Interreligiöses Gedenken im größten Frauenkonzentrationslager des NS-Regimes
30. April 2025
Ravensbrück – an diesem Ort in Brandenburg waren zwischen 1939 und 1945 über 130.000 Frauen aus 40 Nationen in einem Konzentrationslager inhaftiert – unter grausamsten Bedingungen. Heute ist dieser Ort ein Mahnmal gegen das Vergessen und ein zentraler Erinnerungsort für die Opfer nationalsozialistischer Gewalt.
Vor 80 Jahren endete der Zweite Weltkrieg: Erinnern und Gedenken in der Nordkirche
80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers wird im Rahmen von Gedenkfeiern an die Opfer und ihr Schicksal erinnert. Das Frauenwerk der Nordkirche ist seit vielen Jahren Mitveranstalterin des jährlichen Gedenkens. Franziska Pätzold arbeitet als Pastorin beim Frauenwerk der Nordkirche.
Seit 2018 engagiert sie sich als Mitorganisatorin der „Zukunftswerkstatt Interreligiöses Gedenken“. Gemeinsam mit der Frauenarbeit der EKBO sowie Vertreter:innen weiterer Konfessionen gestaltet sie im Rahmen der jährlichen Gedenkveranstaltung ein eigenes Format.
Ein Rundgang mit Texten und Musik
„Wir entwickeln jedes Jahr gemeinsam als Team aus überwiegend ehrenamtlich engagierten Menschen das Thema und die Form, in der wir gedenken wollen. Beides sollte sowohl für religiöse wie auch nicht-religiöse Menschen anschlussfähig sein,“ berichtet die Pastorin. „Es beteiligen sich muslimische, jüdische, christliche und in diesem Jahr erstmals auch êzidische Menschen. Jugendliche und junge Erwachsene aus Berlin und Fürstenberg werden beispielsweise gemeinsam mit der Sängerin Kim Seligsohn eine ‚Hymne an die Namen‘ erarbeiten. Diese wird – wie weitere Text- und Musikbeiträge – bei einem Rundgang über das Gelände an einer von mehreren Stationen vorgetragen.“
Die Texte stammen aus der Feder ehemaliger Lagerinsassinnen. Viele Frauen haben ihre Erlebnisse schriftlich festgehalten. Franziska Pätzold erklärt: „Das sind oft sehr berührende Zeugnisse, die wir dort lesen – aus Tagebüchern, die heimlich während der Haft geschrieben wurden oder, wenn die Frauen das Lager überlebt haben, auch aus Interviews, Briefen oder eigenen Veröffentlichungen nach dem Krieg.“

Mutige Frauen
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„Mut zum Frieden“ lautet in diesem Jahr das Thema des Interreligiösen Gedenkens. Entsprechend wurden Texte von Frauen ausgewählt, die sich im Widerstand gegen das NS-Regime engagierten und sich – sofern sie überlebten – später für Frieden, politische Teilhabe oder Demokratiebildung einsetzten.
Ein Beispiel ist Ceija Stojka, die als Romni verfolgt wurde und als Kind drei Konzentrationslager überlebte. Ihr Glaube und ihr Vertrauen in sich selbst halfen ihr, die Lagerzeit zu überstehen. Ebenso wird an Corrie ten Boom erinnert, die in den Niederlanden jüdische Familien versteckte, verraten wurde und mit ihrer Schwester Betsie nach Ravensbrück kam. Betsie überlebte das KZ nicht, Corrie reiste später durch über 60 Länder und setzte sich für Vergebung ein.
Franziska Pätzold erinnert sich:
Eindrücklich schrieb sie darüber, wie unmöglich es ihr selbst schien, zu vergeben, als ihr bei einem öffentlichen Auftritt in München plötzlich ein ehemaliger KZ-Aufseher aus Ravensbrück gegenüberstand. Dennoch versuchte sie es und konnte schließlich vergeben.
Eine Brücke in die Gegenwart
„Ich glaube, aus dem, wie die Frauen später gewirkt und sich engagiert haben, können wir viel lernen“, sagt die Pastorin. „Diese Frauen haben den Blick auf die Gegenwart gerichtet. Ihre Zeugnisse helfen uns, eine Brücke zur heutigen Zeit zu schlagen – Gedenken ist deshalb unerlässlich, um unsere politische und gesellschaftliche Gegenwart zu reflektieren und Bedrohungen für die Demokratie zu erkennen.“
Sie ergänzt: „Beim Interreligiösen Gedenken treffen das Bewusstsein für das Eigene und die Sensibilität für das andere aufeinander. Das ist für mich eine gute Schule in Verständnis, Anerkennung, Toleranz und Zusammenleben.“
Neben der interreligiösen Dimension erscheint ihr auch der generationenübergreifende Aspekt besonders wichtig. „Die Jugendlichen, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, zeigen oft große Offenheit“, hat sie beobachtet. „Ihre Gedanken und Beiträge bringen neue Impulse für das Gedenken und die Gedenkkultur.“
Ein Ort des Schreckens
Ravensbrück war das zentrale Frauenlager des nationalsozialistischen Regimes – für Prostituierte, Straftäterinnen, Obdachlose, Sintezze und Romnja, Zeuginnen Jehovas und Jüdinnen, die aus der Gesellschaft „ausgesondert“ werden sollten. Ebenso inhaftiert wurden Frauen aus besetzten Gebieten: Widerstandskämpferinnen, Arbeiterinnen, Künstlerinnen, Hausfrauen, Mütter.
Die Häftlinge wurden verschiedenen Produktionsstätten zugewiesen und leisteten in rund 40 über das Reich verteilten Außenlagern Zwangsarbeit. Auch ein Männer- sowie ein Jugendlager wurden eingerichtet.
Sterben im Lager
Zwischen 40.000 und 50.000 Frauen starben durch Kälte, Hunger, Krankheiten, grausame medizinische Experimente oder wurden erschossen. Ab 1945 wurden mehrere Tausend Frauen in Gaskammern ermordet.
In Baracken untergebracht, waren sie Schikane, Gewalt und Demütigungen – vor allem durch weibliche Aufseherinnen – schutzlos ausgeliefert. Wenige Täterinnen wurden jemals juristisch zur Verantwortung gezogen.

Befreiung und Nachwirkungen
Nur einige Tausend Frauen überlebten dieses Lager. Kurz vor Kriegsende gelang es durch Verhandlungen, etwa 7.000 Häftlinge aus dem KZ Ravensbrück in Sicherheit zu bringen. Doch rund 20.000 wurden auf den sogenannten „Todesmarsch“ geschickt. Bei der Befreiung am 30. April 1945 fand die Rote Armee noch etwa 2.000 kaum lebensfähige Frauen im Lager. Viele der Geretteten starben in den folgenden Wochen oder litten lebenslang unter den Folgen der Haft.
Eine Zeichenhandlung am Ende
Gebete, Segen, Singen – all das sind auch Bestandteile beim diesjährigen Interreligiösen Gedenken. Der Rundgang endet nach mehreren Stationen mit einer Zeichenhandlung der Teilnehmer:innen. Sie sind eingeladen, einen mitgebrachten Stein oder eine Blume niederzulegen und mitzuteilen, was sie bewegt. Häufig ist das verbunden mit Dankbarkeit für diese Gedenkform und dem tiefen Eindruck, den die Beiträge – insbesondere der Jugendlichen – hinterlassen.
„Für mich ist das Gedenken jedes Jahr sehr bewegend“, sagt Franziska Pätzold. „Die zum Teil noch gut erhaltenen Wirtschaftsgebäude und Häuser der Aufseherinnen werden heute als Ausstellungsräume genutzt bzw. dort ist die Jugendherberge untergebracht. Das ehemalige Lagergelände ist heute nur noch ein nüchterner, grauer Schotterplatz, auf dem Wege und Baracken angedeutet sind – und das im Kontrast zur landschaftlich sehr schönen Umgebung am Schwedtsee, mitten im aufblühenden Frühling. Dieser Gegensatz verdeutlicht für mich, wie erschreckend alltäglich das Grauen, das Leid und das Töten damals an diesem Ort war. Jedes Jahr aufs Neue löst das bei mir tiefe Beklommenheit aus und hinterlässt einen bleibenden Eindruck.“