Schubert: "Ich wünsche mir Offenheit von der Kirche"
26. April 2024
Helga Schubert ist durch Werke wie "Vom Aufstehen" bekannt, für das sie den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann. Bei der Verleihung des Kunstpreises "Sehnsucht nach Atem" der Nordkirche wirbt sie für weniger Berührungsängste zwischen Kirche und Kunst. Ein Kurzinterview.
Es ist eine hochkarätige Besetzung für den Festakt in Bützow: Die Preisverleihung des Kunstwettbewerbs "Sehnsucht nach Atem" der Nordkirche wird von Helga Schubert eröffnet. Wir haben die 84-jährige Autorin im Vorfeld gefragt, wie sie das Verhältnis zwischen Kunst und Kirche sieht.
nordkirche.de: Was ist Kirche und Kunst gemeinsam?
Helga Schubert: Beides ist nicht banal. Sowohl die Kirchenleute als auch die Künstlerinnen und Künstler gehen bei ihrer Arbeit in einen anderen Raum. Sie gehen in einen Raum nach innen und lassen die Tür hinter sich offen. Beide sind allein mit diesem Anderen in sich.
Beim Pastor/der Pastorin ist es die Zwiesprache mit einem guten konstruktiven System, das Gott ist. Der Künstler/die Künstlerin kann auch nur schaffen, wenn dieses Andere in sich zu einem Gegenüber wird, zu einem Werk, einer Erzählung. Wie eine Zellteilung. Kirche und Kunst haben ein Gegenüber. Der Schriftsteller ist auf ein Du gerichtet, sagte die österreichische Dichterin Ingeborg Bachmann.
Hat der Sanctus Spiritus, der Heilige Geist, etwas zu tun mit Inspiration?
Die Inspiration ist das Ergebnis davon, dass Künstler etwas hineinnehmen in sich aus der äußeren Welt, sie nehmen etwas aus dem Reichtum der Erfahrungen anderer. Es ist ein Einverleiben, das Kraft kostet. Ich glaube, dass der Heilige Geist jedem Menschen zur Verfügung steht, nicht nur dem Künstler.
Jeder Mensch, der sein Tun auch von außen sieht, in seiner Kleinheit, braucht den Trost der Relativierung, auch den des eigenen Schmerzes. Vielleicht ermöglicht das, was wir den Heiligen Geist nennen, wirklich eine kleine Stufe höher zu gehen, die Erdenschwere zu verlassen, dankbar zu sein, etwas aus sich herauszustellen, eine Plastik, ein Gemälde.
Was wünschen Sie sich von Kirche in Bezug auf Kunst? Was wünschen Sie sich von Künstlerinnen und Künstlern in Bezug auf unsere Kirchen?
Ich wünsche mir Offenheit von der Kirche, Regale mit Büchern aus den Nachlässen in den Gemeindehäusern, Ausstellungen, gemeinsame Ausflüge zu Museen und Kunsthallen, Dokumentarfilme zusammen mit den Heimatvereinen. Ich wünsche mir von Künstlern unserer Region, Schwellenängste zu überwinden, wenn sie vielleicht Atheisten sind, sich für Veranstaltungen in Kirchen zur Verfügung zu stellen.
Ein wunderbares Beispiel ist die Gemeinde Altenkirchen auf Rügen mit Pastor Christian Ohm, der den ganzen Sommer über ein Programm mit Vorträgen, Lesungen und Alter Musik organisiert, auf dem Friedhof eine Porträtausstellung erlaubt und laminierte Gedichte von Rose Ausländer bis Celan in die Hecken knüpft. Hunderte kommen. Auch die Kirche ist offen.