FÖJ in der Kirchengemeinde Schönwalde: Ein Jahr, um Gutes zu tun und durchzuatmen
04. Februar 2022
Wiesen, Feuchtgebiete, Ställe, eine Kirche mit historischem Pfarrhaus, ein liturgischer Garten, eine Gedenkstätte, eine Kita und Pfadfinder-Treff: So sieht Hannah Stegmaiers Einsatzstelle aus. Die 19-Jährige absolviert ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in der Kirchengemeinde Schönwalde in Ostholstein und hilft, diesen einzigartigen Naturerlebnisraum zu bewahren. Ein Tag mit ihr in Norddeutschland.
Hannah Stegmaier steht in Arbeitskleidung und Stiefeln im Matsch zwischen Schafstall, Auslaufgehegen und Hochbeeten. Im Rücken hat sie das Gebäude der Evangelischen Kita der Kirchengemeinde Schönwalde am Bungsberg, in den Händen mit den rot lackierten Fingernägeln Futter für die Hühner und Enten, die auf dem Gelände der Kirche leben. Es könnte idyllisch aussehen, wenn es an diesem Vormittag weniger nieseln und stürmen würde.
Vor dem Studium was Handfestes
„Ach ja, die Schönwalder-Winterdepression“, sagt sie leichthin. „Es regnet hier schon sehr viel, dazu ist es kalt und sehr ruhig. Manchmal wäre es ganz cool, jemand Jüngeres in der der Nähe zu haben. Aber an sich arbeite ich sehr gern mit den alten Männern hier zusammen“, sagt sie in Richtung der Hauptamtlichen und zeigt dabei ein strahlendes Lachen.
Es ist diese kesse und zugleich zupackende Art, die Hannah Stegmaier so sympathisch macht und die einem versichert: Die 19-Jährige ist gerade am richtigen Fleck. Nach dem Abi wollte sie nicht gleich in ein Studium starten, das pandemiebedingt fast ausschließlich über Online-Seminare ablaufen würde. Sie wollte mal raus, was erleben – „eigentlich ins Ausland gehen“. Doch die Corona-Krise machte den Reiseplänen einen Strich durch die Rechnung. Also bewarb sich die Kölnerin für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) in Schleswig-Holstein.
Ostholtstein statt Nordseeküste
Nicht nach Schönwalde, sondern an die Nordsee wollte sie gehen. „Irgendwie war es ein Kleinmädchen-Traum, in der Seehund-Aufzucht-Station zu arbeiten“, sagt sie rückblickend. Damit ist sie nicht alleine. Rund 1000 Bewerbungen empfangen die beiden Träger-Organisationen in Schleswig-Holstein, der FÖJ Koppelsberg in der Nordkirche und der FÖJ Wattenmeer, jährlich. „knapp die Hälfte davon will zur Seehundstation“, sagt Birgitt Fitschen, Projektleiterin des FÖJ Koppelsberg.
Besetzt werden können zusammengenommen aber nur 185 Plätze in ganz Schleswig-Holstein, 45 davon beim FÖJ-Träger Wattenmeer. Zusätzlich begleitet der ÖFD-Träger Koppelsberg noch etwa 25 Freiwillige im Ökologischen Bundesfreiwilligendienst (ÖBFD). Geeignete Bewerberinnen und Bewerbern wird deshalb oft eine andere Einsatzstelle vorgeschlagenen, die zwar einen geringeren Bekanntheitsgrad hat, aber nicht weniger anspruchsvoll ist, erklärt Fitschen. So kam Hannah Stegmaier nach Schönwalde.
Artenschutz auf 4,5 Hektar
Ein halbes Jahr ist sie nun hier – zwischen Wiesen, Sümpfen und Feldern in einem 2500-Seelen-Ort. Party macht man hier nicht. Dafür habe sie Gelegenheit, sich darüber klar zu werden, was ihr selbst im Leben wichtig ist, sagt die 19-Jährige. Das heißt, wenn sie nicht gerade mit praktischen Dingen beschäftigt ist: Laubfegen gehört genauso dazu wie das Anlegen und Pflegen von Hecken und Knicks als Unterschlupf für Vögel und Insekten. Denn die Kirchengemeinde bemüht sich, auf dem 4,5 Hektar großen Gelände um Artenvielfalt und die Ansiedlung seltener Arten wie etwa die der Rotbauchunke, erklärt Pastor Arnd Heling.
Tausende Kaulquappen seien in den vergangenen Jahren ausgesetzt worden, nachdem die Gemeinde einen Teil der Fläche renaturiert und wieder zu Feuchtgebieten verwandelt habe. Inzwischen sei die Population wieder stabil, sagt Heling. Auch andere Arten wie der Zaunkönig, verschiedene Rohrsänger und einige Fledermäuse fühlten sich in Folge der Naturschutzmaßnahmen wieder heimisch, ergänzt er. Die jährlich wechselnden FÖJtler unterstützten diese Arbeit tatkräftig und übernähmen auch eigene Projekte wie etwa den Bau von Insektenhäusern, sagt der Pastor.
Zwischen Pfadfinderhaus und Schafstall
Und nicht nur das: Zu Hannah Stegmaiers Aufgaben gehört es außerdem, zwei Gruppen des VCP-Pfadfinderstammes Swentana zu betreuen. Der hat auf dem Kirchengelände seinen Sitz in einem historischen 'Backhaus'. Drinnen riecht es ein wenig nach feuchten Klamotten und Turnschuhen, auf einem Sofa liegt eine Gitarre – ein Jugendraum wie aus dem Bilderbuch. An der Wand prangt das frisch gemalte Abzeichen des Stammes. „Das habe ich gerade fertig gemacht“, sagt die FÖJlerin fröhlich.
Schnell wird klar: Wer hier im FÖJ glücklich werden will, sollte keine zwei linken Hände haben. „Vieles hat mir Klaus-Jürgen Bünning beigebracht“, sagt Hannah. Er ist der Hausmeister der Kirchengemeinde und Hobby-Schäfer. „Eine Persönlichkeit“, sagt sie mit einem Augenzwinkern.
Kinder lernen Tiere als schützenswerte Wesen kennen
Bünnings Tiere leben im Stall zwischen Pfadfinderhaus und Entengehege. Eines seiner Schafe fühlt sich auch in seinem Haus wohl – eine Handaufzucht, die abends mit Fernsehen schaut und sich auch an der Leine herumführen lässt, sagt er versonnen. Die übrigen Tiere aber legen sich lieber ins Stroh und kauen genüsslich das frische Gemüse, das er ihnen täglich bringt. Vor ein paar Tagen ist ein Lämmchen geboren und die Kinder der Evangelischen Kita kommen rüber, um es anzuschauen. Die tierpädagogische Arbeit ist Teil des Konzepts und soll als Alleinstellungsmerkmal weiter ausgebaut werden, erläutert Pastor Heling. Hannah Stegmaier macht da gerne mit.
Noch bevor die Kinder die Schafe füttern und das Lamm begrüßen gehen, liest sie ihnen das Gleichnis vom guten Hirten aus der Kinderbibel vor. „Das passt thematisch ganz gut“, meint die FÖJlerin, die daran sichtlich Spaß hat. Dabei habe sie selbst lange Zeit überhaupt nichts mit Kirche anfangen können. „Ich bin Katholikin, aber gar nicht gläubig“, sagt sie. „Bis ich hierherkam, wollte ich eigentlich aus der Kirche austreten. Ich fand den Religionsunterricht immer furchtbar.“
In Schönwalde erlebe sie nun eine offene Kirche. Die Leute kämen vorbei, um Eier und Marmelade mitzunehmen – alles Erzeugnisse der Kirchengemeinde. Zudem seien der Kreuzweg und der liturgische Pfarrgarten eine kleine Attraktion, die im Sommer auch auswärtige Besucher anziehe.
Jeder muss seinen Platz im Team finden
Der familiäre Umgang mit den Einheimischen und Gästen gefalle ihr. Zudem erlebe sie neben der oft anstrengenden, körperlichen Arbeit auch Raum für eigene Ideen und Kreativität. So hat sie etwa die Wohnung, in der die Freiwilligen für die Dauer eines Jahres untergebracht sind, renoviert und neu möbliert. Davon sollen auch ihre Nachfolger profitieren.
Die selbstständige Arbeit ist eine wichtige Zielsetzung des FÖJ, erläutert Projektleiterin Birgitt Fitschen. Die meisten Freiwilligen lebten erstmals außerhalb des Elternhauses. Neben der Unterstützung ökologischer Projekte, gehe es vor allem darum, sich selbst zu organisieren und herauszufinden, wo die eigenen Stärken liegen. Dazu gehöre auch, seinen Platz in einem Team zu finden. „Die FÖJtler sollen keine billigen Arbeitskräfte sein. Darauf legen wir großen Wert. Es geht darum, ihnen Erfahrungen zu ermöglichen. Sie sind aber kein Ersatz für Hauptamtliche“, betont Fitschen.
Nicht immer sei diese Rollenklärung leicht, sagt Pastor Heling. Die Vorgaben verlangen, dass es je eine weibliche und eine männliche Ansprechperson in der Einsatzstelle geben muss. Die Betreuer leiten die Freiwilligen fachlich an, moderieren aber auch bei Konflikten. Darüber hinaus können sich die FÖJler bei Fragen und Problemen auch direkt an den Träger wenden.
FÖJ ist eine "Schule fürs Leben"
Hannah Stegmaier macht den Eindruck, ihren Weg bereits gefunden zu haben. „Klar ist der Ton manchmal rau. Die Männer meinen ja oft: Nicht geschimpft ist gelobt genug“, sagt sie achselzuckend. „Aber man lernt damit umzugehen.“ Inzwischen begreife sie das FÖJ als eine Art Schule fürs Leben, das sie fordere, ihr gleichzeitig aber auch Raum zum Nachdenken gebe. Zwei Erkenntnisse hat sie bereits gewonnen: Wenn sie hier fertig ist, will sie studieren – Corona hin oder her. Am liebsten Wirtschaftspsychologie in Lüneburg. Und die zweite? „Wenn ich nicht aus der Kirche austrete, werde ich definitiv evangelisch!“