Hier liegt das Gedächtnis der Nordkirche
02. September 2020
Archivieren bedeutet analysieren, beraten, digitalisieren - und noch vieles mehr: Die Aufgaben des Landeskirchlichen Archivs sind vielfältig. Und mit der zunehmenden Digitalisierung werden sie nicht kleiner. Denn es geht darum, das Gedächtnis der Nordkirche weiter zu erhalten und zugänglich zu machen.
Kühl und trocken, in fein säuberlich beschrifteten Kartons, in meterhohen Regalen – so wird ein Teil des Bestands des Landeskirchlichen Archivs gelagert. Am Standort in Greifswald umfasst er rund 700 Meter, in Schwerin 1970, und am Standort Kiel rund 3050. Das Gedächtnis der Nordkirche und der früheren Landeskirchen, aus denen sie hervorgegangen ist, ist groß.
In den Magazinen liegt das Schriftgut der kirchenleitenden Organe, der Ämter und Werke ebenso wie zum Beispiel Nachlässe von Pastorinnen und Pastoren, die ein persönliches Licht auf die Kirchengeschichte werfen.
Gedächtnisarbeit für die kirchliche Identität
„Wir können gegenwärtige Strukturen und Probleme nur verstehen und einordnen, wenn wir ihre Geschichte kennen“, sagt Julia Brüdegam, stellvertretende Leiterin des Landeskirchlichen Archivs. „Ohne die Gedächtnisarbeit in den Archiven wäre die kirchliche Identität gefährdet.“
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts ist die Nordkirche sogar dazu verpflichtet, Menschen einen transparenten und zuverlässigen Zugang zu relevanten Informationen über Entscheidungen und deren Hintergründe zu geben. Deshalb werden wichtige Dokumente archiviert. Doch was heißt das genau?
Vertrauenswürdiger Hüter von Informationen
Der Aufgabenprozess der Archivierung:
- Erfassung
- Bewertung
- Übernahme
- Erhaltung
- Erschließung
- Nutzbarmachung
- Auswertung
Archivieren bedeutet nicht einfach nur, Dokumente sicher abzulegen. Dahinter steckt ein ganzer Prozess: Zunächst einmal wird das Archivgut, wie z.B. Akten, Fotos oder Urkunden, erfasst und analysiert, ob diese überhaupt archivwürdig sind - dafür gibt es Modelle, die das Landeskirchliche Archiv transparent auf seiner Website dokumentiert hat. Ganz wichtig hierbei: Es werden keine Dokumente etwa aus ideologischen Gründen ausgespart. Selbst solche, die aus der heutigen Perspektive kritisch zu betrachten sind, wie zum Beispiel aus dem Nationalsozialismus, sind zugänglich für die Forschung. Auch das knüpft an die Idee an, das Geschichtsverständnis zu fördern, um Konflikten in der Zukunft vorzubeugen. Die Archive sind somit auch Einrichtungen, die sich der Sicherung der Freiheit verschrieben haben.
„Als sogenannte ‚Trusted Custodians‘ - also ‚vertrauenswürdige Hüter‘- stehen Archive für die Integrität, Verlässlichkeit und Authentizität des bei ihnen verwahrten Archivguts ein“, sagt die stellvertretende Leiterin. „Menschen können sich darauf verlassen, dass unser Archivgut unbeschädigte Glaubwürdigkeit hat.“
Grundlage für Forscherinnen und Forscher
Wird das Archivgut nach der Prüfung als „archivwürdig“, also historisch wetvoll eingestuft, kümmern sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ihren Erhalt: Sind die Dokumente etwa durch einen Wasserschaden feucht geworden, werden sie zunächst getrocknet. „Das ist zum Glück nur sehr selten der Fall“, sagt Julia Brüdegam.
Ist der Zustand geklärt, folgt die Erschließung: Das Archivgut wird für das Archivsystem erfasst und eingeordnet, damit anschließend Forscherinnen und Forscher die Inhalte finden und für ihre Arbeiten verwenden können.
Datenbanken und Findbücher helfen bei der Suche
Dabei helfen ihnen nicht nur die Online-Datenbanken, vor Ort können sie auch in Findbüchern recherchieren. Das sind schriftliche Verzeichnisse zu bestimmten landeskirchlichen Stellen (je nach Herkunft), die zum Beispiel Zusatzinformationen zur Bestandsgeschichte, zu Personen und Daten enthalten.
„Gerade wenn Personen einen weiten Weg auf sich nehmen, um das Archiv einzusehen, ist es wichtig, dass sie vorher schon erkennen können, ob ein bestimmtes Archivgut für ihre Forschung hilfreich ist oder nicht“, sagt Brüdegam.
So gab es zum Beispiel schon Besuch aus Australien, dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die schriftliche Ankündigung vorab gleich das richtige Material im Lesesaal bereit stellen konnten. Mehr als 1000 mal wurde im vergangenen Jahr vor Ort Archiv- und Bibliotheksgut genutzt.
Kirchenbücher als Quelle für die Familienforschung
Anfragen erhält das Landeskirchliche Archiv aber nicht nur von forschenden Theologen, Mitarbeitenden aus geschichtswissenschaftlichen Projekten oder Journalisten, die Fotografien zu besonderen Personen oder Ereignissen suchen.
Auch Personen, die zu ihrer eigenen Familiengeschichte forschen, melden sich immer wieder. „Denn historische Kirchenbücher sind für diese Forschung eine sehr interessante Quelle“, sagt Archivarin Anne-Christin Draeger. Im Landeskirchlichen Archiv in Kiel befindet sich jedoch nur ein vergleichsweise kleiner Teil an Kirchenbüchern; Militärkirchenbücher aus Schleswig-Holstein und der Bestand aus Hinterpommern zum Beispiel. Im Landeskirchlichen Archiv in Schwerin befinden sich Mecklenburger Kirchenbücher.
Digitalisierung und Schutzverfilmung der Kirchenbücher
„Die Kirchenbücher gehören zum Archivgut der jeweiligen Kirchengemeinde und fallen damit in den Zuständigkeitsbereich der Kirchenkreise“, sagt die Archivarin. Und trotzdem hat das Landeskirchliche Archiv viel mit ihnen zu tun: Seit den 1990er unterstützt es die Kirchenkreise bei der Schutzverfilmung und seit fünf Jahren auch bei der Digitalisierung.
„Nach und nach wird jedes Kirchenbuch auf Silberfilm gesichert und ein Benutzungsmedium erstellt, um die Originale zu schonen“, sagt Anne-Christin Draeger. So bleiben die Informationen auch zukünftig „physisch“ erhalten: Silberfilme sollen bei richtiger Lagerung rund 500 Jahre haltbar sein. Hinzu kommt, dass durch die Digitalisierung die Kirchenbücher auch dezentral verfügbar werden: Sie sind auf dem landeskirchenübergreifenden Portal Archion zugänglich.
Weitere Digitalisierung der Bestände
Und könnte man den Bestand auch komplett digitalisieren? „Das ist eine Frage, die immer wieder aufkommt“, sagt Julia Brüdegam. „Aber in der Fachwelt wird dies nicht ernsthaft diskutiert.“ Denn der finanzielle und organisatorische Aufwand wäre bei einem so großen Archiv enorm hoch.
Die Beschaffenheit des Bestands ist so heterogen, dass „nicht alles einfach mal eben automatisiert gescannt werden kann“, so die Archivarin. Trotzdem kann Material, das oft nachgefragt wird und geschützt werden muss, digitalisiert werden, wie eben das Beispiel der Kirchenbücher zeigt.
Auch für Archivgut, das jetzt schon digital vorliegt, wie zum Beispiel Synodenbeschlüsse aus jüngerer Zeit, soll ein großes digitales Archiv entstehen, das – immer unter Wahrung der archivrechtlichen Vorgaben zum Schutz personenbezogenen Archivguts – Informationen verfügbar macht. Zudem plant das Landeskirchliche Archiv, im Laufe des Jahres 2022 ein Archivportal einzurichten, das es Nutzerinnen und Nutzern möglich macht, übergreifend in allen landeskirchlichen Beständen zu recherchieren und – wenn möglich – das Archivgut direkt in die Lesesäle zu bestellen.
Das Digitale Archiv wird in Zukunft auch insofern noch wichtiger als dass der Bestand natürlich stetig größer wird. Brüdegam: „In den nächsten fünf Jahren wird der analoge Bestand auf perspektivisch 7720 bis 8720 Meter anwachsen.“