Gisa Feuerberg: Gedenk-Gottesdienst zum 100. Geburtstag
12. März 2025
Gisa Feuerberg wurde 1925 als jüdisches Kind in Galizien geboren. Eine schwere Verletzung führte sie in die Vorwerker Heime in Lübeck. Mit 15 Jahren fiel sie den nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morden zum Opfer. Ein Gottesdienst mit Bischöfin Fehrs gedenkt Gisa und weiterer Kinder, die durch die Nazis getötet wurden.
Am 17. März 1925, vor genau hundert Jahren, wurde Gisa Feuerberg als Kind jüdischer Eltern im damals zu Polen gehörenden Galizien geboren. Schon im Jahr darauf wanderte die Familie nach Palästina aus, um dem politischen und wirtschaftlichen Druck in ihrer Heimat zu entgehen.
Die Vorwerker Heime – verhängnisvolle Zuflucht
Die kleine Gisa erlitt mit drei Jahren bei einem Sturz schwere Hirnverletzungen. Vergeblich suchten ihre Eltern medizinische Hilfe für sie in Kliniken in Berlin, Wien und London. Schließlich wurde Gisa auf Empfehlung der Londoner Klinik in die Vorwerker Heime in Lübeck geschickt. Hier, so hofften ihre Eltern, würde sie die besten Möglichkeiten für ihr Leben erhalten, auch wenn sie nicht geheilt werden konnte.
Die Vorwerker Heime hatten sich ab 1906 zu einer bedeutenden Einrichtung für die Betreuung von Kindern mit geistiger und körperlicher Behinderung entwickelt. Doch mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderten sich die Bedingungen für diese Menschen drastisch. Das 1933 erlassene "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" führte zu Zwangssterilisationen vieler Heimkinder, die als "erbbiologisch minderwertig" galten.
Die NS-Zeit: Systematische Verfolgung und Ermordung
1939 erließ das nationalsozialistische Reichsministerium des Innern eine Verordnung, die alle Ärzte, Krankenschwestern und Hebammen verpflichtete, Neugeborene und Kinder unter drei Jahren, die Anzeichen einer schweren geistigen oder körperlichen Behinderung zeigten, zu melden. Dies war eine Maßnahme zur Umsetzung der unter dem Codewort T4 bezeichneten Aktion zur systematischen Tötung von Menschen mit Behinderungen, die in deutschen Einrichtungen untergebracht waren.
Die grausamen und unmenschlichen "Euthanasie"-Programme der Nationalsozialisten führten ab 1940 zur systematischen Ermordung zahlreicher behinderter und beeinträchtigter Menschen. Sie galten als genetische und finanzielle Belastung für die deutsche Gesellschaft und den Staat, ihr Leben als „unwert“.
Allein in Lübeck waren es mehr als 600 Opfer
Zunächst brachte das medizinische Personal Kinder und Jugendliche durch Verhungern lassen oder tödliche Medikamentengaben um. Im weiteren Verlauf bis 1941 wurden auch Erwachsene mit – auch vermeintlichen – geistigen und körperlichen Behinderungen, Menschen mit neurologischen Störungen oder auch straffällige Personen Opfer des Tötungsprogramms. In Lübeck betraf dies über 600 Patientinnen und Patienten aus verschiedenen Heimen und Heileinrichtungen.

Gisa war 15 Jahre alt, als sie zusammen mit neun weiteren jungen, jüdischen Heimbewohnerinnen und -bewohnern deportiert und getötet wurde. Etwa zwei Jahre später begannen die Nazis mit der „Endlösung der Judenfrage“ – dem systematischen Mord an den europäischen Jüdinnen und Juden.
Stolpersteine für Gisa und andere Opfer
An Gisa und die neun weiteren jungen Patientinnen und Patienten erinnern heute zehn Stolpersteine mit ihren Namen und Lebensdaten. Die Stolpersteine sind seit dem 8. Mai 2012 am Haupteingang zum Zentralgelände der Vorwerker Diakonie in der Triftstraße in Lübeck zu finden. Alle Kinder und jungen Erwachsenen wurden in die sogenannte Landespflegeanstalt nach Brandenburg an der Havel gebracht, wo man sie tötete. Die Brandenburger Landespflegeanstalt war eine von drei zentralen T4-Vernichtungsanlagen im Reich.
Die Lübecker Schule für Heilerziehungspflege trägt seit den 1980er-Jahren – stellvertretend für alle zehn Ermordeten des Heimes – den Namen Gisa Feuerberg Schule.
Die Würde jedes Menschen muss unantastbar sein

In Erinnerung an das grausame, unmenschliche Unrecht und die Verbrechen, die an Gisa Feuerberg und allen über 70.000 Opfern des Tötungsprogramms der Nazis begangen wurden, findet am 16. März um 18 Uhr in der St. Markus-Kirche Lübeck ein Gedenkgottesdienst mit Bischöfin Kirsten Fehrs statt.
Bischöfin Fehrs: „Gisa und so vielen anderen Menschen ist unsagbar schlimmes Unrecht geschehen. Sie wurden getötet, weil irgendjemand ihr Leben für lebensunwürdig erklärt hat.
Irgendjemand hat beurteilt, abgewertet, verachtet – und Gottes Geschöpfen ihre Würde abgesprochen. Aus Verachtung wurde Gewalt. Aus Gedanken wurden Taten. Deshalb ist es so wichtig, uns zu erinnern, was passiert, wenn wir Hass und Ausgrenzung nicht stoppen. Gerade in unserem Land sollte die Würde jedes – wirklich JEDES – Menschen unantastbar bleiben. Egal, wie jemand aussieht, was eine kann, was einer glaubt. Bischöfin Kirsten Fehrs
Sie wünsche sich, dass „wir alle den Mut haben, diese Würde zu verteidigen. Jeder an seinem Ort, jede in ihrem Wirkungskreis. In Erinnerung an das Leben und Sterben von Gisa. Und in Erinnerung an Gottes Versprechen: ‚Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Fürchte dich nicht, denn ich habe dich befreit. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du gehörst zu mir.‘ (Jesaja 43,1) Für immer und ewig. Auch über den Tod hinaus.“