Impuls in der Auftaktveranstaltung zur digitalen Reihe "Klima - Kirche - Kiez

Klimagerechtigkeit in Sozialräumen als Aufgabe von Kirche und Diakonie

26. Januar 2023 von Kristina Kühnbaum-Schmidt

„Sozialraumorientierung und Klimagerechtigkeit gehören zusammen als Ausdruck gelebter Mitmenschlichkeit und praktizierter Schöpfungsverantwortung“

Klimagerechtigkeit und Sozialraumorientierung - auf den ersten Blick klingt das recht abstrakt und theoretisch. Vielleicht auch ein bisschen so, als ob beides in anderen Sphären stattfindet. Hier die Orientierung an Klimagerechtigkeit, durchaus in globaler Perspektive - dort die nah mit unserer alltäglichen Lebenswirklichkeit verbundene Sozialraumorientierung. Was verbindet sie miteinander, außer dem Postulat, dass man gegenwärtige beide als wichtige Aufgaben von Kirche, als wichtige Konkretionen des Engagements für und mit anderen verstehen kann? Und warum sollten wir beide miteinander verbinden? Ich will es kurz so sagen: beide sind Ausdruck gelebter Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe und praktizierter Schöpfungsverantwortung. Und beide können sich wechselseitig befördern und unterstützen im achtsamen Umgang mit anderen Menschen und mit unserer Mitschöpfung. Ich komme darauf am Ende noch einmal zurück.

Zuerst aber zum Stichwort Klimagerechtigkeit - „Mag sein, dass ihr hier in Deutschland mit viel Zeit diskutiert, ob ihr für oder gegen ein Tempolimit seid oder auch, ob ihr weniger fliegen oder weniger Fleisch essen wollt“, sagte eine Teilnehmerin am Rande der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe im letzten September zu mir. „Mag sein, dass ihr meint, bei solchen Maßnahmen müsste man möglichst viele Menschen mitnehmen und das dauere eben noch. Aber bei uns sterben ganze Orte, weil wir wegen des Klimawandels nicht mehr an der Küste leben können. Und anderswo haben Menschen gar keine Wahl, was sie essen wollen; sie sind froh, wenn sie aufgrund immer häufigerer Dürreperioden überhaupt etwas essen und vor allem trinken können. Und beides hat mit den Folgen des Klimawandels zu tun. Während ihr noch nachdenkt und vielleicht etwas tut, leiden andere darunter, dass ihr im globalen Norden überdurchschnittlich die Ressourcen aller auf unserer Erde verbraucht und zugleich für den Löwenanteil der klimaschädlichen CO2-Emmissionen verantwortlich seid. Sind denn die Menschen, die schon jetzt unter den Folgen eures Handelns und Nicht-Handelns leiden, sind wir nicht eure Schwestern und Brüder? Sind die aussterbenden Tiere und Pflanzen nicht eure Mitgeschöpfe?“

In solchen Begegnungen ist globale Klimagerechtigkeit keine ferne oder abstrakte Größe, sondern sie wird konkret. Und es wird deutlich: Bei Klimagerechtigkeit geht es um die Verantwortung aller Menschen für den achtsamen Umgang mit Natur und Umwelt, es geht um CO2-Emmissionen, um den Verbrauch und die Nutzung von Ressourcen, die doch allen Menschen auf unsere Erde gehören, durch einen kleinen Teil der Weltbevölkerung, insbesondere im Globalen Norden. Und für Christinnen und Christen geht es in alledem um unserer Verhältnis zu Gottes Schöpfung, um unser Verständnis als Geschöpfe Gottes, die in Gottes Schöpfung mit anderen Menschen und anderen Geschöpfen leben. Durch unseren Lebensstil im Anthropozän aber gefährden wir das Leben vieler Mitgeschöpfe; wir gefährden die Lebensgrundlagen der menschlichen Spezies, wir gefährden das Leben auf unserem Planeten. Und wir widersprechen damit Gottes Liebe zu allem Leben, zu allen Menschen und allen Geschöpfen.

Wen  wir uns als Geschöpfe  verstehen, die leben inmitten von Leben, das leben will, wie Albert Schweitzer es einmal gesagt hat, verbunden mit allen Menschen als Kindern Gottes und allen Mitgeschöpfen, dann ist unsere Verantwortung gerade gegenüber den Menschen gefordert, die ganz besonders unter der Klimakatastrophe leiden - vor allem im globalen Süden. Mit vielen sind wir durch weltweite Partnerschaften verbunden. Sie haben meist haben kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, verlieren durch die Folgen des Klimawandels aber ihre zumeist ohnehin gerade eben bestehende Existenzgrundlage oder ihr Leben ist gefährdet - durch zunehmende Naturkatastrophen wie Stürme, Dürren, Überflutungen. Klimagerechtigkeit ist also zum einen ein Thema in gegenwärtiger, sozusagen horizontaler Verbundenheit. Zugleich aber verbindet es uns auch mit den uns nachfolgenden Generationen. Klimagerechtigkeit ist also auch ein Thema der Generationengerechtigkeit. Denn auch die Lebensrechte und -möglichkeiten derer, die jetzt Kinder und Jugendliche oder noch gar nicht geboren sind, werden durch die Lebenspraxis der heutigen Generation massiv eingeschränkt. Weil Gott will, dass alle genug haben von dem, was sie zum Leben brauchen und dass alle Menschen in Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit miteinander leben, ist Klimagerechtigkeit als gegenwärtige Fragestellung wie als Herausforderung an Generationengerechtigkeit ein Thema des christlichen Glaubens und christlicher Ethik.

Als Kirchen treten wir in Predigten, Gesprächen mit politisch Verantwortlichen, Stellungnahmen und durch Mitarbeit in zivilgesellschaftlichen Bewegungen für Klimagerechtigkeit ein. Wir sind aktiv, auch gemeinsam mit anderen, weil längst noch nicht genug für die Erreichung der Klimaziele von Paris getan wird. Und genauso wollen wir in unserer eigenen Praxis noch besser, glaubwürdiger und somit auch zu Treiber:innen eines besseren Klimaschutzes werden. In meiner Nordkirche haben wir beschlossen, bis 2035 klimaneutral zu werden, für die EKD als ganzes haben wir beschlossen bis 2035 zu 90 % und bis 2045 ganz klimaneutral zu werden. Über beides bin ich froh. Und ich bin dankbar für jeden Schritt, der auf dem Weg dorthin gegangen wird - mag er auch noch so klein erscheinen.

Nun zum Stichwort Sozialraumorientierung: Dort wo die Menschen wohnen, wo sie verwurzelt sind, ist der Ort ihres guten Lebens und soll es bleiben bzw. wieder werden. Schon jetzt arbeiten deshalb viele Kirchengemeinden sozialraumorientiert. Sie verstehen sich als Teil des Netzwerks aller Menschen guten Willens einer Kommune, eines  Stadtteils, wo die Menschen selbstbestimmt leben wollen und von der Teilhabe aller bis zum Klimaschutz die Dinge als Expert*innen in eigener Sache selbst in die Hand nehmen. Sehr oft geschieht das in enger Zusammenarbeit und Verbindung von Diakonie und verfasster Kirche. Diese Kooperation hat aus meiner Sicht noch viele Potentiale, die wir erschließen sollten. Ich selbst bin seit letztem Jahr auf einer Besuchs- und Erkundungsreise zu sozialraumorientierten Projekten, bei denen verfasste Kirche und Diakonie eng zusammenarbeiten, in Hamburg z.B. im Projekt Q8, in acht sozialraumoientierten Quartieren.

Alle Projekte von Q8 Sozialraumorientierung setzen an den Interessen der Menschen vor Ort an. Sie nutzen die Bandbreite möglicher personeller und struktureller Ressourcen im Sozialraum und befördern Zusammenwirken und Win-Win Situationen im Quartier. Oder es geht so, wie ich es vorgestern an einem anderen Ort, in den Stormarner Werkstätten in Ahrensburg, erlebt habe: Dort bekommen rund 300 Menschen mit unterschiedlichen Handicaps an mehreren Standorten  die Möglichkeit zur beruflichen Bildung oder Neuorientierung und zur Teilhabe am Arbeitsleben mit einem breiten Angebotsspektrum - all das im Kontakt mit der dortigen Kirchengemeinde.

Initiativen dieser Art kann man auch als Caring Communities beschreiben. Sie fördern gelebte Wertschätzung und Verantwortungsbeziehungen von Menschen in ihren Quartieren. Dabei spielen, wie gesagt, Kirchengemeinden und diakonische Einrichtungen (am Ort!) eine wichtige Rolle – gerade auch in ländlichen Regionen. Mit ihren öffentlich zugänglichen und zu Fuß erreichbaren Räumen, den vielen ehren- und hauptamtlichen Ansprechpartnern, denen Vertrauen entgegengebracht wird und ihrer professionellen Verwaltung. Und mehr noch: Kirchengemeinden und kirchliche wie diakonische Gemeinschaften sind seit jeher Orte der Konvivenz[1], wo Menschen miteinander leben, lernen, teilen und feiern als Gemeinschaft der Unterschiedlichen, die Gottes und einander bedürfen. Wo sich Menschen als Geschöpfe Gottes verstehen, verbunden durch den Glauben an Jesus Christus, eröffnen sie sich und anderen die Möglichkeit, Grenzen zu überwinden - sich und Andere anzuerkennen und anzunehmen, Unterschiede auszuhalten und die Verschiedenen zu versöhnen.

Immer wieder wird dabei deutlich: Sozialraumorientierung fragt nach und orientiert sich an den Bedarfen der Menschen vor Ort, arbeitet mit ihnen und für sie und sorgt für neue Kooperationen. Der Einsatz für Klimagerechtigkeit und CO2-Neutralität gehört auch zu solchen Projekten, die oftmals in Verbindung mit den Kommunen entstehen. Weil auch das Leben im Sozialraum schon gegenwärtig wie auch zukünftig durch den Klimawandel Veränderungen erfährt oder erfahren wird, kann bei entsprechenden Projekten besonders gut deutlich werden, welche Verbindungen zwischen Klimagerechtigkeit und Sozialraumorientierung bestehen. Hier wird dann auch deutlich: Kirche und politische Kommune wollen beide nachhaltige und menschengerechte Lebensverhältnisse für die Menschen in ihrer Region. Diese Kooperationen liegt auf der Hand. Ich hoffe, dass es noch viel mehr werden.

In vielen Gemeinwesen entstehen Netzwerke für Klimaschutz und für gegenseitige Hilfe, die Einsamen, Alten, Menschen mit Behinderungen und Jugendlichen mit Problemen Unterstützung anbieten: Das sind sorgende Gemeinschaften, die sich um Menschen sorgen, die sich um das Klima sorgen, die sich um Gottes Schöpfung, um Natur, Umwelt und Artenvielfalt und Biodiversität sorgen. Weil alles Leben auf der Erde verbunden ist, weil es zwischen allem lebendigen Verbindungen und gegenseitige Abhängigkeiten gibt, ist Klimaschutz deshalb immer auch Menschenschutz. Die lokale und die globale Ebene gehören dabei zusammen. Deshalb wünsche ich mir, dass wir uns noch viel stärker „glokal“ aufstellen, uns um das Klima und nahe wie ferne Mitmenschen sorgen.

Klimagerechtigkeit und Sozialraumorientierung - beide sind Ausdrucksformen gelebter und praktizierter Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Schöpfungsverantwortung. Sie gehören zusammen und können sich wechselseitig befördern. Und sie geschehen in Verantwortung füreinander, für gute Lebensbedingungen für alle Menschen, in Verantwortung für Gottes Schöpfung und unsere Mitgeschöpfe. Also: nur gut, wenn wir darauf achten, wie beide zusammengehören, wenn wir beide verbinden und nach neuen Verbindungen zwischen beiden suchen.

 

[1] Art. Konvivenz in: RGG 4. Aufl.; LWB: “Conviviality, ‘the art and practice of living together’”; Fundstelle (u.ö.): www.lutheranworld.org/what-we-do/churches-mission/diakonia-and-development/conviviality/european-diaconal-process

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