ZDF-Fernsehgottesdienst: Hier bin ich zuhause – Du auch
14. Juli 2024
Dialogpredigt zu Epheser 2,14.17-22 von Bischöfin Kirsten Fehrs und Pastor Peter Sorie Mansaray
Bischöfin Fehrs
Selig, liebe Geschwister in Christus. Selig liegen sie sich in den Armen. Allerorten hier in Deutschland – Fußballfans, die tatsächlich selig sind, zusammen eine Europameisterschaft zu erleben, die die Herzen mitreißt. Mittendrin im Spiel des Lebens, mit Sieg und Tränen, Torjubel und Humor. Wir haben so viele lachende Gesichter gesehen, in St. Pauli hier nebenan, beim Public Viewing. Ein tanzendes Fanmeer im niederländischen Oranje, französischen Blau, und heute Abend im spanisch-englischen Rot-Weiß. Inmitten all der Krisen, Kriege und Polarisierungen haben wir in den vergangenen vier Wochen so viel Ermutigendes, so viel Zusammenhalt, ja Freundschaft erlebt. Eine großartige Energie des Guten! „Einigkeit und Recht und Vielfalt“ haben die Fans gesungen und natürlich: „You´ll never walk alone“; das waren Gänsehautmomente. Zehntausende vereint in ihrer Begeisterung – auch für den Fußball, und natürlich für ihr Land. Und alle gehören wir zusammen! Wir sind lauter Gewinner. Mit einem Hauptgewinn: dem Fairplay. Alle gehören wir zusammen – als Weltfamilie, die die Freiheit liebt und das Menschenrecht.
Pastor Mansaray
Ich habe erfahren, wie es ist, wenn man nicht dazugehört. Als ich vor 32 Jahren nach Deutschland kam, gehörte ich nicht dazu. Ich war erst einmal eines: Ausländer. Ich durfte nicht wählen. Wenn ich Deutschland für längere Zeit verlassen hätte, hätte ich nicht zurückkommen und hier leben dürfen. Heute jedoch bin ich deutscher Staatsbürger und habe dieselben Rechte wie jeder, der hier geboren wurde. Meine Stimme zählt jetzt, wenn Wahlen anstehen. Bürger Deutschlands zu sein bedeutet aber nicht, dass ich meine sierra-leonische oder afrikanische Identität aufgeben muss. Ich bin beides und noch mehr: Denn ich habe noch eine weitere Identität und die wird durch meine Beziehung zu Christus definiert und kann von niemandem sonst definiert werden. Ich bin Christ, ein Mitglied des Leibes Christi, bei dem Nationalität, Hautfarbe und Herkunft keine Rolle spielen. Durch Christus sind wir alle Mitglieder von Gottes Hausgenossenschaft. Das ist, was zählt.
Bischöfin Fehrs
Das ist was zählt, genau, Peter. Wobei wir da noch viel zu lernen haben. Als Paulus den Brief an die Epheser schrieb, hatte er jedenfalls genau dies vor Augen: Menschen, die anderen abgesprochen haben dazuzugehören. Die die Identität der anderen in Frage stellten. Die unbedingt recht behalten wollten. Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? Nicht nur damals, auch heute können die Menschen furchtbar ausgrenzend sein. Und deshalb erinnert Paulus sie und uns: „Christus ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat, und hat den Zaun abgebrochen, der dazwischen war, indem er die Feindschaft wegnahm!“ Das finde ich einen so großartigen Satz in diesen Tagen! Von Anfang an heißt Christsein: dem Frieden dienen. Und das teilen wir mit allen Religionen! Also: Handeln wir danach, sagt Paulus. Zusammengehörigkeit ist unsere Stärke. Wollen wir in Christus sein, muss die Feindschaft zwischen den Verschiedenen, zwischen den Völkern aufhören!
Pastor Mansaray
In unserem heutigen Text sagt Paulus dazu, wir seien „Bürger […] Mitglieder von Gottes Hausgenossenschaft […] Teil von Gottes Gebäude“. Der Text ist für mich eine Zusammenfassung von Gottes Plan für die Kirche und die Menschheit – „keine Fremden und Ausländer mehr“, „Bürger“, „Mitglieder von Gottes Haus“. Paulus erinnert uns daran, dass wir „Gottes Hausgenossen“ sind. Wir wurden in die Familie Gottes aufgenommen. Wir gelten als Brüder und Schwestern von Jesus Christus. Wir sind Erben und Miterben von Jesus Christus. Diskriminierung und Rassismus haben keinen Platz in Gottes Haus. Leider sind wir weit entfernt von dieser Vision Paulus.
Bischöfin Fehrs
Diskriminierung und Rassismus haben keinen Platz in Gottes Haus!
Doch schaue ich mich um, sehe und höre ich so viel Abgrenzung, Ablehnung, alles andere als Fair Play. Mauern der Abwehr – auch und vor allem im Kopf. Gehört der oder die wirklich zu uns? Mit ihrer anderen Hautfarbe, mit seiner anderen Religion und Kultur? Was der oder die mir wohl wegnehmen wird? Wir leben in einer Argwohn-Gesellschaft, liebe Geschwister, die immer mehr Grenzen zieht. Wir gegen die. Die da oben und wir hier unten. Die Europawahl hat viel von diesen Trennungen gezeigt. Dabei ist unser Europa doch bislang ein ziemlich grenzenfreies und vor allem demokratisches Europa, das es zu schützen gilt. Denn es hat eine wunderbare Grundidee: die eines gemeinsamen Hauses, in dem Menschenrecht wohnt und Achtung und Herzlichkeit. Eine christliche Idee, ja eben jene Vision: Christus selbst ist der Friede, indem er Zäune abbricht und Feindschaft wegnimmt.
Musik
Pastor Mansaray
Also wer gehört eigentlich dazu? Und wer entschiedet darüber? Wie muss man aussehen, um dazu zugehören? Muss ich meine Identität aufgeben, um dazuzugehören? Vielleicht haben wir viele Identitäten, aber durch Christus, der uns vereint und die Mauern der Trennung niederreißt, sind wir jetzt alle Mitglieder der Familie Gottes. Christus hat die Mauern der Trennung niedergerissen und heute können wir alle den einen Herrn im selben Geist feiern. Sie sind, was Sie sind, und ich bin, was ich bin, und gemeinsam sind wir alle „Bürger […] Mitglieder der Familie Gottes […] Teil von Gottes Hausgenossenschaft.“ Was für eine wunderschöne Vision einer Familie von Gläubigen. Eine Familie, in der wir in Frieden, Liebe und Harmonie zusammenleben, auch wenn es ab und zu anstrengend ist und Mühe macht.
Bischöfin Fehrs
Ja, wunderbar. Friede ohne Grenzen. Eine Welt, in der alle ein Recht auf Heimat haben, wo auch immer. Unser 75-jähriges Grundgesetz steht ja genau dafür, ich finde, es ist eine einzige Übersetzung des Predigttextes in unser Leben hinein. Denn es steht allem voran für die Würde eines jeden Menschen, unantastbar soll sie sein! Und dem Frieden in Europa, vor Gott und den Menschen, haben wir gesagt, wollen wir dienen. Das Recht auf Asyl. Wie hätten sonst unsere Väter und Mütter nach einem mörderischen Zweiten Weltkrieg überleben sollen?
All dies heißt: keine Zäune, aber offene Gedankenwelten. Keine Feindschaft, aber Hände, die wir wieder mehr lernen müssen zu reichen. Keine Abschottung, aber Freiheit als Recht, das man auch dem anderen gewährt. Keine Schubladen, denn da liegt man dann, zack, im Dunklen. Da bin ich dann eben weiß, privilegiert. Glück gehabt. Und du, Peter, wirst „schwarz gelesen“. Nicht als Mensch mit eigener Geschichte, mit Schönem und Schwerem, wie alle Menschen. Ein Pastor wie ich. Sondern als einer aus Afrika. Vorsicht. Pech gehabt.
Pastor Mansaray
Ja, Kirsten. Ich und viele, die wie ich aussehen, kämpfen manchmal damit, nicht dazuzugehören – nicht gewollt zu werden. Es tut so weh, wenn ich zum Beispiel nach 32 Jahren (über der Hälfte meines Lebens) gefragt werde, wann ich nach Hause zurückkehren werde. Der Text von Paulus gibt mir Mut, nicht aufzugeben. Er erinnert uns daran, dass wir „Gottes Hausgenossen“ sind. Wir sind für ihn keine Gäste, keine Fremden oder Ausländer, sondern Mitbürger, mit gleichen Rechten, Brüder und Schwestern von Jesus Christus. Ein Mitglied von Gottes Haushalt zu sein und zu bleiben, erfordert eine gewisse Menge an Toleranz, Wertschätzung und harter Arbeit. Wir haben einen Verhaltenskodex, der jedes Mitglied dieses Haushalts durchdringen muss, und das ist Liebe. Ja, Liebe ist unsichtbar, aber sie wird durch unsere Taten sichtbar.
Bischöfin Fehrs
Das ist der Friede Christi. Liebe, die tatsächlich wird. Deshalb doch ist Gott aus lauter Sehnsucht in diese Welt geboren, aus Sehnsucht nach uns – vielen, so verschiedenen Hausgästen. Deshalb ist er an unsere Hecken und Zäune gekommen, um sie zu überwinden. Damit er seine friedvolle Hand allen reichen kann, denen, die nah sind, und denen, die fern sind. Und ganz gleich, ob sie auch ihm, Gott, fern sind. Hauptsache wir, die wir uns zu Christus bekennen, sind eine Herberge der Mitmenschlichkeit. Unerschrocken. Gastfreundlich. Eine Herberge, in der kein Mensch verloren geht. Sondern in der wir aufgenommen sind als Menschenfamilie mit unseren Schmerzen, Brüchen, Diskriminierungserfahrungen, ja, aber auch mit unseren Hoffnungen und Liedern, unserer Lebensfreude – und dem Wunder der Vielfalt. Willkommen in meiner Wohngemeinschaft, spricht Gott uns zu, und siehe, sein Reich ist schon mitten unter uns.
Pastor Mansaray
„Die Zukunft der Kirche ist bunt.“ Dieser Satz stammt von einem Kollegen von mir. Der Satz ist mir im Gedächtnis geblieben. Für mich ist die Kirche nur die Kirche Christi, wenn sie bunt und vielfältig ist. Die Kirche ist in einem multikulturellen und internationalen Setting entstanden. Ich finde wir sollen wieder zu den Wurzeln zurückkehren. Denn der Leib Christi ist vielfältig.
Bischöfin Fehrs und Pastor Mansaray
Wir alle gehören dazu! Amen.