Gehörlosenseelsorge

Gehörlosenpastor: Konfi-Fahrt stärkt Zusammenhalt und Gottvertrauen

Am Strand von Neukirchen bauten Jugendliche ein großes Kreuz aus Strandgut.
Am Strand von Neukirchen bauten Jugendliche ein großes Kreuz aus Strandgut. © Antje Wendt, Nordkirche

28. Mai 2024 von Antje Wendt

Volker Struve ist Pastor der Gemeinde für Hörgeschädigte und einer von fünf Gehörlosenseelsorgenden der Nordkirche. Den Großteil seiner Arbeit verbringt er im Landesförderzentrum Hören und Kommunikation in Schleswig, eine Schule mit Internat für hörgeschädigte Kinder von der ersten bis zehnten Klasse. Einmal im Jahr bietet er eine Konfi-Freizeit an. Diesmal drehte sie sich um das Thema "Hoffnung". Unsere Reportage.

Wenn Pastor Volker Struve von seiner Arbeit berichtet, kommt er sehr schnell ins Erzählen. Er arbeitet seit 2021 im Landesförderzentrum Hören und Kommunikation in Schleswig, das umgangssprachlich Gehörlosenschule genannt wird.  

Seine Tür steht immer offen

Schon in einem Praktikum nach dem Studium hatte er sein Herz für diese Einrichtung entdeckt. Als Pastor für Hörgeschädigte ist er so etwas wie eine feste Institution, ist für den Religionsunterricht, für Gottesdienste und Andachten und für die seelsorgerische Begleitung der Menschen an der Schule zuständig. 

Die Gehörlosenseelsorge gehört zum Arbeitsfeld des "Hauptbereichs Seelsorge und gesellschaftlicher Dialog" der Nordkirche. 

In Schleswig verfügt der Pastor über einen eigenen Klassenraum, der voll gestellt ist mit Material, Möbeln, Werkstücken und Erinnerungsfotos – ein kreatives, doch zugleich einladendes Chaos herrscht hier. „Es ist mir wichtig, präsent zu sein, ansprechbar zu sein. Ich erlebe es immer wieder, dass Schülerinnen und Schüler mich aufsuchen, um sich etwas von der Seele zu reden, aber auch, um einfach nur Hallo zu sagen. Deshalb steht meine Tür immer offen“, erzählt er aus seinem Alltag.

Vom Seminarhaus in Neukirchen sind es nur wenige Minuten bis zum Ostseestrand. © Antje Wendt, Nordkirche

Ostsee-Ausflug heißt Freiheit

Zum zweiten Mal hat sich der Pastor in diesem Jahr für die Jugendlichen im Konfirmandenalter etwas Besonderes ausgedacht: Eine dreitägige Freizeit in einem Seminarhaus an der Ostseeküste. Hier auf der Freizeit im ländlichen Neukirchen wird die Beziehung zwischen dem Geistlichen und seinen jungen Schülerinnen und Schülern deutlich: Eine entspannte Mischung aus Respekt und Vertrauen.

Alle genießen den Ausflug aus dem Alltag. Und obwohl Pastor Struve feste Regeln für die drei Tage aufstellt, ist eine Freiheit und Sorglosigkeit für alle spürbar.

Gemeinsam sind die Jugendlichen kreativ 

Die acht Mädchen und Jungen zwischen 13 und 16 Jahren haben zum Großteil eine Beeinträchtigung des Gehörs, doch einige kommen auch aus Familien, in denen Geschwister oder Elternteile hörbeeinträchtigt sind. Untereinander kommunizieren sie hier vor Ort zusätzlich mit der Gebärdensprache, die auch Pastor Struve beherrscht, um sich mit ihnen auszutauschen.

Im Tagungsraum trafen sich die Jugendlichen zum Singen, Beten und für Gespräche© Antje Wendt, Nordkirche

 

Gemeinsames Singen, Texte verstehen und Beten, aber auch das Erleben und Kreativsein sollten die drei Tage „Konfi-Freizeit“ füllen. Pastor Struve hatte das Thema „Hoffnung“ vorbereitet und mit den Jugendlichen anhand der Symbole von Herz, Anker und Kreuz darüber gesprochen. „Ich kann nicht tiefer fallen als in Gottes Hand“ hatte einer der Jugendlichen dem Anker zugeordnet und so seiner Hoffnung auf Gott Raum gegeben. Hoffnungsvoll waren auch die Assoziationen zum Kreuz: „Jedes Ende ist auch ein Anfang“.

Am Strand suchten alle nach geeignetem Material für das Kreuz.© Antje Wendt, Nordkirche

 

Das Kreuzsymbol sollte am zweiten Tag des Aufenthaltes eine besondere Rolle spielen. Das Seminarhaus in Neukirchen liegt nur wenige Meter vom Ostseeufer entfernt. Der heftige Sturm im Herbst hatte Unmengen an Holz angespült oder Bäume zu Fall gebracht. Aus diesem Material sollte in gemeinsamer Arbeit ein großes Holzkreuz entstehen.

Das Kreuz ist handgemacht 

Auch wenn es nach dem Frühstück am zweiten Tag der Freizeit noch frisch war, machten sich die Jugendlichen gemeinsam mit dem Pastor daran, Material am Strand zusammenzutragen. Zweige, dünnes Geäst und einige schlanke Stämme waren schnell gefunden und herangeschleppt, mussten aber noch mit kleinen Handsägen auf die richtige Länge gebracht werden. Mittlerweile begann die Vormittagssonne schon zu wärmen, zusätzlich sorgte die körperliche Arbeit dafür, dass die ersten Jacken zur Seite flogen.

Für das Verknoten der Äste wurden vielen Seile und Schnüre benötigt.© Antje Wendt, Nordkirche

Aus vier Stämmen wurde mit kräftigen Seilen die vertikale Kreuzstrebe zusammengebunden, während aus den kürzeren Ästen und vielen Schnüren das horizontale Kreuzelement zusammengefügt wurde. Gegenseitig halfen sich alle beim Knoten, Festhalten und Schnüren der Äste und Holzstücke.

Zusammen mit zwei Jugendliche verschnürt Pastor Struve den Querarm des Kreuzes.

Dass das Ganze am Ende tatsächlich als Konstruktion halten würde, war bei den Jugendlichen anfangs auf Skepsis gestoßen. Ein großer und spannender Moment war es deshalb, als alle nach zweieinhalb Stunden fleißiger Arbeit gemeinsam das entstandene Kreuz am Strand aufrichten konnten.

Spannung beim ersten Aufrichten des Kreuzes: Halten die Verbindungen?© Antje Wendt, Nordkirche

„Herzensprache“ gleicht fehlende Wörter aus 

Erlebnisse wie die Konfi-Freizeit gehören auch für Pastor Volker Struve zur Ausnahme. „Ich versuche, in meinem Unterricht und meinen Gottesdiensten eine integrative und religiöse Arbeit zu machen“, erzählt der Theologe von seinen vielfältigen Aufgaben.

„Wir haben beispielsweise viele muslimische Kinder an der Schule. Daher nehme ich im Weihnachtsgottesdienst auch mal Bezug auf die Geburtsgeschichte Jesu im Koran. Außerdem muss ich meine Botschaft so ausdrücken, dass sie auch gebärdet werden kann. Manche Formulierungen gibt es nicht in der Gebärdensprache. Ich muss also meine Sprache sehr überprüfen, um meine Empfängerinnen und Empfänger gut zu erreichen. Doch ich habe ein tiefes Vertrauen in eine 'Herzenssprache' und setze auf das Wirken des Heiligen Geistes“, sagt Volker Struve mit einem Schmunzeln.

Im Mittelpunkt steht das Selbstwertgefühl 

Aus Erfahrung weiß er, dass viele der Jugendlichen neben der physischen Beeinträchtigung auch andere Formen der sozialen oder psychischen Not mitbringen – beispielsweise unsichere Familienverhältnisse, Kriegs- und Fluchttraumata oder Mobbingerfahrungen – „Audismus“ wird diese Form der Diskriminierung genannt.

In seinem Religionsunterricht geht es ihm daher stark darum, den jungen Menschen Identifikationsmöglichkeiten geben. „Es ist ganz wichtig, das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schülern zu fördern. Das Gottesbild, das ich ihnen vermitteln möchte, ist eher das des leidenden Jesus, des solidarischen Gottes, der sich an meine Seite stellt, statt eines erhabenen Gottes, der auf mich herabblickt.“

Aus einer Gruppe wird eine Gemeinschaft

Mit der gemeinsamen Freizeit möchte er den jungen Schülerinnen und Schülern Halt in einem gemeinschaftlichen Rahmen bieten. „Gemeinsam Essen zuzubereiten ist beispielsweise etwas, was eine Gruppe zusammenwachsen lässt“, berichtet der Pastor. „In dieser anderen Umgebung, weit weg von Schule und Internat, mit einer gemeinsamen Aufgabe, wird aus einer zusammengewürfelten Gruppe plötzlich eine Gemeinschaft.“

Das Transportieren des Kreuzes bedeutete noch einmal eine gemeinsame Kraftanstrengung© Antje Wendt, Nordkirche

Das Kreuz wird getragen

Für die jungen Menschen am Strand von Neukirchen stand nach der Fertigstellung des Holzkreuzes der schwierigste Teil nach bevor, denn das über zwei Meter hohe Gebilde sollte nun gemeinsam vom Strand über eine steile Böschung hinauf zum Seminarhaus getragen werden.

Dabei mussten alle besonders vorsichtig sein, denn das kunstvolle Geflecht stellte sich als recht zerbrechlich heraus. Mithilfe weiterer Seile, einer Schiebkarre und vielen Händen kam das Kreuz letztendlich fast unbeschadet oben an und wurde an einem gut sichtbaren Ort aufgestellt.

Beim Seminarhaus fanden die Jugendlichen einen Platz für die Aufstellung© Antje Wendt, Nordkirche

Jugendliche sollen stolz auf sich sein

„Situationen zu schaffen, in denen diese jungen Menschen in einem geschützten Raum über sich hinauswachsen können oder im positiven Glanz stehen und sich auch so fühlen, stolz sein können, das ist so wichtig“, resümiert Volker Struve. „Für Momente wie diese, für diese Erfahrung mache ich meine Arbeit.“

Das Landesförderzentrum Hören und Kommunikation in Schleswig umfasst eine Schule samt Internat für Kinder und Jugendliche mit Hörbeeinträchtigungen.

Nur die wenigsten sind tatsächlich komplett gehörlos, die meisten sind in unterschiedlich starkem Maße beeinträchtigt.  Viele Kinder und Jugendliche besuchen mittlerweile Regelschulen an ihrem Heimatort.

Wem dies nicht möglich ist, wird im Internat beschult. Für die Kinder bedeutet dies ein Leben an zwei Orten: Von Sonntagabend bis Freitagmittag im Internat, am Wochenende und in den Ferien in der Familie.

Anmerkung der Redaktion: Die Namen der Jugendlichen wurden zum Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte nicht genannt. 

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