widersprechen, muss dem sinnlosen Abholzen der Regenwälder widersprechen und kann auch hier vor Ort über den Fairen Handel dafür sorgen, dass gute bäuerliche Arbeit nicht nur bei uns gut bezahlt wird.
III
Es ist genug für alle da! Ja, aber: Wer will, dass die Welt so bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt – so heißt es bei dem Dichter Erich Fried. Wer etwas gibt für „Brot für die Welt“, sagt zugleich: ich will nicht, dass es bleibt, wie es ist.
Advent ist Aufbruch, Gottes Aufbruch in diese Welt.
Jesus kommt in die Welt, zieht durch die Lande und verbreitet seine Botschaft von einer Welt Gottes, die wahr und wirklich werden soll für alle. Nämlich so, dass satt werden, die hungern und dürsten; so, dass aufgerichtet werden die Mühseligen und Beladenen; so, dass Licht leuchte denen, die im Dunkel sitzen.
Das ist also von Jesus zu lernen: eine Bleibe finden wir nicht, wenn alles so bleibt wie es ist. Zur Heimat des Menschen gehört, dass er im Aufbruch lebt, dass er sich seinem Nächsten zuwendet und sich von dessen Nöten herausfordern lässt. Weil er nur so auch bei sich selber ist. Denn Gott zieht mit den Suchenden, ermutigt die Fragenden, ist bei denen, die nach Gerechtigkeit hungern.
IV
„Niemand isst für sich allein!“ – so heißt der Slogan der Ernährungskampagne von „Brot für die Welt“. Nur miteinander werden wir überleben auf der so vielfältig bedrohten Schöpfung Gottes. Daran hat „Brot für die Welt“ in den vergangenen fünfzig Jahren Jahr für Jahr unermüdlich erinnert. So hat die Aktion unser Gewissen geschärft und früh angemahnt eine Politik, die endlich die Realitäten berücksichtigt der „Einen Welt“, in der wir zusammen leben auf dem Planeten Erde.
Daher gilt mein besonderer Dank heute allen Kirchenmitgliedern, die auch über ihre Kirchensteuer für „Brot für die Welt“ einstehen. Mein Dank gilt allen Spenderinnen und Spendern, die „Brot für die Welt“ so treu unterstützt haben. Mein Dank gilt auch denen, die in den zuständigen Diakonischen Werken unserer Nordelbischen Kirche und darüber hinaus als Mahner und Warner unermüdlich tätig sind. Diese vielfältige Unterstützung macht möglich, was wir alle durch „Brot für die Welt“ haben: nämlich das beharrliche und unerschrockene Eintreten für die Vision einer Welt, in der Gerechtigkeit und Frieden sich küssen – wie es im 85. Psalm heißt.
Mit seinem Kommen in seine Welt hat Gott unter uns die Sehnsucht geweckt nach einer Welt der Gerechtigkeit und des Friedens, nach einer Welt also, in der es uneingeschränkt als wahr und wirklich gelten kann: Es ist genug für alle da!
V
„Kluge Bauern haben gute Ernten“ – so lautet der Titel des nordelbischen Spendenprojekts in diesem Jahr. Das gilt hier bei uns; und das gilt auch an anderen Orten der Erde. „Kluge Bauern haben gute Ernten“ Wir haben dabei besonders im Blick die Hilfe für die Menschen in unserer Partnerkirche in Papua-Neuguinea. Den Lutheran Development Service wollen wir in den kommenden Jahren unterstützen, denn die kleinbäuerliche Landbevölkerung wird dort oft nicht bedacht von staatlichen Land-Entwicklungsprogrammen. Nachhaltige Entwicklung wollen wir fördern, Hilfe zur Selbsthilfe gilt es zu leisten.
Es ist genug für alle da! Das wissen wir. Und das wissen wir, weil wir vertrauen auf den, der da kommt zu uns - mit und als Brot für die Welt: Gott selbst in dem Menschen Jesus von Nazareth. Darum, liebe Schwestern und Brüder, „Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich unsere Erlösung naht!“- Amen.