"Kulturhimmel" in der Adventszeit

#hoffnungsleuchten: Kunstaktionen in Altenheimen

Die Künstlerin Ekaterina Ezhkova schuf ein berührendes Werk, in dem Aktuelles und Vergangenes zusammenfließen.
Die Künstlerin Ekaterina Ezhkova schuf ein berührendes Werk, in dem Aktuelles und Vergangenes zusammenfließen. © Collage: Ezhkova, Foto: Nordkirche
Zahlreiche Erinnerungen an das Weihnachtsfest der Kindheit haben auch die Bewohner im Augustenstift in Schwerin.
Zahlreiche Erinnerungen an das Weihnachtsfest der Kindheit haben auch die Bewohner im Augustenstift in Schwerin.© Ina Lebedjew
Künstlerin und Redakteurin Ina Lebedjew hat bei ihren Besuchen nicht nur Stimmen aufgezeichnet, sondern auch Bilder zu den Kindheitserinnerungen der Seniorinnen und Senioren gemacht.
Künstlerin und Redakteurin Ina Lebedjew hat bei ihren Besuchen nicht nur Stimmen aufgezeichnet, sondern auch Bilder zu den Kindheitserinnerungen der Seniorinnen und Senioren gemacht.© Ina Lebedjew
Erinnerungen an die Kindheit.
Erinnerungen an die Kindheit.© Ina Lebedjew

21. Dezember 2020 von Simone Viere, Julia Krause

Vier Künstlerinnen sind in der Vorweihnachtszeit in vier Seniorenheime ausgeschwirrt. Zusammen mit den Bewohnern haben sie vier Kunstwerke aus Tönen, Bildern und Schriften erschaffen. Am 4. Advent wurde das Projekt "Kulturhimmel" durch die Bildcollage der Kieler Künstlerin Ekaterina Ezhkova vervollständigt.

Das vierte und letzte Kunstwerk der Reihe "Kulturhimmel" ist eine etwa 1 x 2 Meter große Kombination aus Aquarellmalerei nd Porträtzeichnungen. Als Grundlage für ihr Werk hatte die Künstlerin Gespräche mit einigen der Heimbewohner geführt und Fotos erstellt, die sie dann künstlerisch umgesetzt hat.

Inspirierende Einblicke in Kindheitserinnungen

"Es war für mich eine inspirierende und bereichernde Erfahrung, mit den Menschen in Kontakt zu kommen und Einblick in ihre Kindheitserinnerungen zu erhalten. Sogar alte Kinderbilder wurden mir gezeigt. Dafür bin ich sehr dankbar", sagte Ekaterina Ezhkova.  

Mit ihrem Bild möchte sie zeigen, "dass die Vergangenheit im Heute existiert, indem die Kindheitserinnerungen uns begleiten", verdeutlicht sie. "Vielleicht zaubern uns die Träume aus der Kindheit ein Lächeln ins Gesicht." 

"Kunst berührt uns tiefer als manches Wort"

Die Präsentation ihres Kunstwerkes sollte eigentlich durch den Schleswiger Bischof Gothart Magaard begleitet werden. Corona-bedingt musste sein Besuch im Seniorenheim abgesagt werden. Stattdessen dankte er der Künstlerin und den Teilnehmern per Briefbotschaft.

Ezhkovas Werk habe sich den Erinnerungen der Seniorenheimbewohnern auf "besonders sensible Weise" genähert, so Magaard. "Auch heute noch kann uns die Kunst als wichtiges Medium Dinge vor Augen führen, die uns tiefer berühren als so manches gesprochene Wort."

"Macht deutlich, wie kostbar ein Leben ist"

Ihr Werk berühre und rege zum Nachdenken an, so der Bischof. "Wie zarte Seelen schimmern die Gesichter der Kindheit in ihrer Bildcollage hervor. Daneben die heutigen Porträts: Gesichter, die voller Geschichten und Lebenserfahrung und sind. Als Betrachter frage ich mich, welche guten oder traurigen Erinnerungen an die lang zurückliegende Kindheit darin verborgen sind. Und mir wird deutlich, wie kostbar jedes Menschenleben ist."

Das Bild wird einen dauerhaften Platz in der Seniorenresidenz erhalten. 

Soundcollage am 3. Advent 

An den zurückliegenden Adventwochenenden wurden bereits die Kunstwerke aus den Sprengeln Lübeck und Hamburg sowie Mecklenburg-Vorpommern vorgestellt. Am dritten Advent übermittelte Landebischöfin Kristina Schönbaum-Schmidt ihre Grußworte und ihren Dank für die von Ina Lebedjew erstellte Sondcollage per Audio-Botschaft. 

In der Soundcollage intoniert eine Spieluhr das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht" und fünf Bewohnerinnen und Bewohner erinnern sich erzählend an die eigene Kindheit und Weihnachten. Viel Schönes wird in Erinnerung gerufen, aber auch Tränen fließen. Künstlerin und Redakteurin Lebedjew sprach im Augustenstift mit Bernhard Meironke, Christa Schumacher, Ruth Kuske, Wolfgang Schmidt und Doris Bochow.

Krippenfiguren als Zeugen einer vergangenen Zeit

Im Gespräch mit Lebedjew erinnert sich Bewohner Bernhard Meironke folgendermaßen an Weihnachten: "Maria und Josef, die Weihnachtsgeschichte, da hängen Kindheitserinnerungen dran. Das sind Figuren, die haben schon Einiges erlebt. Und zwar, ich bin aus Danzig. Mein Bruder, der ist zwei Jahre jünger als ich. Und der hat, als sie dann wegmussten, die Krippenfiuren gegrapscht und im Rucksack mitgeschleppt, 1945. Die Heiligen drei Könige sind noch dabei, ein paar Schäfchen, Kamel und Esel — wie sich das gehört.“ 

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© Ina Lebedjew

Auch Bewohnerin Doris Bochow hat noch ganz genaue Erinnerungen an die Zeit vorm Fest: "Wir sind ja dann aus Lodz geflüchtet und hatten keine Möbel. Aber einen Wickeltisch — den hatte uns jemand geschenkt und der hatte Schubfächer.

Und da sagte Mutti: 'An diese beiden Schubfächer darfst Du nicht rangehen, jetzt in der Vorweihnachtszeit!' Die waren ja nicht abzuschließen, es war alles sehr primitiv. Ich habe nie in ein Schubfach reingeguckt. Und das finde ich heute noch toll!" 

Die Collage zum Nachhören unter www.kulturhimmel.de

Auf diese berührende Kindheitserinnerungen ging Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt in ihrem Audio-Gruß ein:  "Die Melodie ‚Stille Nacht, heilige Nacht‘ höre ich in diesem Jahr besonders gern! Weil sie mich mit Ihnen verbindet. Mit Ihnen und Ihren Erinnerungen. Ein Puppenhaus, ein Kaufmannsladen oder eine Spieluhr: Was waren das für Geschenke!"

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Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt in der Bischofskanzlei in Schwerin.© Nordkirche

Für die kostbaren Erinnerungen, beispielsweise von den Krippenfiguren, die 1945 mit auf die Flucht aus Danzig gingen; vom Blick auf den Magdeburger Dom vom Dachboden aus. Oder von der Bescherung im Klassenzimmer, weil der Großvater Hausmeister in einer Schule war, dankte Kristina Kühnbaum-Schmidt ganz herzlich und bekannte: "Ihre Kindheitserinnerungen bringen auch in mir etwas zum Leuchten.

Als ich Kind war, freute ich mich besonders auf das Morgenrot vor Heilig Abend." Dann sei ihre Sehnsucht gewachsen, dass sich die Tür zum Weihnachtszimmer öffnen möge. "Wenn ich heute auf das himmlische Morgenrot sehe", so die Theologin, "spüre ich die Sehnsucht von damals noch immer. Nur meine Wünsche haben sich verändert."

Vernissage am 2. Advent in Stralsund

Weihnachten in der Kindheit – welche Erinnerungen haben die Bewohner im Seniorenheim an diese besondere Zeit im Jahr? Künstlerin Silke Peters ist dem in Stralsund nachgegangen. Herausgekommen ist ein sehr emotionales Werk.

Weihnachtsnächte voller Ungeduld 

Vorgestellt wurde das Ergebnis zusammen mit Bischof Tilmann Jeremias am zweiten Advent im Stralsunder Schwesternheimathaus. Manche Erinnerungen darin sind bunt und fröhlich, andere eher bedrückend, geprägt von Krieg und Armut.

Textcollage: Weihnachten in meinem Leben (PDF)

"Ich habe ganz einfache Fragen gestellt und fast nur zugehört", berichtet Peters von ihren Begegnungen im Oktober.  "Die Geburtsjahrgänge ließen mich staunen, vor allem die Zwanziger und Dreißiger Jahre. Ich lauschte Erinnerungen tief aus der Zeit des vergangenen Jahrhunderts", so die Künstlerin. Bei den Treffen wurde streng auf die Einhaltung der Abstands-und Hygienevorschriften geachtet, um die Gespräche zu ermöglichen.

Sätze wie diese hat Peters vor Ort eingesammelt: "Wir Kinder waren immer sehr aufgeregt, vorher schon, wir hatten ja auch unsere kleinen Geheimnisse. Wir schliefen schon schlecht und unsere Mutter hatte schon ihre Schwierigkeiten uns zu beruhigen. Und wir hatten auch unsere kleinen eigenen Sorgen, ob wir auch artig waren, ob der Weihnachtsmann wirklich mit der Rute kam".

Erinnerungen an Krisen gehören dazu

Ein anderer Bewohner erinnert sich folgendermaßen: "Zwei Tage lang ist Weihnachten, da brauchten wir nicht in den Luftschutzkeller, sagte meine Mutter."

Fünfzehn Weihnachtsberichte sind aus den Begegnungen in Stralsund entstanden. "Unsere Weihnachtsgeschichten – sie gehören zu unserem Lebensgefühl, und sie wollen erzählt werden", schreibt Bischof Tilman Jeremias in seinem Vorwort. "In Zeiten, in denen uns eine Pandemie zwingt, uns zu besinnen – da können wir von älteren Menschen lernen: von ihren Erinnerungen, vom Umgang mit Krisen und Ausnahmezuständen. Manchen Sturm haben sie überstanden – und immer wieder ist es für sie Weihnachten geworden", so der Bischof.

Vernissage am 1. Advent in Lübeck

Am Wochenende zuvor war bereits eine Bildercollage von Künstlerin Inga Ortmann-Röpke in Lübeck präsentiert worden.

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© Felix König, Nordkirche

Anna Luise Klafs, Studienleiterin für „Kunst und Kirche” in der Nordkirche: "Die Menschen in Seniorenheimen und anderen Einrichtungen sind derzeit oftmals nicht nur körperlich isoliert, sondern auch seelisch. Da tut es vielleicht gut, wenn sich jemand einfach Zeit nimmt, Fragen stellt und zuhört", sagt sie.

Gerade jetzt können wir von Älteren lernen

Das Projekt geht auf ihre Initiative zurück, sie hat die Kontakte vermittelt und die Künstlerinnen und Senioren zusammengebracht. "Gerade in diesen Zeiten können wir von älteren Menschen lernen, von ihren Erinnerungen, von ihrem Umgang mit Krisen und Ausnahmezuständen”, findet Klafs. "Und auch Kunst hat immer wieder heilsame Kraft, vielleicht auch gerade in dieser Zeit."

So entstand die Idee, dass Künstlerinnen und Seniorinnen zusammenkommen und gemeinsam das Thema Kindheit und Weihnachten bearbeiten. "Es sind wunderbare Ergebnisse dabei rausgekommen."

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© Foto: Felix König, Nordkirche

Ein Leuchten in die Augen zaubern

Die Kunstaktion möchte den Seniorinnen trotz dieser Zeiten ein Leuchten in die Augen zaubern. Gesprächsstoff und Kunst, beides ist wichtig. "Unsere Hoffnung ist, dass sich die Menschen über diese Kunstwerke austauschen. Die älteren Damen und Herren können sich an Weihnachten in der Kindheit erinnern und das Erlebte teilen. So können sie den Alltag für einen kurzen Moment vergessen", freut sich Anna Luise Klafs.

Bischöfin Kirsten Fehrs würdigte bei ihrem Besuch in Travemünde das Konzept: "Gerade in diesen Zeiten ist Kultur so wichtig für die Seele. Dieses Jahr 2020, das so anders ist als erwartet, verlangt jeder und jedem Einzelnen von uns viel ab. Selbst die Zuversicht scheint manchmal Maske zu tragen. Da sind Projekte wie dieses tröstlich und stärkend, schaffen echte Begegnungen."

„Kindheit und Weihnachten”

Das Kunstprojekt ist Teil der Weihnachtsaktion #hoffnungsleuchten der Nordkirche. Initiatorin ist Anna Luise Klafs, Studienleiterin von „Kunst und Kirche”.

Mehr: Kulturhimmel.de

Vernissagen:

1. Advent: Inga Ortmann-Röpke / Cartoon-Collage / Pfegezentrum Travetal in Lübeck mit Bischöfin Kirsten Fehrs.

2. Advent: Silke Peters / Text-Collage / Stiftung Stralsunder Schwesternheimathaus mit Bischof Tilman Jeremias

3. Advent: Ina Lebedjew / Sound-Collage / Augustenstift  in Schwerin mit Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt

4. Advent: Ekaterina Ezhkova / Bilder-Collage / Stadtkloster Kiel mit Bischof Gothart Magaard

Hintergrund:

Kunst hat es in Pandemie-Zeiten schwer. Neben Kunst- und Kulturschaffenden gehören auch ältere Menschen in Seniorenheimen zu den besonders Betroffenen von Kontaktbeschränkungen. Wie ließe sich also für die eine Gruppe Kunst ermöglichen, die der anderen Gruppe Gesprächsstoff bietet? Anna Luise Klafs, Studienleiterin für Kunst&Kirche am Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche, initiierte die vierteilige Reihe „Kulturhimmel“ im Rahmen der nordkirchlichen Advents- und Weihnachtsaktion „#hoffnungsleuchten – Mehr als… Alle Jahre wieder“.

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