Gespräch über das ökumenisch sensible Abendmahl: "Uns verbindet viel mehr als uns trennt"
14. Mai 2021
Am dritten Tag des Ökumenischen Kirchentags, laden viele Kirchengemeinden und Pfarreien in Frankfurt und ganz Deutschland ein zu einem "ökumenisch sensiblen" Abendmahl. Feiern, bei denen "die individuelle Gewissensentscheidung in Bezug auf die Teilnahme an Eucharistie oder Abendmahl geachtet wird", wie es im Programm heißt.
Hinter dieser Möglichkeit liegt ein langer Weg der Annäherung. Nicht erst seit dem ersten Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003 geht es bei der Begegnung von Katholiken und Protestanten immer auch um die Frage nach der gemeinsamen Feier der Eucharistie.
Wie sieht das eigentlich abseits von theologischen Diskursen vor Ort in den Gemeinden aus? Bischof Tilman Jeremias und Frank Hoffmann, Propst der katholischen Gemeinde St. Otto Usedom – Anklam – Greifswald (Erzbistum Berlin), sprechen darüber, genauso wie über benediktinische Frömmigkeit, konfessionsverbindende Ehen und was beide Konfessionen voneinander lernen können.
Frank Hoffmann: Ich bin in den 1970er Jahren in einer katholischen Familie im Ruhrgebiet großgeworden. Meine Mutter war Industriekauffrau, mein Vater Dreher. Das war so eine Vorortgemeinde von Oberhausen mit rund 6000 Gemeindemitgliedern. Da ging man in der 3. Klasse zur Kommunion, das gehörte einfach dazu. Wir waren ungefähr 70 Kinder in einem Jahrgang. Die Erstkommunion war ein feierlicher Tag, aber nicht, weil es die erste Kommunion gab, sondern weil es mit den Freunden in der Gemeinde gefeiert wurde. Danach wurden natürlich alle Jungen auch Ministranten.
Natürlich wurden alle Jungen Ministranten
Tilman Jeremias: Wenn Sie so von dem klassischen katholischen Werdegang erzählen, so ist es bei mir klassisch evangelisch, dass ich mich an Abendmahlfeiern in der Kindheit und Jugend gar nicht so richtig erinnern kann. Ich bin auch in eine Kirchengemeinde hineingewachsen mit Kindergottesdienst und Jugendgruppe. Auch für mich war die Konfirmation nicht in erster Linie Zulassung zum Abendmahl, sondern das war fast eher so was Lästiges: Ach, so ein Gottesdienst mit Abendmahl, dann dauert‘ s ja wieder länger. Also dieses Evangelische, dass Abendmahl letztlich nur einmal im Monat stattfindet, und das kriegen wir auch noch vorbei… Eigentlich habe ich das Abendmahl in der katholischen Kirche kennengelernt. Als ich in meinem theologischen Studienjahr in Jerusalem gewesen bin, waren wir als evangelische Studierende offiziell zur täglichen Messe eingeladen.
In Jerusalem das Abendmahl entdeckt
Ich habe da sehr regelmäßig teilgenommen und gemerkt, was das für eine Wegzehrung ist und eine Stärkung, wenn Menschen darin leben können, wie es in der katholischen Kirche weitgehend ist. Und mir ist das so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich gelernt habe, das Abendmahl hochzuschätzen als ein wesentliches Merkmal des Daseins Gottes, der Gegenwart Jesu Christi unter uns, und das habe ich eindeutig dieser ökumenischen Erfahrung zu verdanken.
Frank Hoffmann: Für mich war ein Zeitraum der Entwicklung meine Zeit als Benediktiner. Nach dem Abitur habe ich fünf Jahre in einem Benediktinerkloster gelebt, und da wurde Liturgie sehr feierlich zelebriert. Das war nicht irgendwas Beiläufiges, sondern das war Ritus, und das war stark. Ich bin da auch hängengeblieben in diesem Kloster. Dieser gregorianische Gesang, der Ritus, das kam an bei mir, da wollte ich sein. Gerade an den Hochfesten. So eine Liturgie, wenn man die feiert und die Zeit vergisst, und hinterher nicht mehr weiß, ob man eine oder zwei Stunden gefeiert hat – das hat eine große Stärke. Dann im Studium in Erfurt spielte die Ökumene eine Rolle, weil unser Dogmatiker Lothar Ullrich (1932 – 2013) in dieser Kerngruppe von Theologen war, die die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre vorbereitet haben.
Wir Studierende haben diese Gemeinsame Erklärung damals mit großem Interesse verfolgt. Ende der 1990er Jahre haben wir gedacht, damit ist der erste Schritt getan und es werden jetzt endlich weitere folgen in den anderen strittigen Punkten. Aber es kam nichts.
Immer mehr zu einem Praktiker geworden
Ich bin ja immer mehr zu einem theologischen Praktiker geworden. In der Pastoral ändert sich deutlich die Ebene. Immer wieder von der akademischen Theologie zu hören, wir sind noch nicht so weit, das braucht noch, und immer dieses latent Beleidigte, wenn doch mal irgendwo ein praktischer Schritt passiert, das war für den Praktiker schwer zu ertragen. Ich habe in Berlin angefangen, hatte dann eine Stelle in der Nähe von Potsdam und bin seit neun Jahren in Greifswald. Wenn dann da überall konfessionsverbindende Ehepaare dabei sind, allein schon die, mit ihren Familien und ihren Kindern, dann wächst da schon die Überzeugung, dass ihr, liebe Theologen und liebe Bischöfe, da auch eine Verantwortung habt, dass das jetzt mal vorangeht!
Wie war das mit der Einheit? Wir können uns wunderbar getrennt halten, und da stecken natürlich – das ist jetzt der Organisationsberater in mir – auch massive Ängste dahinter, dass da in der katholischen Kirche eine Kirchenspaltung entsteht, wenn man da jetzt doch was tut.
Gemeinsames Abendmahl passiert von unten
Das Interessante daran: Es passiert von unten. Die Leute fragen auch gar nicht mehr. Wenn es gut läuft, kommen sie noch zum Pfarrer und erzählen von ihrer Situation, da brauchen sie aber ein Vertrauensverhältnis. Sie erzählen dann ihre Lebensgeschichte und fragen, ob sie an der Eucharistie teilnehmen dürfen. Das ist ja längst Realität! Von zehn Ehen hier werden ein bis zwei zwischen katholischen Partnern geschlossen, drei zwischen katholischen und evangelischen und die restlichen zwischen Katholiken und nicht Getauften. Dabei tun wir immer noch so, als sei das die Ausnahme. Wie lange das gedauert hat, bis konfessionsverbindende Partner mit ihrer Gewissensentscheidung ernstgenommen wurden! Auch mein Bischof in Berlin hat bei einer Priesterkonferenz klargemacht, dass es keinerlei konkurrierende Gewissensentscheidung gibt. Wenn die Eheleute das wollen, kann der Priester nicht sagen, nach meinem Gewissen kann ich es euch nicht geben
Tilman Jeremias: Ich finde es faszinierend, wie viele biographische Parallelen es zwischen uns beiden gibt. Benediktinische Spiritualität hat bei mir in Jerusalem auch viel ausgelöst, auch das Hochschätzen der gregorianischen Gesänge. Seitdem suche ich Orte, an denen diese Form des Psalmengebets geübt wird. Wir haben den ökumenischen Pilgerweg in Mecklenburg, auf dem ich regelmäßig die Psalmengebete singen kann. Auch die Verbindung mit der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre ist für mich ein ganz entscheidender Prozess gewesen. Ich gehöre wahrscheinlich zu den wenigen Verrückten, die damals 1000 Seiten epd-Dokumentation zur Debatte verschlungen haben. Es war auch eine innerprotestantische Debatte. Manche haben gar den Ausverkauf der lutherischen Lehre gewittert.
Enttäuschung über Folgenlosigkeit der Gemeinsamen Erklärung
Die Enttäuschung über die Folgenlosigkeit dieser Erklärung teilen wir natürlich evangelisch. Was Sie sagen, dass doch ganz viel von der Basis herkommt, das erlebe ich ganz genauso. Und zwar nicht in dem Sinne ‚Was die Theologen da oben machen, das interessiert uns nicht. Wir praktizieren Glauben, wie wir es möchten‘, sondern eher als ein enormes Leiden an dieser Trennung am Tisch des Herrn. Da habe ich schon Hoffnung auf das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen ‚Gemeinsam am Tisch des Herrn‘.
Gemeinsam am Tisch des Herrn: EKD-StatementDBK-Statement
Dort wird ja nicht gesagt, dass wir alle eins sind und jetzt gemeinsam Abendmahl feiern sollen, sondern aus meiner Sicht theologisch sehr verantwortlich – wie Sie es vorhin auch gesagt haben – dass es per Gewissensentscheidung die Möglichkeit geben muss, dass ich an der Abendmahls- oder Eucharistiefeier der jeweils anderen Konfession teilnehmen kann.
Fühle mich in katholischer Messe zu Hause
In der katholischen Messe fühle mich mittlerweile so zu Hause wie in meinem evangelischen Gottesdienst. Ich habe ausführlich auch die Debatten um das Eucharistieverständnis verfolgt und glaube, dass uns an dieser Stelle viel mehr verbindet als trennt und das Erleben, dass wir geistlich auch zusammengehören, ist für mich auch ein ganz wesentlicher Gedanke.
Von daher hoffe ich schon sehr, dass es an der Stelle weitere vorsichtige Schritte geben kann. Auf evangelischer Seite ist es ja so, dass katholisch Getaufte offiziell eingeladen sind zum Abendmahl und ich wünsche mir sehr, dass in dieser Verantwortlichkeit auch die Möglichkeit der eucharistischen Gastfreundschaft auf katholischer Seite immer mehr gewährt wird. Zumal es in der Praxis etwas ist, was bereits da ist.
Eucharistische Gastfreundschaft ist bereits gängige Praxis
Es gibt diese Orientierungshilfe "Mit Christus gehen – Der Einheit auf der Spur; konfessionsverbindende Ehen und gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie".
Demnach sind Partner aus konfessionsverbindenden Ehen auch eingeladen, wenn der jeweilige Bischof der Diözese das mitträgt. Ich hoffe, dass der Ökumenische Kirchentag gute Erfahrungen ermöglicht, nicht im Sinne eines ‚Wir machen es, wie es uns passt‘, sondern ‚Wir sind gemeinsam theologisch und geistlich so weit gekommen, dass es in Ordnung ist, diese Gastfreundschaft zu gewähren‘.
Eine ganz wertvolle Einsicht des ökumenischen Votums "Gemeinsam am Tisch des Herrn" ist für mich, dass nicht etwa die Kirche oder ein Priester oder eine Pastorin einlädt, sondern Jesus Christus selbst der Gastgeber ist. Und wer sich von ihm einladen lässt, hinzuzutreten zum Tisch des Herrn – er ist ja gleichzeitig auch die Gabe in der Eucharistie – ist willkommen.
Frank Hoffmann: Was den Ökumenischen Kirchentag jetzt in Frankfurt angeht, bin ich eher skeptisch. Im Grunde existiert er nicht, weil man nicht zusammenkommt. Diese Euphorie, dass das jetzt doch alles gut ist, wie es jetzt ist – nein! Ich habe beide ÖKT mitgemacht und war in München in der Steuerungsgruppe für das geistliche Zentrum. Das war etwas völlig anderes, das ist nicht zu ersetzen durch etwas Digitales. Wenn ich einen Herzenswunsch hätte äußern können, hätte ich gesagt, lasst uns das noch um ein Jahr verschieben. Wir brauchen diesen Kirchentag analog, wir müssen uns treffen.
Wir lassen uns an diesem einen Tisch nicht mehr auseinanderreißen
Tilman Jeremias: Da bin ich völlig bei Ihnen, das Digitale hat enorme Grenzen. In beiden Konfessionen wird ja breit über das digitale Feiern des Abendmahls diskutiert, wozu es im evangelischen Bereich eine ganze Bandbreite gibt. Ich glaube auch, dass die Leiblichkeit hier überhaupt nicht zu ersetzen ist. Es gibt ja ein paar wenige Gottesdienste, und da hoffe ich nur, dass die in guter Weise auch stattfinden können.
Ich glaube, wir lassen uns von diesem einen Tisch nicht mehr auseinanderreißen. Aber Tischgemeinschaft eben auch in dem Sinne, dass wir gemeinsam essen und feiern und zusammengehören an diesem Tisch. Manche Äußerungen aus Rom unterstützen hier nicht gerade auf dem Weg. Dadurch, dass die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland etwa gleich stark sind, haben wir viel mehr Berührungspunkte und drängen viel mehr, da weiterzukommen. Das ist natürlich in anderen Weltgegenden ganz anders.
Frank Hoffmann: Das, was jetzt vom ÖKT übrigbleibt, ist das, was sowieso schon regional Realität ist, wenn es gut läuft. Was fehlt, ist diese Möglichkeit, solchen Impulsen, die man vorher gar nicht planen kann, Raum zu geben. Was passiert, wenn die Leute zusammenkommen – gar nicht mal subversiv, sondern geistlich, diese Einsichten, die dann entstehen können. Da bin ich auch traurig, ich habe so lange auf diesen Kirchentag gewartet. Ich hätte ihn eigentlich 2017 haben wollen habe da schon gedacht, liebe Bischöfe, tut euch zusammen wagt diesen Schritt!
Auf Kirchentagen kann Neues entstehen
Zu Rom: Es ist natürlich auch eine Herausforderung, wenn man nicht nur Landeskirchen hat oder Bünde wie die VELKD oder die EKD hat. Rom versteht uns Deutsche da auch oft nicht und hat den Eindruck, wir scheren aus der Gemeinschaft aus.
Tilman Jeremias: Man muss ja auch mal sagen, das eine evangelische Abendmahl gibt es in keiner Weise. Allein in der Nordkirche haben wir da eine enorme Bandbreite. Für mich war eine interessante Erkenntnis – dort, wo das Abendmahl einmal im Monat gefeiert wird oder noch seltener, sagen die Gemeindemitglieder momentan in der Coronakrise eher: Hauptsache, wir können wieder singen! Auf das Abendmahl können wir auch mal ein Jahr verzichten. Und dann ist da die Lübecker Dompastorin, die jeden Sonntag Abendmahl feiert und sagt, die Gemeindeglieder vermissen das. Ein Kollege aus dem Erzgebirge hat mir erzählt, dass sie dort eine gelebte Eucharistiefrömmigkeit haben und täglich feiern, weil der Bedarf so groß ist. Wir brauchen im evangelischen Bereich einen Lernprozess, und der kann ökumenisch viel besser funktionieren, weil wir einfach an der Stelle erleben, was gelebte Eucharistiefrömmigkeit für unser geistliches Leben bedeuten kann.
Wir brauchen ökumenische Erfahrungen für unser geistliches Leben
Frank Hoffmann: Für mich ist im Laufe der Jahre auch eine Blickveränderung wesentlich geworden - weg von dem Blick auf das Trennende hin dazu, das Gemeinsame zu suchen. Diese Blickveränderung macht so viel aus.
Tilman Jeremias: Wenn wir uns ökumenisch verständigen wollen, sprechen wir manches, was in unserer vielfältigen evangelischen Kirche Praxis ist, doch lieber nicht so laut aus. Wir haben durchaus auch eine Gemeindepraxis des Abendmahls, die für mich am Rande dessen ist, was Jesus eingesetzt hat.
Es geht bei der Liturgie los, die in ihrer ursprünglichen Form kaum praktiziert wird in unseren Kirchen. Das ist ein Jammer. Zum Abendmahl gehört die Erinnerung, die Anamnese und die Bitte um den Heiligen Geist: In welchem evangelischen Gottesdienst erleben wir das? Ich bedaure das sehr, dass dieser liturgische Reichtum bei uns so selten abgerufen wird. Dass man sagt, es ist sowieso schon so viel drin hier im Gottesdienst, lass uns mal schnell das Vaterunser beten und die Einsetzungswort – Nein! Die Würde dieses Sakraments zeigt sich auch in der liturgischen Ausgestaltung.
Lass uns mal schnell das Vaterunser beten!
Frank Hoffmann: Ja, aber das mag jetzt wieder so klingen, als ob nur die evangelische Seite sich verändern muss. Von katholischer Seite aus muss die Wertschätzung der Präsenz des Auferstandenen auch in den anderen Traditionen wachsen. Dieses Traditionsargument 'Jesus hat‘s auch schon so gemacht', das hält ja keiner Nachprüfung stand. Es ist ja immer so dieser Verdacht, dass die anderen irgendwie vom Weg abgekommen sind. Dieser ungeistliche Blick darauf… Wir müssen doch anerkennen, dass die evangelischen Gemeinden, Kirchen mit ihren Amtsträgern geistlich nichts anderes wollen als wir. Sind wir ein theologischer Überwachungsverein? Vom Herrn haben wir den Auftrag, eins zu sein. In der Liebe zu bleiben. Diese Veränderung des Blickwinkels ist für uns ganz wesentlich.